Türchen 10

Heute habe ich im Selfpublishing-Adventskalender etwas besonderes, eine Dystopie. Aber mit Engeln und Dämonen, einfach eine grandiose Idee:

Seelensucher 1 – Gefallen

von Sybille Roth

New America 2063: Der Dritte Weltkrieg hat die Welt, wie wir sie kennen, völlig zerstört. Engel und Dämonen wandeln wieder über die Erde und führen einen gnadenlosen Kampf um die Seelen der letzten Menschen.

Eigentlich wollte Roberta, einst Anhängerin Luzifers, nach der Flucht von ihrem mächtigen Vater nie wieder etwas mit einem Unsterblichen zu tun haben.

Pech nur, dass ausgerechnet Erzengel Gabriel sie als Seelenbotin auserkoren hat. Und dass sein Entschluss sterblich zu werden, ihrer beider Leben gehörig durcheinanderbringt.

Als Roberta von ihrer dunklen Vergangenheit eingeholt wird, steht alles auf dem Spiel, für das sie jemals gekämpft hat: ihre Freiheit, ihre Freundschaften und ihre immer stärker werdenden Gefühle für Gabriel.

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Kurzgeschichte zu Seelensucher

Hope saß in der Bibliothek des alten Klosters und kontrollierte, ob sie auch an alles gedacht hatte.

Das Diktiergerät?

Check.

Notizblock und Stift?

Check.

Ihre Kamera?

Check.

Ob sie aufgeregt war?

Und wie. Ihr Puls raste und ihre Hände waren feucht. Heute wollte sie Geschichte schreiben.

Wie lange hatte sie auf diesen Tag hingearbeitet und Oberin Clair darum gebeten, ihn möglich zu machen. Die Schülerzeitung stand erst am Anfang, aber dieser Artikel würde der absolute Renner werden.

Die Tür öffnete sich mit einem Knarren und ihr Herz machte einen Satz.

Clair betrat den Raum, gefolgt von einem Mann und einer Frau.

„Hope, darf ich vorstellen: Roberta und Gabriel.“

„H…hallo“, brachte sie krächzend hervor und streckte ihre Hand aus.

Sie zitterte. Verdammt. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Immerhin war sie die Chef-Redakteurin und beste Schülerin des Internates, das unter dem Protektorat des Klosters stand.

Eine Hand ergriff ihre und drückte sie. „Hi, Hope. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen. Bitte nenne mich Bobby.“

Sofort beruhigte sich ihr rasender Puls. Der Griff der braunhaarigen Frau war fest, ihr Blick warm.

Sie fand ihre Stimme wieder. „Es freut mich ebenfalls, Ms. Maaron.“

„Wie gesagt, einfach nur Bobby“, kam die Erwiderung.

Nicht verwunderlich, dass sie keinen Wert auf ihren Nachnamen legte. Ihr Vater, dem sie Jahre zuvor den Rücken gekehrt hatte, war Anhänger Luzifers und einer der mächtigsten Männer der Stadt.

„Das ist Gabriel.“

Hope zwang sich, zu ihm hochzublicken.

Gabriel. Der Erzengel, der seine Unsterblichkeit aufgegeben hatte. Nicht länger hatte er den himmlischen Regeln Folge leisten wollen. Sie hatte es ihm verboten, an der Seite seiner menschlichen Verbündeten zu kämpfen.

Viel romantischer hingegen war die Vorstellung, dass er es getan hatte, um Roberta – Bobby – lieben zu dürfen.

„Es ist mir eine Ehre“, platzte es aus ihr heraus.

Er drückte Hopes Hand. „Die Ehre ist ganz meinerseits. Clair hat erzählt, dass du eine ihrer besten Schülerinnen bist.“

Sie nickte, sprachlos.

„Und dass du bereits diverse Wohltätigkeitsaktionen auf die Beine gestellt hast und Kindern aus dem Randgebiet der Stadt Nachhilfe gibst.“

Röte schoss in ihre Wangen. „Das ist doch selbstverständlich.“

„Ist es nicht“, erwiderte er. „Und der Grund, weshalb ich bereit war, dieses Interview zu führen.“

Bobby seufzte. „Gabe.“

„Was?“

„Das klang ein wenig harsch.“

Eine geschwungene Augenbraue hob sich. „Tatsächlich? Das war nicht meine Absicht.“

Seine Gefährtin lächelte Hope an und zwinkerte. „Wollen wir?“

Geschäftig nickte sie und stellte das Diktiergerät an. „Vielen Dank, dass Sie beide sich bereiterklärt haben, dieses Interview zu führen. Ich habe mich gefragt…“

Die Tür flog auf. Ein Mann mit kahlrasiertem Schädel kam herein, über und über mit einer übelriechenden, grünlich-weißen Substanz bedeckt, die Hope noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Unter seinem Arm klemmte ein Buch.

Bobby sprang auf. „Was ist los, Duncan?“

„Wollte das hier nur abliefern.“ Das Buch landete auf einem der Nachbartische. „Hab‘s in der Kanalisation nach dem Kampf gegen einige Mutanten gefunden. Sah alt und wichtig aus.“ Mit einem Grinsen winkte er Hope zu. „Nachwuchs?“

„Sicher nicht für deinen Job“, erwiderte Gabriel kühl. „Sie ist klug.“

„Hey, Magic Gabe, ich habe auch Gefühle. Und ich bin nicht auf den Kopf gefallen.“

„Was noch zu beweisen wäre.“ Bobby lachte. „Geh dich duschen!“

Und weg war er.

Hope starrte ihm hinterher.

„Wie lautet deine Frage?“

Sie setzte an fortzufahren, als sich dir Tür erneut öffnete. Diesmal betrat eine junge blonde Frau mit den ledernen Flügeln eines Succubus den Raum. Ihre Wangen waren gerötet.

„Unmöglich“, murmelte sie und schien sie nicht zu bemerken. An dem Buch machte sie Halt und nahm es behutsam in die Hände. „Es gibt Regeln für das Mitbringen von Fundstücken.“

Und weg war sie.

Bobby seufzte. „Entschuldige bitte. Wie du siehst, ist viel los. Was wolltest du…. Mephisto!“

Hope folgte ihrem Blick. Ein dunkler Kater war durch das offene Fenster in die Bibliothek gesprungen und spielte mit einer Feder.

Sie war groß. Und strahlendweiß.

Gabriel erhob sich. „Ist das Raphaels?“

Hope wurde hellhörig.

„Was?“ Bobby eilte vor, doch der Kater brachte seinen Fund unter dem nächsten Schrank in Sicherheit. „Nein.“

„Es sieht aber ganz danach aus.“

„Mephisto würde niemals die Feder eines Erzengels stehlen.“

Gabriel hob eine Augenbraue.

Bobby erwiderte seinen Blick, dann prustete sie los. „Meinst du, er ist sauer?“

„Wie hätte ich reagiert?“

Sie lachte heftiger. „Du hättest es mir bis in alle Ewigkeit vorgehalten!“

„Da hast du deine Antwort.“

Es dauerte eine Minute, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Gabriel schien zwischen Amüsiert- und Genervtheit zu schwanken und sagte an Hope gewandt: „Sie ist gleich so weit.“

„In Ordnung. Es kann weitergehen.“ Bobby wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.

Hopes Block war inzwischen vollgeschrieben. Sie hatte schon jetzt so viel zu erzählen!

Aber zunächst sollte sie endlich die erste Frage stellen. „Wie sieht ein ganz normaler Tag bei euch beiden aus?“

Bobby deutete um sich, grinsend: „Du hast ihn soeben miterlebt.“

Ende

Türchen 9

Hinter dem 9. Türchen des Selfpublishing-Adventskalenders wartet eine magisch queere Story auf euch:

Verliebt in einen Hexer: Drake & Jason

von Michael Hamannt

Viele Studenten an der magischen Universität wären gern wie Drake: Er sieht gut aus, ist beliebt – und ein talentierter Hexer. Allerdings quält ihn ein dunkles Geheimnis, das er vor allen verbirgt. Doch dann trifft er auf Jason und fühlt sich vom ersten Augenblick an zu ihm hingezogen. Wird er lernen, ihm zu vertrauen?

Jason hilft im Zauberladen seiner Grandma aus und arbeitet nebenher hart dafür, eines Tages die magische Universität von London besuchen zu können. Für Partys und Beziehungen hat er keine Zeit. Doch dann begegnet er Drake, und sein Leben steht plötzlich kopf …

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Hey Leute,

habt ihr schon ein leckeres Dessert für die Adventszeit? Nein, dann solltet ihr unbedingt weiterlesen. Aber vorher wollt ihr doch sicher wissen, wer ich bin.

Also: Mein Name ist Drake Finley und ich bin der coolste Hexer von ganz London. Dank eines Stipendiums besuche ich die magische Universität und dort bin ich auch das erste Mal Jason begegnet, dem süßesten Jungen der Welt. Und natürlich konnte er mir unmöglich widerstehen. Na ja, vielleicht war es auch umgekehrt.

Jedenfalls fahren wir beide total auf die verrückten Kaffeevarianten von Crazy Hot Beans und auf Süßes ab. O Mann, nach beidem sind wir völlig verrückt. Und darum möchte ich heute auch unbedingt eins meiner Lieblingsrezepte mit euch teilen.

Bratapfelquark

Zutaten

  • 1 Packung Quark (500g)
  • 4 Äpfel (zum Beispiel Boskoop)
  • 75g Rosinen (Oder auch mehr oder weniger)
  • 1 kleine Tasse Rum
  • Zucker (nach Geschmack)

Vorbereitung

Rosinen in eine Tasse geben und diese mit Rum auffüllen, bis die Rosinen gut bedeckt sind. Das Ganze über Nacht stehen lassen. Wer lieber auf Alkohol verzichtet, kann die Rosinen einfach in warmen Wasser einweichen.

Zubereitung

Die Äpfel gut waschen und das Kerngehäuse entfernen. Wer die Schale nicht so gerne mag, sollte sie zusätzlich schälen. Danach die Äpfel in eine Auflaufform oder aufs Backblech setzen und im vorgeheizten Backofen bei 180 Grad (Umluft) ca. 20 bis 25 Minuten backen.

Je nach Größe der Äpfel kann es auch länger dauern, bis sie richtig schön weich sind.
Die Äpfel anschließend abkühlen lassen, bevor ihr sie zusammen mit dem Quark in den Küchenmixer gebt und alles gut durchmischt. Zucker könnt ihr nach Belieben dazugeben.

In der Zwischenzeit die Rosinen abtropfen lassen und zum Schluss drunterheben.

Und jetzt genießen 😉

Willst du mehr von Drake und Jason lesen? Dann hüpf doch mal zum Autor rüber

Türchen 15

Wow, findet ihr nicht auch, dass Weihnachten irgendwie in einem Blinzeln schon da ist?

Und damit öffnen wir Türchen 15 mit einer meiner Herzensreihen:

Lovely Faces – How Blue. How Beautiful.

von Anna Konelli

London 2099: Die Welt hat sich verändert. Kriege sind Vergangenheit und die Makellosen schufen ein Leben voller Frieden, der mit allen Mitteln gewahrt wird. Doch eine Tragödie bringt die perfekte Fassade zum Einsturz und die Grenze zwischen richtig und falsch verschwimmt.

Jadelyn Lovelace ist Verfechterin der Makellosen, die 2099 frei von Religionen im Londoner Zentrum leben. Als Gesicht ihrer Gesellschaft unterstützt sie deren Prinzipien Frieden, Disziplin und Perfektion. Doch ein tragisches Ereignis macht sie zu einer Abtrünnigen und zwingt sie zur Flucht in die Viertel. Mitten in die Fänge ihrer Feinde. Und in die von William D’Lain, der nichts mehr will als Rache. An dem Makellosen, der ihm alles nahm, und an der Regierung, die dabei zusah. Als Sergeant der Viertel und Mitglied einer Geheimorganisation, kämpft er für Gerechtigkeit – was es auch kostet. Aber mit dem Auftauchen von Jadelyn, die alles symbolisiert, was er ablehnt, beginnt, ein Damoklesschwert auf ihn herabzustürzen.

Gefangen zwischen Vorurteilen, wachsenden Zweifeln und unbekannten Gefühlen müssen sie sich nicht nur fragen, ob sie einander, sondern auch ihrem eigenen Instinkt trauen können.

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Anleitung: Origami Fuchs

Den süßen, kleinen Fuchs auf dem Bild könnt ihr ganz einfach nach machen.

Ihr braucht dafür auch nicht viel, einfach nur ein quadratisches Blatt 15×15 cm und ein Falzbein. Ich hab auch keines, ein Lineal langt völlig.

Viel Spaß beim basteln und denkt an das Extralos fürs Gewinnspiel😉🥰

Hier ist findet ihr die Anleitung zu dem süßen, kleinen Fuchs🫶🏻🥰

Türchen 8

Hinter Türchen 8 findet ihr eine Dystopie der besonderen Art:

Martha: Anarchie

von Franziska Szmania

„Egal, wie oft die Ebbe uns zurückreißt, wir kommen zurück.

Wir sind die Flut. Unaufhaltsam. Erbarmungslos. Eine Naturgewalt. Der Staub zu unseren Füßen wirbelt und bäumt sich zu einer Sturmwolke auf. Ohne mit der Wimper zu zucken, gehe ich weiter. Fühle die Kraft der Frauen um mich herum. Ihre Nähe gibt mir die nötige Zuversicht. Ich spüre ihre Wut, als wäre sie meine.“

Die Rebellion gegen Präsident Adam war erfolgreich, aber der Kampf um die Freiheit der Frauen ist noch nicht vorbei.
MARTHA Anarchie ist Teil der Selvia-Reihe. In sich abgeschlossen und kann eigenständig gelesen werden!
Enthält Szenen mit Angst, Gewalt und Tod.

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Das Paket

Kurzgeschichte aus Selvia

Eine dunkle Pfütze taucht vor Eva auf und sie kann gerade noch rechtzeitig über sie hinweg springen. Es ist mit einem Schlag so dunkel geworden, dass sie kaum ihre Hand vor Augen sieht. Dabei ist es noch nicht mal Abend. Die Straßenlaternen sind ausgefallen, zerstört von Randalierern und Gegnern des neuen Präsidenten.

Mit raschen Schritten eilt Eva die Straße entlang. Der Wind bläst ihr unangenehm die Hagelkörner ins Gesicht und sie sehnt sich nach der Wärme ihres Zuhauses. Die dunklen Wolken hängen so tief, dass selbst die kleineren Hochhäuser in ihnen verschwinden.

Der Winter zeigt sich dieses Jahr von seiner grauen Seite. Schnee hätte den Beton der Stadt wenigstens verdeckt und etwas Helligkeit in die Straßen von Selvia gebracht. Doch der Matsch, Regen und Hagel passen zur angespannten Situation auf der Insel. Zumindest bleiben bei diesem Wetter die Randalierer zu Hause.

Tief zieht Eva ihre Mütze ins Gesicht und läuft dicht an der Häuserwand entlang, um dem Wind und Hagel so wenig Angriffsfläche wie möglich zu geben. 

Ihre Füße stoßen gegen etwas Hartes und Eva stolpert zur Seite. Erschrocken stützt sie sich mit den Händen an der Wand ab. 

»Verdammte Wasserboje«, schimpft sie laut und sucht gebückt den Weg nach dem Hindernis ab. Es ist schwer, bei diesem Wetter überhaupt etwas zu erkennen.

Sie tastet sich vorsichtig einen Schritt weiter und berührt mit ihrem Schuh eine dunkle Kiste, die auf dem Weg steht. Überrascht richtet sie sich auf. Doch sie ist allein.

Wer könnte sie verloren haben? Eva hebt die Kiste auf und begutachtet sie misstrauisch. Das Paket besteht aus festem Papier und kaum erkennbare Bilder sind darauf geklebt. Unbehaglich schaut sie sich um.

Man lässt in Selvia nicht einfach etwas auf der Straße stehen, schon gar nicht aus Papier – einem Rohstoff, der rar ist. Den Verlierer erwarten harte Strafen. Auch diese Gesetze hat Abel nicht geändert. Wobei das weniger verachtenswert ist, als die Beibehaltung der Gesetze zum angeblichen Schutz der Frau.

Ein Schutzmann kommt um die Ecke. Er läuft langsam, aber konzentriert die Straße herunter. Ihn scheint das Wetter nicht zu stören.

Eva wird es heiß und kalt zugleich. Wenn sie die Kiste jetzt abstellt, könnte er sie als die Verunreinigerin halten. Sie drückt das Paket an ihren Körper und eilt weiter.

Egal wer die Kiste verloren hat, sie hat ihm einen Gefallen getan, versucht sie sich einzureden. Außerdem muss sie zurück ins Waisenhaus. Sie hat keine Zeit, einem von Abels Männern die Wahrheit zu erklären. Und würden sie ihr glauben? Niemals. Sie ist eine Frau. 

Eva verdrängt den Gedanken und konzentriert sich auf den Nachhauseweg. Ruth erwartet sie. Sie wollte heute Haferkekse backen. Die Kinder werden sicher schon ungeduldig am Tisch sitzen und jammern. Ihre Schritte werden schneller.

Endlich taucht das Waisenhaus, ein alter, zusammengedrückter Bau zwischen zwei modernen Hochhäusern, auf. Das Heim hat nur drei Etagen und wirkt völlig deplatziert zwischen den grauen Betonklötzen mit ihren sieben Stockwerken. An einigen Stellen kann man sogar Holzbalken durch den Putz erkennen. 

Eva eilt die breite Treppe zu einer verzierten Tür hoch und betritt die Eingangshalle des Waisenheimes, welches heute als Unterschlupf für acht Erwachsene und vier Kinder dient. Doch für wie lange noch?

Einen Moment lang schnürt die Angst vor Abel und seinen Strafen ihr die Luft ab. »Es geht allen gut«, murmelt sie und atmet tief durch.

Vorsichtig legt Eva das Paket ab und schält sich aus ihrem schweren, nassen Mantel. Auf dem Holzboden bildet sich um ihre Füße herum eine Pfütze.

Was soll sie jetzt mit dem unerwarteten Fund machen?

Sie hängt ihren Mantel auf und legt die DV-Uhr ab, damit niemand von Abels Spitzeln sie belauschen oder gar beobachten kann.

Das Heim duftet herrlich nach den Haferkeksen und Evas Magen knurrt auf.

»Eva«, ruft ihr eins der Mädchen entgegen und stürmt aus dem Spielzimmer. Eva drückt sie an sich. »Hallo Julia. Alles gut?«

»Ja, wir durften beim Kekse backen helfen.«

»Aber Ruth hat geschimpft.« Toms pausbäckiges Gesicht taucht neben Julia auf und er winkt zaghaft. Wenn niemand da ist, umarmt er Eva, aber in Anwesenheit der Mädchen möchte er sich keine Blöße geben. Zu tief sitzt die Erziehung seines Vaters. Eva versteht das nur zu gut. Auch sie hat lange gebraucht, um zu verstehen, dass Frauen und Männer gleich sind. 

Mit dem ehemaligen Rebellenanführer und neuen Präsidenten Abel hätte dies Wirklichkeit werden sollen, stattdessen hält er weiter an Adams Politik fest und behauptet, die Frau müsse vom Mann beschützt werden. Was bedeutet: keine Rechte, keine Verantwortlichkeiten, keine Möglichkeiten.

»Warum hat Ruth geschimpft? Habt ihr mit schmutzigen Fingern am Teig genascht?«, fragt Eva die Kinder und unterdrückt ein Lächeln. Sie kann sich das nur zu gut vorstellen.

»Nein«, antwortet Eddi mit entrüsteter Miene. »Sie hat geschimpft, dass man mit Wasser und Haferflocken keine leckeren Kekse backen kann.«

»Und sie hat gesagt: ›Abel sollen die Quallen holen‹«, flüstert Maria, die mit dem Jüngsten auf dem Arm, Klöpschen, zu ihnen gestoßen ist. 

»Sowas aber«, flüstert Eva zurück und hält sich gespielt die Hände vor dem Mund.

»Was gibt es denn hier zu bestaunen?« Chamuels tiefe Stimme dröhnt durch die Halle und die Kinder schauen auf. »Ah, eine tolle Frau. Darf ich die Dame des Hauses auch begrüßen?« Chamuel hebt Tom hoch, beugt sich zu Eva und drückt ihr einen Kuss auf die Lippen. Sofort möchte Eva sich in seine Arme fallen lassen, um sich an ihrem Freund aufzuwärmen. Doch die Kinder brüllen laut ein »Iiiih« und schieben sie lachend auseinander.

»Na wartet, ihr Rabauken!«, ruft Chamuel und die Kinder rennen kreischend davon. Schon beginnt eine wilde Tobejagd. 

Sollen sie den Spaß genießen, ehe Helene ihn unterbindet, denkt sich Eva und greift das Paket. ›Was solls.‹ Jetzt kann sie aus der Not auch eine Tugend machen. Die Kinder könnten eine Überraschung gebrauchen. Die Erwachsenen ebenso.

Mit dem Paket eilt sie in die Küche, um Ruth zu begrüßen. »Es riecht verführerisch, Ruth.«

»Das sind Kekse, bestehend aus Wasser und Haferflocken. Ich bitte dich!«

»Und Zimt. Wenn mich meine Nase nicht täuscht.«

»Das letzte bisschen was wir hatten, und das letzte halbe Paket Butter.«

»Mhm, und eine Suppe hast du auch gezaubert? Du bist der Wahnsinn.« Eva will sich auf keinen Fall von Ruths schlechter Laune herunterziehen lassen.

Ein kalter Wind fegt durch die Küche. Die Eingangstür knallt zu.

»Entschuldigung!« Marthas Stimme klingt kratzig. 

Mit dem Paket unter dem Arm verlässt Eva die Küche, um den Essenstisch vorzubereiten. Auf dem Weg ruft sie über die Schulter: »Ich habe etwas auf der Straße gefunden, und wenn alle brav den Tisch decken, packen wir es gemeinsam aus.«

Die Kinder lassen sofort von Chamuel ab und rennen zu Ruth, um Teller und Tassen zu holen.

Erneut öffnet sich die Eingangstür und Salomé kommt herein. Eva fröstelt es.

»Ihr werdet es nicht glauben, ich habe Tee bekommen.« Salomé tritt sich die Schuhe am Eingang ab und schließt die Tür. Sofort ist es leiser. Der Sturm scheint immer schlimmer zu werden.

»Du bist meine Rettung«. Ruths Stimme klingt gleich fröhlicher und Eva freut sich auf eine heiße Tasse Tee. Drinnen ist es zwar wärmer als draußen, aber sie können sich das Aufheizen dieses Gebäudes nicht unbedingt leisten und müssen, seit Abel ihnen die Unterstützung versagt hat, sparen.

Wie lange werden sie die Kinder hier versorgen und behüten dürfen? Mit Schaudern starrt Eva die Eingangstür an.

»Worum sorgst du dich?« Chamuel umarmt sie und drückt ihr einen Kuss auf den Scheitel. 

»Dass jederzeit die Schutzmänner kommen könnten und die Kinder abholen.«

»Das werden sie nicht. Abel hat genug anderes zu tun. Glaub mir. Die Stadt brennt an allen Enden.«

»Davon habe ich nichts gemerkt, mir war es draußen eher zu kalt.«

Er lacht auf. »Du Komikerin.«

Eva grinst Chamuel verschmitzt an und lehnt sich an ihn.

Chamuel schaut auf das Paket in ihren Händen. »Was hast du da mitge…«

»Wir sind fertig!«, wird er von Tom unterbrochen.

»So schnell?«, freut sich Eva und begutachtet stolz den Tisch. Die Kinder haben an alles gedacht. Teller, Gabeln und Tassen.

Helene, die Älteste im Haus und Lehrerin der Kinder, betritt den Essensraum und sofort legt sich ihre Stirn in Falten. »Wie sieht das denn aus? – die Tasse nach rechts. Die Gabel an die Seite des Tellers. Das Auge isst mit!« Ihre strenge Stimme sorgt sofort dafür, dass die Kinder langsamer werden. »Jawohl, Frau Helene«, antworten sie im Chor und schieben Tassen und Gabeln an die richtige Stelle. Gerade rechtzeitig, ehe Ruth mit einem großen Teller Kekse herein kommt.

Salomé trägt dahinter eine Kanne dampfenden Tees. Seufzend lässt sich Eva am Tisch nieder.

Im Nu sitzen Kinder und der Rest der Erwachsenen.

»Wer möchte heute den Dank aussprechen?«, fragt Helene in die Runde.

»Ich«, wispert Julia und steht auf. »Danke Ruth für die Kekse. Danke Salomé für den Tee.«

»Aber was ist das denn jetzt für ein Paket, Eva?«, plappert Eddie mitten in den Dank hinein.

»Eddie!«, ruft Helene entrüstet.

»Das wüsste ich jetzt aber auch zu gerne«, sagt Chamuel.

»Paket? Ich dachte, es gibt Kekse.« Aaron drängt sich auf den freien Platz zwischen Martha und Salomé und grinst in die Runde.

»Paket, Paket«, rufen die Kinder im Chor.

»Ist ja gut.« Eva steht auf und hebt das Paket hoch. Vorsichtig hebt sie den Deckel hoch und schaut hinein. Ein dickes Buch, eine Tischdecke und sechs längliche Stangen befinden sich darin, außerdem gefaltete Papiersterne und Kugeln aus zerbrechlichem bunten Glas.

Unglaublich. Gegenstände, die keinen Nutzen haben, sind selten auf der Insel.

Nacheinander holt Eva alles vorsichtig heraus.

»Niemand fasst etwas an«, sagt Helene mahnend, ehe eins der Kinder die Kugeln anfassen konnte.

»Ach menno«, meckert Tom sofort los.

Eva nimmt ehrfürchtig das dicke Buch heraus. »Gebräuche und Sitten auf dem Festland«, liest sie laut vor.

»Ein Buch über das Festland?« Martha erhebt sich ebenfalls, um einen Blick auf das Buch zu werfen.

An einer Stelle ragt ein weiterer Stern heraus und Eva schlägt die markierte Seite auf. »Weihnachten. Das Fest der Liebe und Geschenke.«

»Weih- bitte was?« Martha lässt sich zurück auf den Stuhl fallen und lehnt sich an Aaron. »Das klingt wie von weihen, einweihen oder so.«

»Weihnachten hat seinen Ursprung in der christlichen Religion. Sie ist eine geweihte Nacht, in der Gottes Sohn geboren wurde. Die Gläubigen feiern an diesem Tag seine Geburt«, liest Eva vor.

»Ich dachte, die Festländer haben es nicht so mit Religion«, murmelt Chamuel.

Eva zuckt mit den Schultern und sucht die Stelle, wo sie stehen geblieben war. »Da viele sich von der Religion abgewendet haben, hat sich das Fest im Laufe der Zeit gewandelt. Heute gibt es zwei Versionen, wie Weihnachten gefeiert wird. Die Gläubigen feiern weiterhin die Geburt und meinen, dass das Kind als Engel, Christkind genannt, auf die Erde kommt und alle beschenkt.«

»Wie bitte, Engel? Die bringen doch nur Unheil und Strafen. Na vielen Dank, auf diese Geschenke kann ich verzichten.« Aaron schüttelt den Kopf.

Eva liest weiter. »Die Festländer, die an keinen Gott glauben, behaupten, ein alter dicker Mann namens Weihnachtsmann kommt heimlich in der Nacht und bringt in einem Sack die Geschenke.«

»Das wird ja immer besser«, ruft Helene überrascht aus. »Ein Mann, der ins Haus einbricht und Geschenke bringen soll. Die Festländer spinnen doch.«

Die Kinder lachen über den Ausbruch ihrer Lehrerin.

»Die Weihnachtszeit ist die beliebteste Zeit der Festländer. Alles wird mit Lichtern geschmückt, Kerzen werden angezündet.« Eva hält inne und schaut in die Kiste. »Oh schaut mal!« Sie dreht das Buch um und zeigt auf das Bild, wo die Stangen am oberen Ende ein kleines Feuer haben und ein Tisch mit Sternen und Essen dekoriert ist. »Dieselben Dinge befinden sich im Paket.«

Sofort breitet Julia die Tischdecke aus. Salomé kann gar nicht schnell genug die Teekanne in Sicherheit bringen. Marie verteilt die Sterne und hält die Kerzen in die Luft. »Jetzt sieht unser Tisch aus wie auf dem Bild.«

»Etwas fehlt.« Aaron steht auf und verlässt den Raum. Kurz darauf ist er mit zwei dünnen Gläsern zurück. »Probiert mal, ob die Kerzen da rein passen.«

Etwas schief, aber aufrecht stehen die Stangen in den Gläsern. Alle klatschen begeistert in die Hände.

»Zum Fest treffen sich Familie und Freunde, kochen und essen gemeinsam und beschenken sich gegenseitig. Es werden Weihnachtslieder gesungen und Gedichte aufgesagt. So erhellt die Liebe die dunkle Jahreszeit.« Mit diesen Worten schließt Eva das Buch. »Schön, oder?«

Tom steht so abrupt auf, dass sein Stuhl umfällt.

»Tom. Ich bitte dich.« Helene hebt den Zeigefinger, doch er beachtet sie gar nicht und rennt hinaus. 

Mit einem kleinen Beutel kommt er wieder. »Ich habe einen Sack mit Geschenken«, ruft er aus. Er schüttet sein Säcklein aus und präsentiert eine Sammlung von Steinen. »Sie haben alle eine andere Form«, erklärt er. »Das hier ist ein Herz. Das schenke ich …« Er errötet und schaut zu Boden. »Eva«, murmelt er weiter. 

»Ach, danke du Lieber.« Eva nimmt den Stein und drückt ihn an ihre Brust. »Er sieht wirklich aus wie ein Herz.«

Tom räuspert sich und untersucht erneut seinen Steinhaufen. »Der hier ist ein Teddy, den bekommst du, Julia. Der Klops ist für Klöpschen.« Alle lachen. »Und der ist wie ein Zahn eines Haies. Für dich, Aaron.«

»Oh toll. Danke Tom.«

Nacheinander verteilt Tom seine Geschenke. Jeder Stein wird bewundert. 

»Wir haben zusammen gekocht, wir hatten einen Weihnachtsmann und wir haben etwas Leckeres zum Essen. Jetzt müssen wir singen, dann sind wir wie die Festländer«, ruft Maria aus.

Ruth stimmt sofort ein Lied an. Alle singen mit. Eva wird es warm ums Herz. 

Drei Lieder später ruft Salomé: »Jetzt wollen wir aber die Kerzen zum Brennen bringen. Zeig mir nochmal das Bild.« Sie starrt kurz in das Buch, dann nimmt sie die Stangen und verschwindet in der Küche.

Langsam kommt sie einige Augenblicke später zurück. »Kann sein, dass es jetzt etwas verbrannt in der Küche riecht«, meint sie verlegen. Winzige Flammen tanzen über den Kerzen.

»Wie hast du das hinbekommen?«, ruft Eva begeistert. Vorsichtig werden die Kerzen zurück in die Gläser gesteckt. Die Kerzen verteilen ein rot-orangenes Licht, alles wirkt plötzlich gemütlicher und wärmer.

»Das sieht so schön aus«, sagt Julia und schaut verträumt auf die flackernden Kerzen.

»Aber jetzt hätte ich gerne einen Keks«, ruft Aaron und sofort greifen alle Kinder lachend zu.

»Nicht so stürmisch«, versucht Helene die Kinder zurückzuhalten, doch dann muss sie mitlachen und schnappt sich ebenfalls einen Keks, was wieder Lacher hervorbringt. 

Die Kekse schmecken herrlich, das muss am Ende sogar Ruth zugeben. »Mit den richtigen Menschen schmecken selbst diese Kekse wie ein Festmahl«, ruft sie aus.

Frohe Weihnachten!

Ende

Liebe Lesende,

Danke für deine Zeit. Wenn dir die Kurzgeschichte gefallen hat, würde ich mich sehr über Feedback freuen. Vielleicht hast du auch Lust bekommen, mehr von EVA und MARTHA zu lesen.

Besuch mich gerne auf meiner Website: www.szmania.org.

Du findest mich auch auf Instagram: @franziska_szmania oder schreib mir eine E-Mail: schriebsal@szmania.org. Ich freue mich immer über Le­serpost.

Dystopische Grüße, deine Franziska

Türchen 7

Und schon ist Nikolaus wieder vorbei und wir öffnen Türchen 7:

Das Buch kann ich euch wirklich nur ans Herz legen, denn der Genre-Mix ist einfach unglaublich gut.

Ardantica: Der Obsidian

von Carolin A. Steinert

Die Suche nach dem Bösen ist nichts, was in das geordnete Leben der ängstlichen Mathematikstudentin Leyla passt. Doch ausgerechnet sie erblickt und durchschreitet einen Übergang in das magische Land Naurénya, das durch einen ungewöhnlichen Zauber nach und nach von schwarzem Stein überzogen wird. Die dortige Bevölkerung ist ratlos. Trotz der Fähigkeit die Elemente zu beherrschen, kennen sie keinen Weg das Unheil aufzuhalten. Bald schon muss Leyla entscheiden, ob sie verdrängen will, was sie gesehen hat oder ob sie bereit ist, nach der Ursache der Versteinerung zu suchen – um eine Welt zu retten, deren Vernichtung auch ihr eigenes Leben gefährden könnte.

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Eine magische Wettfahrt

Eisiger Wind wehte Theodor van Raiken ins Gesicht. Er schlug den Kragen seines Mantels höher und stapfte weiter durch den Schnee. Inzwischen waren seine Schuhe und Socken durchgeweicht und seine Füße kalt. Im Nachhinein war es eine dumme Idee gewesen, bei dem Wetter herzukommen, aber er hatte eine Pause gebraucht. Einfach mal ein paar Stunden ohne den Trubel, die Verantwortung, das ganze Gerede – ohne seinen Vater und dessen Thron-Besessenheit.

Er seufzte leise und festigte seinen Griff um die Skier, die er auf seinen Schultern trug. Vielleicht sollte er …

Ein kaum wahrnehmbares Knirschen ließ ihn innehalten – sofort fuhr er herum und hob die freie Hand. Bereit einen Angriff abzuwehren.

Gelbe Augen starrten ihn an. Sie gehörten zu einer riesigen, schwarzen Raubkatze, die die spitzen Zähne bleckte.

Theodor ließ die Hand sinken. »Verfolgst du mich?«

Die Umrisse der Raubkatze veränderten sich, dehnten sich aus und innerhalb weniger Sekunden stand ein großer Mann vor ihm.

»Sollte ich?«, fragte der Gestaltwandler.

Theodor zog abschätzig eine Augenbraue hoch. »Was willst du, Pan?«

»Nichts. Ich war nur neugierig, was dich ins Gebirge verschlägt. Ich habe mit vielem gerechnet, aber das …« Er deutete auf die Skier. »… übersteigt meine kühnsten Vorstellungen.« Pan sah aus, als müsste er sich arg zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Ärger stieg in Theodor auf.

»Was ist daran so komisch? Ich kann gut Ski fahren.«

Pan legte den Kopf schief und seine gelben Augen blitzten. »Tatsächlich? Richtig gut? So gut, dass du dir ein Wettrennen zutrauen würdest?«

»Du hast keine Skier dabei.«

Der Gestaltwandler machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin ein Panther. Ich stelle mich nicht auf zwei Holzbretter. Aber ich trete gerne gegen dich an – auf vier Beinen.«

Theodor überlegte einen Moment. Warum eigentlich nicht. In dem tiefen Schnee kam der Panther gewiss nicht schnell vorwärts.

»Schön«, sagte er, legte sein Gepäck ab und schnallte sich die Skier unter die Füße. »Wer als erstes unten bei den Bäumen ist.«

»Ich hoffe, du kannst gut verlieren, van Raiken.«

»Schau dir nochmal die Umgebung an, gleich siehst du nämlich nur noch meinen weißen Schneestaub.« Theos Ehrgeiz war geweckt und verdrängte den ganzen Ärger, den er die letzten Tage gehabt hatte.

»Auf die Plätze, fertig …«, sagte Pan.

Sie sahen sich an.

»Los.«

Mit Schwung stieß Theo seine Stöcke in den Schnee und drückte sich ab. Im gleichen Moment verwandelte Pan sich und machte einen Satz vor. Erwartungsgemäß versank er im Schnee. Theodor unterdrückte ein Grinsen, während er an Fahrt zulegte. Ein Stein ragte vor ihm aus dem Schnee. Er aktivierte seine Magie, stieß sich ab und schwebte darüber – als plötzlich eine Feuerwand an ihm vorbeijagte und den Schnee neben ihm schmolz. Gleich darauf schoss eine schwarze Gestalt an ihm vorbei.

Theodor fluchte. »Hey, ohne Magie!«

Pan verwandelte sich in Sekundenschnelle. »Du hast angefangen«, rief er, bevor er als Panther weiterpeste.

»Na, warte.« Mit einer winzigen Handbewegung ließ Theo den Wind auffrischen und sich ordentlich anschieben. Mit seiner Luftmagie würde er schon gewinnen.

Der Abstand zu dem Panther wurde geringer. Noch einmal aktivierte Theodor seine Elementkraft und ließ sich vom Wind durch die Luft tragen. Jetzt war er dem Panther ganz nah. Da verwandelte dieser sich erneut und ein riesiger Feuerball sauste auf Theo zu. Er hatte Mühe der Elementkugel auszuweichen. Sofort setzte er zum Gegenangriff an. Eine heftige Böe erfasste den Panther und stieß ihn zur Seite. Pan fauchte, was Theo noch weiter anstachelte. Während er den Hang hinuntersauste, hob er mit seiner Magie den Schnee an. Es gelang ihm, direkt vor Pans Nase einen Berg zu formen. Die Raubkatze strauchelte und landete mit der Nase in dem kalten Weiß. Theo fuhr an ihm vorbei. Inzwischen hatte er ein ganz schönes Stück zurückgelegt und die Bäume, die das Ziel markierten, kamen immer näher. Er sah über die Schulter, um seinen Abstand zu Pan zu prüfen. Da zog etwas an seinem rechten Ski. Theo taumelte. Ein Ruck ging durch seinen Körper und er fiel, während irgendetwas ihn weiter festhielt. Stöhnend rappelte er sich ein Stück auf.

»Mist!«, murmelte er. Sein Ski hatte sich in einem knorrigen Strauch verheddert, der Theo nun unbarmherzig festhielt. Mit den Händen versuchte Theodor seinen Fuß zu erreichen, was gar nicht so einfach war.  Eine Bewegung in seinem Augenwinkel ließ ihn innehalten. Pan näherte sich ihm. Rückwärts und in Slow Motion wanderte er in seiner menschlichen Gestalt an Theo vorbei.

»Sieht interessant aus, was du da machst. Was ist das? Dieses Yoga von dem Leyla erzählt hat?« Der Gestaltwandler bückte sich, hob die Mütze auf, die Theo bei dem Sturz verloren hatte, und setzte sie auf. »Die borg ich mir mal aus. Bei dem Tempo werden meine Ohren ganz kalt.« Und in übertriebener Zeitlupe machte er sich daran, den Abhang weiter hinunterzulaufen.

»Na, warte!«, rief Theo und zerrte an seinem Fuß, den der Strauch partout nicht freigeben wollte. Schließlich bog er die kleinen Äste mit seiner Magie auseinander. Endlich war er frei. Hastig rappelte er sich auf. Sein Blick traf Pans. Kaum registrierte der Gestaltwandler, dass sein Konkurrent wieder auf den Beinen war, beendete er seine Slow Motion, verwandelte sich und rannte gen Ziel. Sofort machte sich Theo an die Verfolgungsjagd. Seine Stöcke hatte er längst verloren, aber wozu hatte er seine Magie. Wieder wurde er schneller und schneller. Aber Pan war immer noch vor ihm – Theos rote Mütze auf den schwarzen Katzenohren.

»Jetzt hab’ ich dich!«, rief Theo und frohlockte innerlich, weil ihm der kleine Wettkampf so viel Spaß machte. Er aktivierte seine Magie. Ein kleiner Luftstoß reichte und die Mütze rutschte Pan auf die Nase und versperrte ihm die Sicht. Der Panther strauchelte, überschlug sich und wirbelte den Schnee auf. Jetzt konnte Theo ihn einholen. Zielsicher hielt er auf die Bäume zu. Er überholte Pan – als plötzlich das weiche Weiß vor ihm schmolz. Sofort versuchte er sich mit Magie zu retten, aber er war zu langsam. Erneut fiel er und schlitterte neben Pan auf dem Bauch den restlichen Abhang hinunter.

Keuchend drehte Theo sich schließlich auf dem Rücken. »Du Mistvieh«, brachte er schnaufend hervor.

Pan lachte leise. »Und?«, fragte er. »Geht es dir jetzt besser?«

Der Gestaltwandler war wirklich unmöglich. Woher wusste er … Theo rappelte sich auf. »Noch nicht.« Er machte einen großen Satz auf den nächsten Baum zu und schlug gegen den Stamm. »Erster«, sagte er zufrieden.

In dem Moment schüttelte sich der Baum und warf eine Ladung Schnee auf Theo. Kälte rann über seinen Nacken und seinen Rücken hinunter.

Pan johlte. »Der Sieg sei dir gegönnt.«

Ende

Wenn du mehr über die Protagonisten erfahren willst, hüpf rüber zur Autorin

Türchen 5

Heute versteckt sich hinter dem 5. Türchen des Selfpublishing-Adventskalenders eine Anthologie:

Write my Story: Anthologie

Träume, die wahr werden …

Zum zweiten Mal in Folge bringt J. M. Weimer eine Anthologie zusammen mit talentierten Autorinnen und Autoren heraus. Dieses Jahr stellte sie allen die Herausforderung, einen Song ihrer Wahl neu zu schreiben, neu zu interpretieren. Dabei durften sich die Talente in allen Genres bewegen und ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Das Ergebnis ist eine einzigartige Playlist und fast vierzig wundervolle Geschichten.

Jetzt heißt es: Kopfhörer rein, Buch auf und Welt aus. Lass dich von den Liedern und ihren Geschichten davontragen.

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Unter anderem ist die Anthologie von Melanie Mur, Hailey M. Evanson und J. M. Weimar.

Gewinnen könnt ihr heute unter dem Beitrag auf Instagram ein Print-Exemplar der Anthologie, herausgegeben von J. M. Weimar, und wenn ihr wollt, signiert von Hailey M. Evanson.

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Die magische Begabung

von Hailey M. Evanson

„Guck mal, Malvina! Ich kann es jetzt schon alleine“, rief Carwyn und hielt die Hände in die Höhe. Auf wackligen Beinen versuchte er, das Gleichgewicht zu halten und nicht zu angestrengt auszusehen.

„Wow! Ich bin wirklich beeindruckt, wie schnell du es gelernt hast“, sagte sie und lief locker zu ihm herüber.

Carwyn grinste stolz und beobachtete, wie leichtfüßig sie über das Eis glitt, als würde sie in ihrem Leben nichts anderes tun. Sie konnte sogar ein paar Sprünge und eine Pirouette, etwas, das er nicht mal ausprobieren würde. Er würde sich dabei sicherlich alle Knochen brechen. Aber er hatte innerhalb weniger Tage das Eislaufen gelernt und konnte eigenständig eine kurze Strecke fahren. Das war für ihn eine Meisterleistung.

Gekonnt bremste Malvina vor ihm und reichte ihm die Hand. „Wollen wir dann etwas weiter in den See hineinfahren?“

„Können wir machen, aber langsam, okay?“

„Natürlich, wir wollen ja nicht, dass du hinfällst.“

„Hey! Heute bin ich kein einziges Mal gestürzt, Malvina.“

„Ich weiß, ich habe dich beobachtet“, sagte sie und zwinkerte ihm zu.

Carwyn hielt ihre Hand fest, ließ seine Füße vorsichtig über das Eis gleiten und versuchte, eine gute Balance zu finden. Er ging leicht in die Knie, behielt den Oberkörper aufrecht und ließ seinen Blick über die Winterlandschaft schweifen. Bereits seit einigen Monden war der Wald das reinste Winterparadies. Die Bäume waren weiß, der Schnee stand hoch und der See war wie jedes Jahr zugefroren. Etwas, das Malvina natürlich sofort ausnutzte. Wenn sie nicht zum Jagen in den Wald ging, dann fand man sie auf der Eisfläche. Heute war ein besonders schöner Tag. Die Sonne stand tief, schien golden durch die Baumkronen und wärmte sein Gesicht. Es war nicht mehr ganz so kalt wie in den letzten Tagen, dennoch benötigte er seine dicksten Lederhosen und seine Pelzhandschuhe. Eine Wollmütze, die Malvinas Mutter ihnen zu Weihnachten geschenkt hatte, bedeckte seinen Kopf. Darunter lugte sein krauses langes Haar hervor, das ihm fast bis zu den Schultern fiel.

„Nun alleine, Carwyn“, meinte sie und ließ seine Hand los. Carwyn nickte, streckte seine Arme aus und konzentrierte sich darauf, nicht hinzufallen. Als er zum Stillstand kam, klatschte Malvina hinter ihm.

„Das machst du wirklich sehr gut. Vielleicht können wir nächstes Mal mit ein paar Stückchen anfangen, hm?“ „Ne, Malvina. Ich bin schon froh, wenn ich geradeaus fahren kann“, sagte er lachend und kratzte sich am Hinterkopf.

„Ich weiß doch. Hast du etwas dagegen, wenn ich mal eine ordentliche Runde drehe? Du kannst ja weiterhin üben.“ „Nein, natürlich nicht. Tob‘ dich ruhig aus.“

Sie strahlte ihn an, warf ihre dunkelblonden Locken über ihre Schultern und richtete ihre Mütze. „Kannst du meinen Mantel halten?“

„Wird dir denn nicht zu kalt?“

„Ne, der behindert mich nur. Außerdem wird mir beim Eislaufen immer ganz warm.“

Sie löste ihre Knöpfe und reichte ihm den dicken Pelzmantel. Darunter trug sie ein seidiges Hemd und eine braune, enganliegende Weste, die sie gemeinsam letzte Woche auf dem Markt gekauft hatten. Rasch zupfte sie ihre Kleidung zurecht, nahm Anlauf und flitzte über das Eis. Schneller, als sie jemals rennen könnte. Sie ging in die Knie, sprang in die Lüfte und drehte sich um ihre eigene Achse. Elegant setzte sie wieder auf und fuhr weiter, als wäre nichts gewesen. Mehrere Male hintereinander. Dann zog sie große Kreise um den See und sah dabei so glücklich aus, wie Carwyn sie noch nie gesehen hatte. So frei und unbesorgt, auch wenn ihr Leben in Cattaloh alles andere als einfach war. Es waren die kleinen Momente wie dieser, in denen sie den Alltag in der Stadt vergessen konnten.

Carwyn wandte sich von ihr ab, drückte ihren Mantel fest an seine Brust, der stark nach ihrem Parfüm roch, und versuchte, langsam über das Eis zu gleiten. So wie sie würde er niemals fahren können, doch dafür konnte er mit dem Schwert umgehen und Mandoline spielen. Er musizierte gerne abends mit einem guten Met am Feuer oder in der Schankstube. Manchmal sangen sie auch gemeinsam mit ihren Freunden. Vor allem in der Winterzeit kam die Stadt zusammen und tauschte sich auf einem der wöchentlichen Märkte aus. In der Vorweihnachtszeit waren die Stände besonders schön. An jeder Ecke gab es warme Getränke und leckere süße Speisen. Überall roch es nach Zimt, Nelken und Vanille, aber auch nach herzhaften Düften wie Speck, Käse und Gewürzwein. Er liebte die Winterzeit.

Malvina rauschte an ihm vorbei und Carwyn verlor das Gleichgewicht. Wild schlug er mit den Armen aus und ließ den Mantel fallen. Doch fing er sich schnell wieder und versuchte mühevoll, den Pelz aufzuheben, ohne dabei auszurutschen.

„O Carwyn, das tut mir leid. Hier“, sagte Malvina und reichte ihm das Kleidungsstück. „Wollen wir noch gemeinsam ein Stück laufen?“

Er winkte ab. „Nein, ist schon okay, ich halte mich doch ganz gut alleine. Fahr ruhig.“ „In Ordnung“, sagte sie lächelnd und sauste wieder davon.

Carwyn sah ihr grinsend hinterher, dann fuhr er gedankenversunken umher. Mittlerweile musste er sich dabei gar nicht mehr so sehr anstrengen. Zwar kam er immer wieder ins Wanken, doch konnte er sich ausbalancieren, um nicht zu stürzen. Er dachte darüber nach, was sie an ihrem gemeinsamen freien Tag noch machen konnten. Viel Zeit hatten sie nicht mehr, die Sonne würde bald untergehen. Sie könnten über den Stadtmarkt schlendern, sich Zimtrollen und einen Wein kaufen, und den Abend in der Schankstube ausklingen lassen. Vielleicht würden sie auch einmal die teure Stube vorne am Stadttor ausprobieren. Diese sollte wohl besonders gut sein.

Ein Knacken unter seinen Füßen riss ihn aus seinen Gedanken. Carwyn sah an sich hinab und wurde augenblicklich langsamer. Er bemerkte einen dicken Schlitz in der Eisfläche und blieb stehen. Hektisch sah er sich um – Malvina war in der Ferne. Das Eis knirschte weiter unter seinen Füßen, er holte tief Luft und rührte sich nicht mehr. Carwyn wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Er befand sich auf dünnem Eis und musste jetzt sehr vorsichtig sein. Doch was tat man in solch einer Situation? Er war Schwertkämpfer und kein Eisläufer.

Behutsam setzte er den Fuß auf dem Eis auf – die Fläche knackste wieder und der nächste Spalt zeigte sich. Außerdem hatte er das Gefühl, dass die Stelle unter seinen Füßen auf einmal merkwürdig nachgab … Er musste hier weg, schnell! Fiel er ins Wasser, so würde er sich den Tod holen.

Carwyn presste seine Lippen zusammen, drückte den Mantel enger an seinen Körper und betete zu den Göttern, er möge heil vom Eis kommen. Doch diese hatten andere Pläne. Bei dem nächsten Schritt verlor er das Gleichgewicht, stürzte auf die Eisfläche und brach hindurch. Ehe er sich versah, umgab ihn die eisige Kälte des Sees. Panisch schlug er mit den Händen umher, um zurück zur Wasseroberfläche zu gelangen, doch das Schwimmen hatte er nie gelernt. Das eiskalte Wasser bohrte sich in seinen Körper wie tausend Messerstiche, seine schwere Kleidung zog ihn weiter hinunter. Er wusste, dass er verloren hatte. Auch ohne häufig Eiszulaufen hatte er mitbekommen, dass die Menschen hier ertranken und eine Rettung aussichtslos war. Trotzdem gab er nicht auf, das konnte er einfach nicht!

Er ließ den Mantel fallen, versuchte eisern, sich an die Oberfläche zurückzukämpfen, auch wenn er das Gefühl hatte, weiter nach unten zu sinken. Er probierte es immer wieder, bis das Eis nicht mehr in greifbarer Nähe war und er von der Dunkelheit des Sees verschlungen wurde. Sein Körper war taub vor Kälte, seine Lunge brannte und er spürte, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Er hatte keine Kraft, konnte sich nicht bewegen und glitt nur noch leblos durch das eisige Wasser, als er plötzlich etwas Helles entdeckte. Der leuchtende Fisch kam direkt auf ihn zu, würde ihn vermutlich angreifen, doch Carwyn konnte nichts dagegen tun.

Das Tier wurde immer größer und zu seiner Überraschung erkannte er, dass es gar kein Fisch, sondern eine Frau war. Grüne lange Locken schmückten ihr Gesicht, ihr Körper war von einem leuchtenden Schimmer umgeben und spendete ihnen etwas Licht. Doch das auffälligste waren ihre Beine. Sie waren fest verschmolzen, von unzähligen goldenen Schuppen übersät, und an ihren Füßen zeigte sich eine fischige Schwanzflosse.

Was machte denn eine Frau mitten in diesem eisigen Gewässer? Und weshalb trug sie solch merkwürdige Fischflossen? Er musste träumen oder den Verstand verloren haben. Vermutlich war er bereits zu lange ohne Luft hier unten und halluzinierte.

Die Frau kam ihm noch näher, nahm sein Gesicht in ihre warmen Hände und presste ohne Vorwarnung ihre Lippen auf seine. Er erwiderte verwirrt den Kuss, öffnete sanft seinen Mund und hatte das Gefühl, sie würde ihm Luft einhauchen und Wärme schenken.

„Du musst besser aufpassen“, meinte sie und löste sich wieder von ihm. Ihre Stimme war glockenklar und direkt in seinem Kopf zu hören, als wäre sie in seinen Geist eingedrungen.

Schnell schnappte sie sich seine Hand und zog ihn hinauf. Carwyn verstand nicht, was gerade passierte, und betrachtete erstaunt ihre goldenen Schuppen. Sie schienen fest an ihrer Haut zu kleben und zogen sich bis zu ihrem Bauchnabel.

War das real oder drehte er nun vollkommen durch?

Viel Zeit blieb ihm nicht, um darüber nachzudenken. Innerhalb weniger Augenblicke hatten sie die Wasseroberfläche erreicht und schossen durch eine dünne Eisschicht. Die junge Frau schob seinen Körper behutsam auf eine dickere Eisstelle und lächelte ihm zu. Carwyn rang um Luft, verkrampfte sich und zitterte am ganzen Leib. Als er sich wieder fing, war sie bereits verschwunden.

„Bei den Göttern, Carwyn! Geht es dir gut?“, rief Malvina und raste auf ihn zu.

„Kannst du zu mir kommen? Ich bin mir nicht sicher, wie dick das Eis bei dir ist.“

Er nickte benommen und kroch auf den Ellenbogen zu ihr herüber. Als er sie erreichte, schloss sie ihn in die Arme und drückte ihn fest an ihren warmen Körper.

„Was machst du nur für Sachen, hm? Ich dachte schon, ich hätte dich für immer verloren! Wie hast du das geschafft?“

Carwyn fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und legte seine Arme um

ihre Taille. „Ich weiß nicht, da war diese Frau. Sie hat mich gerettet.“ „Eine Frau? Im Wasser?“ Er nickte. „Carwyn … Wie sollte eine Frau …?“

„Ich weiß auch nicht, Malvina. Aber ich habe sie gesehen. Sie hatte grüne Haare und …“ Er schielte zu ihr hoch, sie glaubte ihm nicht. Natürlich nicht. Wie sollte ein Mensch denn im Wasser überleben?

„Sie hat mich gerettet, Malvina. Wirklich. Wie hätte ich es alleine aus dem See schaffen sollen? Dafür war ich zu lange unten. Ich kann mich ja kaum noch bewegen. Glaub mir. Eine Frau mit grünen Locken und … einem Fischschwanz. Sie hat sogar mit mir gesprochen!“

Malvina schüttelte ungläubig den Kopf und strich ihm die Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Vielleicht warst du auch einfach kräftig genug, um dich selbst aus dem Wasser zu ziehen, hm? Du bist oft viel stärker, als du denkst.“

„Nein, Malvina. Ich weiß, was ich gesehen habe.“ Das tat er doch oder hatte er nun endgültig seinen Verstand verloren?

„Ja, Carwyn. Aber unter den Umständen kann es sein, dass du dir auch was eingebil-“ Sie unterbrach ihren Satz, als plötzlich etwas durchs Wasser schoss.

Er sah, wie ihr Pelzmantel, den er unten verloren hatte, auf dem Eis landete und eine goldene Fischflosse wieder im See verschwand.

„Malvina! Hast du das eben gesehen?“, fragte er und deutete mit seiner zitternden Hand auf die Stelle. Sie sah ihn mit großen Augen an und nickte. „Eine Frau, die unter Wasser lebt, also? Eine … Wasserfrau?“

Sie hatte die Flosse also auch gesehen, er war nicht verrückt geworden. Den Göttern sei Dank! „Ja, sie hat mich irgendwie im Wasser gefunden und … Sie hat mir das Leben gerettet, Malvina.“

„Wahnsinn … Ich meine … Wie ist das möglich?“

Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht gibt es in diesem See mehr, als wir dachten? Frauen mit Fischschwänzen, die unter Wasser leben … Ich weiß, das klingt total verrückt, doch du hast die Flosse auch gesehen.“ „Schon möglich“, meinte sie nachdenklich.

„Aber Malvina, ich denke, wir sollten niemanden hiervon erzählen. Wer weiß, auf was für Ideen die Männer in Cattaloh kommen, wenn sie wissen, dass hübsche Frauen hier leben und sie vor dem Ertrinken bewahren.“

Ihr Blick löste sich vom Eis. „Natürlich, es würde uns sowieso keiner glauben … Aber jetzt laufen wir erstmal zur Stadt zurück. Du brauchst dringend ein heißes Bad und danach gehen wir etwas Leckeres auf dem Markt essen. Was sagst du?“

„Gerne“, meinte er und versuchte, sich wieder auf die Beine zu bringen, was durch die Schlittschuhe nicht gerade einfach war. Malvina half ihm dabei und gemeinsam liefen sie vorsichtig zurück.

Dass er gerade so mit dem Leben davongekommen war, weil dieses Wesen ihn gerettet hatte, darüber wollte er jetzt gar nicht nachdenken. Er wusste auch nicht, ob ihm das wirklich bewusst war, oder ob er noch unter Schock stand und die Situation nicht realisierte. Doch ohne diese Fischfrau würde er nicht mehr hier stehen. Vielleicht hatten die Götter sie geschickt, er würde es nie erfahren. Stumm dankte er ihr und krallte sich fester an Malvina. Aufs Eis würde er sich vermutlich nicht mehr so schnell trauen. Oder konnte er sich sicher sein, dass er ihr auch nächstes Mal begegnen würde?

„Worauf hast du heute Abend Lust, Carwyn?“

Ende

Türchen 6

Ho, Ho, Ho – Und hallo zum Nikolaus oder auch dem 6. Türchen des Selfpublishing-Adventskalenders:

Heute mit einer etwas anderen Überraschung, ihr bekommt nämlich von mir ein Rezept. Aber ein ganz einfaches, welches wirklich jeder hinbekommt und es schmeckt so verlockend, damit könnt ihr euch vielleicht sogar Liam aus dem heutigen Buch schnappen 😉

Aber Achtung! Bei Mika D. Mon wird es Dark 😉

Unser Licht gegen die Dunkelheit – Narbensohn

Helena
»Küss mich endlich!«, schießt es mir durch den Kopf. Was denke ich da? Es ist falsch, verdammt! Er ist mein Entführer! Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass hinter dem Mann mit den stechend blauen Augen und der abweisenden Art mehr steckt, als der kaltblütige Mörder, der vorgibt zu sein.

Liam
Du hast dir in den Kopf gesetzt, mich zu retten, weil du denkst, dass hinter meiner Fassade etwas Gutes schlummert. Helena, ich bin alles andere als Gut, ich bin kein Held und wenn du nicht aufpasst, werde ich dich mit mir in die Dunkelheit ziehen. Lauf weg, meine Schöne, und bete, dass ich dich nicht einhole.

Eine einzigartige, dunkle Liebesgeschichte voller Spannung, Dramatik und einer Prise Humor.

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Gewinnen könnt ihr heute eine Print-Ausgabe, wenn ihr möchtet auch signiert von dem Autorinnen-Duo Mika D. Mon

Verführerisches Schokobrot

Zutaten

  • 250 g Butter (am besten weich bzw. Zimmertemperatur)
  • 250 g Zucker
  • 250 g gemahlene Mandeln
  • 100 g Mehl
  • 6 Eier
  • 250 g Vollmilchschokolade, geraspelt
  • Kuvertüre oder Schokolade zum bestreichen
  • Dekor

Zubereitung

  1. Eier, Zucker und Butter richtig schaumig schlagen
  2. Mehl, Mandeln und Schokolade dazu geben und verrühren
  3. Backblech gut einfetten oder mit Backpapier auslegen
  4. Teig auf dem Backblech verteilen

Bei Umluft 180°C im Backofen auf mittlerer Schiene circa 20 Minuten backen (je nach Backofen). Wenn nichts mehr an einem Zahnstocher klebt, ist es perfekt.

Wenn der Teig noch warm ist, mit Schokolade oder Kuvertüre übergießen (nehme hier meistens 100-150g Vollmilchschokolade) und Dekor (z.B. Schokoherzen) belegen.

Und jetzt genießen 😉

Türchen 4

Schönen 2. Advent euch – heute mit dem neusten Werk von Saskia Stanner im Selfpublishing-Adventskalender:

Höllenflügel: Chroniken des Himmels 1

Als die Elfe Jasmin entgegen aller Erwartungen schwarze Flügel erhält, bricht für sie eine Welt zusammen. Schwarz ist die Farbe der Hölle und das lässt die Gesellschaft der Elfen Jasmin spüren. Verzweifelt geht sie mit dem Erzengel Gabriel einen folgenschweren Deal ein: Sie soll den Teufel ausspionieren und den immerwährenden Kampf zwischen Himmel und Hölle beenden. Im Training mit den Erzengeln zeigt sich, dass ihre Schwingen keine Laune der Natur sind. Doch die Seite des Lichts wird ihr zum Verhängnis, als sie Geheimnisse ergründet, die nicht für sie bestimmt sind. Und als Jasmin begreift, was hinter ihrer mysteriösen Familiengeschichte steckt, ist es vielleicht schon zu spät für die Elfe mit den Höllenflügeln.

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Gewinnen könnt ihr heute unter dem Beitrag auf Instagram ein Goodie-Set gepackt von der Autorin passend zum Buch.

Ihr wisst ja, einfach draufklicken🥰

Wintersonnenwende im Elfenreich

von Saskia Stanner

Die weißen Berggipfel glitzerten leicht rötlich im Licht der untergehenden Sonne. Trotzdem konnte ich den Anblick nicht genießen. Zu groß war die Angst, dass mein Vater mich fallen ließ. Natürlich wusste ich, dass er das niemals aktiv tun würde, aber sowas konnte schnell passieren. Das Gefühl in meinen Finger hatte ich schon längst verloren. Stattdessen kamen sie mir eher wie Eiszapfen vor. Trotz der Handschuhe. Ich war so froh, nächstes Jahr endlich selbst fliegen zu können und nicht mehr die einzige Elfe in unserer Familie zu sein, die keine Flügel besaß.

Erleichtert atmete ich auf, als wir nach einer gefühlten Ewigkeit auf dem Dorfplatz landeten. Das Lagerfeuer in der Mitte brannte schon und spendete angenehme Wärme, die vor allem meinen Händen guttat. Verschiedene Düfte erfüllten gleichzeitig meine Nase. Fast schon zu süße kandierte Äpfel, die ich an einem Stand entdecken konnte. Unterschiedliche Kräuter, die an einem Hüttendach nicht weit entfernt von mir hingen. Nicht zu vergessen, das sanfte Prasseln des Feuers, das all das mit dem passenden Hintergrundgeräusch unterlegte.

Nachdem meine Finger wieder einigermaßen beweglich waren, drehte ich mich im Kreis und betrachtete die Hütten, die in jedem Jahr mehr wurden. Inzwischen waren nur noch die Zugänge zu den Straßen frei, sonst war der ganze Rand des Platzes besetzt. Essen, Trinken, selbstgemachte Kleinigkeiten – ich wusste gar nicht, zu welchem Stand ich als erstes wollte.

Meine Schwester Camille hakte sich bei mir unter. „Oh, Jasmin, ich kann mich gar nicht entscheiden, wo ich zuerst hin will. Lass uns schauen, was es dieses Jahr so zum entdecken gibt.“ Ihre Augen leuchteten und ich war mir sicher, dass es bei mir nicht anders war.

Wir ließen uns an den verschiedenen Auslagen entlang treiben. Seifen, handgenähte Topflappen und kleine Duftsäckchen, deren Geruch mich schon am Anfang eingefangen hatte – die Auswahl war riesig. Am liebsten hätte ich überall etwas probiert oder mitgenommen, aber da spielte mein Geldbeutel leider nicht mit.

Vor einem Stand blieb ich besonders lang stehen. Die Elfen dort verkauften kleine Schmuckstücke, die sie aus alten Gegenständen hergestellt hatten. Eine Kette mit einem gebogenen Löffel als Anhänger zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Eingebrannt in den Löffel war eine kleine Blume, die unglaublich filigran gearbeitet war. Präzise Linien teilten die verschiedenen Blätter ab. Behutsam fuhr ich mit dem Finger darüber. Ich spürte fast gar nicht, dass der Untergrund nicht flach war. „Das ist unglaublich“, flüsterte ich.

„Willst du es?“ Vor lauter Staunen hatte ich fast vergessen, dass Cammi neben mir stand.

„Nein, nein.“ Schnell schüttelte ich den Kopf. „Ich habe sowieso kein Geld mehr.“ Das hatte ich schon für eine Seife und etwas zu Essen ausgegeben.

Meine Schwester zog ihren Beutel mit den Münzen hervor. „Wie viel kostet diese Kette?“, wollte sie von der Frau am Stand wissen.

„Cammi, du …“

Mit einer Handbewegung brachte sie mich zum Schweigen. Stattdessen ließ sie sich den Preis nennen und bezahlte ohne Murren. Obwohl zehn Goldmünzen für eine Kette nicht gerade wenig waren.

„Die Menschen schenken sich an einem Tag im Winter immer etwas“, erklärte sie mir, nachdem wir ein paar Schritte von der Hütte weggetreten waren. „Wieso sollten wir das nicht auch tun? Frohe Wintersonnenwende, Jasmin.“

Sie trat hinter mich und legte mir die Kette um. Der Löffelteil hinterließ ein kaltes Gefühl auf meiner Brust, was aber zu meinem Erstaunen nicht unangenehm war. Anscheinend hatte ich mich schon genug aufgewärmt. „Danke.“ Hitze stieg mir in die Wangen. „Aber jetzt habe ich gar nichts für dich. Willst du dir …?“

„Das ist doch nicht nötig“, winkte Camille ab und hakte sich wieder bei mir unter. „Du bist noch Schülerin, während ich zum ersten Mal selbst festes Geld verdiene.“ Erst vor wenigen Monaten hatte sie ihre Arbeit in unserem Königspalast angetreten.

Wir machten uns auf den Weg zurück zu unseren Eltern, die mit Tassen voll heißem Nektar auf uns warteten. Es war inzwischen deutlich voller geworden, weswegen wir uns an einer Vielzahl von Flügeln vorbeischieben mussten. Alle Elfen hatten sich um das Lagerfeuer versammelt und eine kleine Musikgruppe stimmte ein Lied an, das die meisten mitsingen konnten. In der einen Hand mein Heißgetränk, den anderen Arm um meine Schwester gelegt, hatte ich das Gefühl, bereit zu sein für nächstes Jahr. Die Wärme in meinem Inneren kam nicht mehr nur von dem Feuer vor mir. Mein achtzehnter Geburtstag und die Beflügelung standen an – es konnte also nur gut werden.

Ende

Türchen 3

Heute öffnen wir Türchen 3 des Kalenders und dahinter verbirgt sich ein Science-Fiction-Werk aus der Feder von Bernd Skorczyk:

Kar-Es: 701 Down!

Wir schreiben das Jahr 2105.

Robert Goldblatt, Freddy Byer und Shiyan Chen sind Menschen, wie sie unterschiedlcher nicht sein könnten. Und doch müssen sie als Crew des Patrouillenraumschiffs 701 zusammenarbeiten.

In einem isolierten Sektor am Rande des Sonnensystems stationiert, gelingt ihnen das nur selten. Immerhin waren sie bis vor wenigen Jahren offiziell noch miteinander verfeindet, Überlebende eines Krieges, der nur Opfer hervorgebracht hat.

Als ein unbekanntes Flugobjekt ihr Patrouillenschiff rammt, brechen nicht nur alte Wunden wieder auf.

Denn eine Bedrohung für die gesamte Menschheit nähert sich aus den Tiefen des Alls.

Und die Crew der 701 steht als einzige Verteidigungsinstanz dazwischen.

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Xenius von Bernd Skorczyk

Kapitel 1

Das Jahr 2098

Ein Tag auf dem Mars war nur geringfügig länger als einer auf der Erde. Neununddreißig Minuten und ein paar Sekunden. Während der letzten Monate waren sie Dr. Shiyan Chen wie die berühmte Ewigkeit vorgekommen. So wie jedem anderen Bewohner der Heping-Kolonie. Ursprünglich wohnten dort zivile Siedler. Normale Menschen, die ihrem Beruf nachgingen, Handwerker, Wissenschaftler, Rohstoff-Farmer.

Der Krieg zwischen der „Union unabhängiger Staaten“ (UuS) und der „Transeuropäischen Handelskoalition“ (TEH) änderte das.

Da die Kolonie auf UuS-Territorium stand, wurde sie umgehend zum Stützpunkt erklärt. Soldaten der „Zashchitnaya Stena“, der unionseigenen Militärorganisation, kamen.

Mit ihnen Shiyan. Notgedrungen. Die ZS hatte ihr das Medizinstudium finanziert. Qualifizierte Ärzte an der Front waren Mangelware und die in Peking geborene Chinesin nicht in der Position, sich zu widersetzen. Gleich am ersten Tag auf dem Mars musste sie bei der Planung und dem Bau eines Lazaretts mithelfen.

Vier Wochen später, kurz nach der Fertigstellung, quoll es vor verwundeten Soldaten über. Der Krieg verbreitete sich im Sonnensystem wie eine Seuche. Er tobte auf Planeten, im All, auf Raumstationen. Die normalen Menschen wurden von der Heping-Kolonie evakuiert und Robotik-Abwehrgeschütze aufgebaut. Sie schossen alles ab, was kein UuS-Codesignal abstrahlte. Und, noch wichtiger, Trümmer. Die Anziehungskraft auf dem Mars war zwar geringer als auf der Erde. Trotzdem reichte sie aus, um die Überreste zerstörter Raumschiffe einzufangen. Die Atmosphäre war zu dünn, als das sie darin verglühten.

Manchmal ratterten die Geschütze zwanzig Stunden ununterbrochen, um die Kolonie samt Lazarett vor der Vernichtung zu bewahren. Anfang des Jahres änderte sich das, ohne Vorwarnung und ganz plötzlich. Ob es eine technische Fehlfunktion oder Sabotage war, konnte niemand sagen. Dass der Schaden, wenn überhaupt, nur schwer zu reparieren war, dafür jeder.

„Der Tod regnet!“, sagte einer der Verwundeten, den Shiyan gerade behandelte, als die ersten Trümmerstücke ungehindert in die Kuppel des Kolonie-Hauptgebäudes einschlugen und es komplett vernichteten. Die Marsatmosphäre war selbst nach all den Jahren des Terraformings noch nicht atembar. Sie drang in die Verbindungsgänge ein. Jeder, der sich nicht rechtzeitig sein Atemschutzgerät aufsetzte, erstickte qualvoll. Dreihundert Menschen starben an dem Tag.

Tausende während der folgenden vier Monate. Die Gefechte in Marsnähe nahmen zu. Auch außerhalb der Kolonie gab es herbe Verluste. UuS und TEH beschuldigten sich gegenseitig wegen der humanitären Katastrophe, in die sie die Bewohner des roten Planeten brachten. Die bestialischen Raumschlachten stellten sie aber nicht ein.

Dann geschah vor zwei Tagen das Wunder. Pünktlich zu Heiligabend. Einem Team von einfachen Mechanikern gelang es, die Robotikgeschütze zu reparieren. Mit einem Haken: Sie feuerten von nun an auf jedes Flugobjekt. Freund oder Feind, diese Unterscheidung machten sie nicht. Die Geschütze auszuschalten, auch nur kurz, um Versorgungsshuttles durchzulassen, wagte niemand. Die Heping-Kolonie war längst kein Stützpunkt mehr, sondern eine Trümmerlandschaft voller leidender Menschen. Sie zu vernichten, schien der Transeuropäischen Handelskoalition dennoch äußerst wichtig zu sein. Shiyan Chen verstand nicht, warum. Aber das galt für alles, was sie im Krieg erlebte.

Nach vier Monaten Todesangst stellte sie keine Fragen mehr. Sie war froh, ihre Patienten behandeln zu können und dabei die spärlichen Vorräte an Medikamenten und Nahrung nicht über Gebühr zu strapazieren. Sechzehn-Stunden-Schichten waren normal. Genauso wie der komatöse Schlaf, in dem sie danach versank.

Alle gesunden Kolonie-Bewohner schliefen in der Botanik-Kuppel, gebettet auf Langgrasstreifen, inmitten von Laub- und Nadelbäumen. Privatsphäre gab es nicht. Dafür Streitereien und Prügeleien. Chen bemühte sich, so oft wie möglich einzuschreiten. Schon, um nicht noch mehr Patienten behandeln zu müssen. Ein paar Mal hatte sie für ihre Mühen bereits Schläge und Tritte kassiert.

Im Allgemeinen jedoch respektierten die anderen Bewohner sie. Genauso wie der Oberbefehlshaber der Heping-Kolonie. ZS-General Gor Kon. Er war ein gebürtiger Marsianer. Wie alle seiner Art besaß er einen über zwei Meter großen, dürren Körper. Dazu noch dunkle Haut und spärliches, weißes Haupthaar. Die Fähigkeit des menschlichen Organismus, sich anzupassen, zum Beispiel an die Gegebenheiten eines Planeten, war schon erstaunlich. Leider wies der Geist des Homo sapiens nicht dieselbe Flexibilität auf. Sonst wäre der Krieg nie ausgebrochen. Das dachte zumindest Shiyan Chen.

Am Morgen des 26. Dezembers 2098 erhob sie sich von ihrer Schlafstatt. Sie überprüfte ihr Atmungsgerät, das ordnungsgemäß im Gürtelholster zu ihrer Rechten verstaut war. Mit schlurfenden Schritten ging sie zum südlichen Rand der Botanik-Kuppel, wo sich die Waschräume befanden.

Kurz davor fing sie ZS-Hauptmann Asimov ab. „Dr. Chen? Der General muss Sie dringend sprechen.“

Shiyan war nicht in der Verfassung zu diskutieren. Vergangene Nacht hatte sie einen Patienten am Herzen operiert. Ausgerechnet einen ihrer insgesamt zehn Arztkollegen. Dr. Sanshu, ein fünfundsechzigjähriger Chirurg aus Belarus, war so sehr über die eigenen Grenzen getreten, dass er einen Infarkt erlitt. Chen hatte ihr Möglichstes getan. Trotzdem starb ihr der Mann unter den Fingern weg. Was nicht nur ein persönlicher Verlust war.

Dr. Sanshu fungierte, mit dem Rang eines Kommandeurs, als Verbindungsoffizier zwischen dem medizinischen Personal und dem oftmals kaltherzig agierenden General Kon. Er vermittelte bei Streitigkeiten und setzte sich auch sonst für jeden Bewohner der Kolonie ein. Ohne ihn würde die angespannte Situation noch unerträglicher. Shiyan jedenfalls ahnte Übles, wenn der Oberbefehlshaber jetzt nach ihr verlangte. Vielleicht kam ihm in den Sinn, sie für den Tod des Arztes verantwortlich zu machen. Einen Sündenbock brauchte man ja immer.

Sollte Chen das nun sein, konnte sie daran nichts ändern. Sie folgte Hauptmann Asimov durch die Verbindungsgänge zwischen Botanik- und Verwaltungskuppel.

Kapitel 2

ZS-General Gor Kon stand, unbeweglich wie eine Statue, in seinem Büro, einem kleinen Verschlag im ersten Untergeschoss der Verwaltungskuppel. Ein Schreibtisch aus Flexplastik und zwei daran gestellte Stühle waren die einzigen Möbelstücke. Schwächelnde Leuchtelemente an der Decke spendeten spärliches Licht. Die Luft roch verbraucht. Die Umwälzfilter arbeiteten schon länger nur mangelhaft. Dass die gesamte Kolonie noch nicht erstickt war, grenzte an ein Wunder.

Gor Kon wartete, bis Hauptmann Asimov Shiyan hineingeführt und den Raum verlassen hatte. Dann setzte er sich auf einen der Stühle und bedeutete der chinesischen Ärztin gestisch, auf dem anderen Platz zu nehmen.

Chen tat es. Dabei versuchte sie, den Gesichtsausdruck des Marsianers zu deuten. Erfolglos. Ob er nun wütend, ängstlich oder glücklich war, wusste niemand außer ihm selbst.

„Warum bin ich hier?“, fragte sie und hoffte, dass er die Woge Angst, die gerade ihre Stimme zittern ließ, nicht missverstand.

Der ZS-General musterte sie. „Dr. Sanshus Tod ist weit mehr als bedauerlich, Dr. Chen. Unsere Gemeinschaft steht vor enormen Herausforderungen.“

„Das ist mir bewusst.“ Shiyan bemühte sich, aufrecht zu sitzen. „Ich habe getan, was möglich war.“

„Keine Sorge“, erwiderte Gor Kon. „Ich mache Sie nicht für den Verlust verantwortlich. Ganz im Gegenteil. Sie sind eine fleißige Soldatin.“

„Ich bin Ärztin“, widersprach die Chinesin reflexartig und biss sich auf die Unterlippe.

Das brachte den General tatsächlich zum Schmunzeln. Wie einen Erwachsenen, der ein bockiges Kind darüber aufklärte, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gab. „Sie sind Teil des Militärs, Dr. Chen. Es hat für Ihre Ausbildung gesorgt, Sie unterstützt, Ihnen Nahrung gegeben, als Sie Hunger hatten. Auch wenn Sie noch nie eine Waffe abgefeuert haben, gehören Sie genauso zu uns wie Hauptmann Asimov. Das wird sich nie ändern. Außerdem: In diesem Krieg sind wir alle Soldaten. Notgedrungen!“

Darauf reagierte Shiyan nur mit ratlosem Schweigen.

Gor Kon redete weiter: „Man respektiert Sie in der Kolonie. Sie setzen sich für die anderen Bewohner ein, bringen stetig gute Leistungen auf Ihrem Fachgebiet. Genauso wie es Dr. Sanshu tat. Deshalb ernenne ich Sie zu seiner Nachfolgerin.“

Chen entfuhr ein Ächzen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Und es erst recht nicht gewollt. „Ich bezweifle, dass ich ein geeigneter Verbindungsoffizier bin.“

Der ZS-General schüttelte den Kopf. „Für diesen Posten habe ich sie nicht ausgewählt.“

Shiyan runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht. Was soll ich denn sonst tun?“

„Etwas viel Wichtigeres“, antwortete Gor Kon. „Bevor Sie jedoch Näheres erfahren, muss ich dafür sorgen, dass Sie auch die passenden Berechtigungen erhalten.“ Auf der Schreibtischplatte war ein breites Touchscreenfeld installiert. Darüber bekam der General Zugriff zum Zentralcomputer der Kolonie. Er legte seine rechte Hand darauf und aktivierte es. Ein Hologramm leuchtete über dem Tisch auf. Es zeigte die Dienstakte der Chinesin mitsamt Porträtfoto.

„Computer, Diktiermodus!“, befahl Gor Kon. „Dr. Shiyan Chen. Beförderung zum ZS-Kommandeur erster Ordnung. Geheimhaltungsstufe wird von 0 auf 4 erhöht. Gültig ab jetzt!“ Unter dem Foto der Ärztin erschien in rot leuchtenden Buchstaben die Schrift mit dem aktualisierten Rang. Der General diktierte weiter: „Zugang zu allen Informationen und den Arbeitsstätten von „Projekt Neuer Mensch“ wird erteilt. Aufnahmepause!“ Er stand von seinem Stuhl auf, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte Shiyan durchdringend an. „Sie haben sicher einige Fragen, Dr. Chen. Jetzt kann ich Ihnen die Antworten darauf liefern.“

Die Lippen der Chinesin fühlten sich wie taub an.

„Was ist das für ein Projekt?“, fiel ihr als Einziges ein.

„Dr. Sanshu war nicht der, für den Sie ihn gehalten haben. Und die Heping-Kolonie kein einfacher Truppenstützpunkt. Während die Truppen an der Oberfläche und jenseits der Atmosphäre kämpften, arbeitete Ihr Vorgänger hier unten an einer Möglichkeit, die Bürger der Union widerstandsfähiger zu machen.“

„Ich verstehe nicht“, murmelte Shiyan verwirrt.

Gor Kons Miene verfinsterte sich. „Der Krieg läuft sehr schlecht für die UuS. Unsere Waffen sind veraltet, die Moral der Kämpfer sinkt. Militärisch werden wir scheitern, wenn wir uns auf konventionelle Techniken verlassen. Ich sagte eben ja schon: Wir alle sind Soldaten. Dr. Sanshu wollte dafür sorgen, dass jeder Bürger die Anforderungen erfüllt, um dieser Rolle gerecht zu werden. Sein Ziel war es, im wahrsten Sinne des Wortes, einen neuen Menschen zu erschaffen.“

Chen schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht sein. Dr. Sanshu war Chirurg. Sonst nichts.“

„Er war auch Genetiker“, erklärte der General. „Diese Qualifikation musste er aus nachvollziehbaren Gründen vor Ihnen geheim halten. Anfang des Jahres gelang ihm endlich der Durchbruch. Der Neue Mensch existiert. Leider benötigt er noch ärztliche Unterstützung. In der Art, wie nur Sie, Dr. Chen, sie ihm geben können.“

„Kann ich nicht … ich meine … wie sollte ich …?“

„Dr. Sanshu selbst bat mich, Sie hinzuziehen zu dürfen. Er war sehr angetan von Ihren Fähigkeiten. Mehr noch: Er vertraute Ihnen.“ Gor Kon streckte eine Hand zur Tischplatte aus und deaktivierte das Touchscreenfeld. Das Hologramm mit Shiyans Dienstakte verblasste. „Obwohl Sie als Chirurgin arbeiten, haben Sie in Ihrem Studium genug Qualifikationen erworben, um das Projekt zumindest bis zum Eintreffen anderer ZS-Wissenschaftler zu betreuen, es quasi am Leben zu erhalten.“

Chen wusste, dass sie keine Wahl hatte. Zu fragen, was geschah, wenn sie sich weigerte, war Zeitverschwendung. „Was genau soll ich machen?“

Kapitel 3

Das Labor für das „Projekt Neuer Mensch“ befand sich im zweiten Untergeschoss der Verwaltungskuppel. Bis jetzt hatte Shiyan gar nicht gewusst, dass dieses Stockwerk überhaupt existierte.

General Kon begleitete sie dorthin. Der Zugang war nur über einen Antigravitationsschacht möglich. Der AS war eine schlauchförmige Röhre, in der die Gesetze der Schwerkraft kurzfristig aufgehoben wurden. Menschen konnten darin hoch schweben oder langsam zu Boden sinken.

In jeder Kuppel gab es für die unterschiedlichen Etagen mindestens einen AS. Um sich in ihm kontrolliert fortzubewegen, brauchte es ein Grav-Armband, wie es Chen und alle anderen Einwohner trugen. Darin war auch ein Kommunikator eingebaut, das sogenannte „Komflash“.

Das Labor wurde mit einem Lasergitterrahmen geschützt. Der war so engmaschig eingestellt, dass nicht mal eine Stubenfliege hindurch schlüpfen konnte, ohne von den Lichtstrahlen in kleinste Stücke zerschnitten zu werden. Einzig der im Rahmen integrierte DNS-Scanner deaktivierte sie. Sofern die richtige Person ihre Hand in seine kugelförmige Aushöhlung legte.

General Gor Kon gehörte dazu. So wie Shiyan jetzt auch.

Das Labor an sich war moderner als alles, was sonst auf dem Mars existierte, und funktionierte problemlos.

Beeindruckend!, dachte die Ärztin und fragte sich, wie es möglich war, trotz der Not und all des Mangels in der Kolonie die Technologie hier unten mit genügend Energie zu versorgen.

Oder hatte genau das die Probleme auf der Oberfläche erst verursacht?

„Das ist von nun an Ihr Reich“, erklärte Gor Kon, während er sie durch den circa siebzig Quadratmeter großen, mit unzähligen Decken-Leuchtelementen erhellten Raum führte. „Bis auf Weiteres bleiben Sie hier unten.“

Das ließ Shiyan abrupt stehenbleiben. „Aber was ist mit meinem Dienst? Die Kolonie braucht jeden Arzt.“

Der General stellte sich vor sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Das hier ist wichtiger.“ Er war fast zwei Köpfe größer als sein Gegenüber. Das schien er nun skrupellos zum eigenen Vorteil nutzen zu wollen. „Die da oben sind Kollateralschäden. Dr. Sanshu wusste das eigentlich. Leider konnte er sich nicht von seinem früheren Leben als einfacher Arzt verabschieden. Er wollte allem gerecht werden. Gestern hat er den Preis dafür gezahlt und damit das gefährdet, was unser Überleben sichern soll. Sie sind jünger als er, Dr. Chen. Aber auch nicht unverwundbar. Deshalb bleiben Sie von jetzt an hier unten. Das Labor verfügt über eine Dusch- und WC-Einheit. Eine Schlafpritsche wurde ebenso aufgebaut. Drei Mal pro Tag bringt ein Soldat Ihnen Essen.“

Es brachte nichts, zu widersprechen. Wie zuvor. Dieses Mal jedoch tat es Shiyan trotzdem: „Meine Aufgabe besteht darin, Menschenleben zu retten. Nicht als Wissenschaftler, sondern als Arzt. Sterben Ihre „Kollateralschäden“ dort oben, bedeutet das unser aller Untergang. Erst recht, falls stimmt, was Sie sagen, dass der Krieg für die Union schlecht läuft. Ohne die Menschen an der Oberfläche wird die Heping-Kolonie überrannt. Die Abwehrgeschütze mögen wieder funktionieren. Aber sie bieten keinen hundertprozentigen Schutz. Was ist, wenn ein Landungstrupp der TEH es bis zu uns schafft?“

„Ihre Einwände sind zur Kenntnis genommen“, erwiderte der General ungerührt. „Kommen Sie. Ich möchte Ihnen Ihren neuen und einzigen Patienten zeigen.“

Er ging zu der gegenüberliegenden Wand. Dort waren nicht nur ein Kühlschrank, Geräte wie Gensplicer, Brutbeschleuniger, ein Spektrum-Mikroskop und Genkartographen eingebaut. Chen erkannte auch eine vertikale Stasiskammer. Ihr Plexiglasdeckel war von innen nur leicht beschlagen. Deshalb konnte die Ärztin deutlich die nackte Person erkennen, die darin ruhte. Es war ein Mann. Dem Körperbau nach zu urteilen ein gebürtiger Marsianer. Seine Haut wirkte seltsam glatt, ohne Haare, Leberflecke oder Narben.

Der General deutete auf ihn. „Das ist der Neue Mensch. Alles an ihm ist besser. Er ist stärker, schneller, schwerer verwundbar. Sein Stoffwechsel und das respiratorische System sind so robust und erweitert worden, dass sie sogar die Marsatmosphäre verwerten können.“

„Unglaublich!“, musste Chen fasziniert zugeben. Sie näherte sich der Stasiskammer. „Wie hat Dr. Sanshu das geschafft? Wer ist dieser Mann hier?“

 „Ein Patriot“, antwortete der General. „Ein Freiwilliger, der an die Zukunft glaubt.“

Innerlich zuckte die Ärztin zusammen. Gor Kons Worte waren während der letzten Jahre zu oft für platte Rekrutierungswerbung genutzt worden, als dass sie noch irgendeinen denkenden Menschen überzeugen konnten. Vielleicht war es dieses Mal ausnahmsweise die Wahrheit. Shiyan bezweifelte es. Ihre Faszination verwandelte sich zu Ekel.

„Wie heißt er?“, fragte sie bemüht ruhig.

„Das ist unwichtig.“ Die Stimme des Generals bekam einen harten Unterton. „Für die Dauer Ihres Aufenthalts in diesem Labor bleibt der Neue Mensch bewusstlos. Ihre Aufgabe ist es, ihn stabil zu halten.“

Chen beschloss, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Deshalb brauche ich so viele Informationen wie möglich.“

„Die werden Sie auch bekommen.“ Gor Kon deutete auf die Mitte des Raumes. Dort standen ein Stuhl und ein Schreibtisch mit Touchscreenfeld. „Sie erhalten Zugriff auf Dr. Sanshus Dateien, seine Versuchsprotokolle. Ihre Fragen nach dem Wann, Wie und Warum werden bald beantwortet. Ich habe heute noch anderes zu tun. Falls Sie etwas benötigen, melden Sie sich über Komflash. Sie werden dann direkt mit Hauptmann Asimov verbunden. Ich habe dafür gesorgt, dass er Ihnen ganztägig zur Verfügung steht. Guten Tag, Dr. Chen.“ Er wandte sich zum Ausgang mit dem Lasergitterrahmen und verließ das Labor.

Eine Weile blieb Shiyan wie erstarrt stehen und blickte ihm nach. Dann setzte sie sich an den Schreibtisch und aktivierte den Computer.

Kapitel 4

Es dauerte nicht lange, bis Shiyan Chen die Videodatei mit dem Titel „Willkommensgruß an die Zukunft“ im Speicher entdeckte. Kaum hatte sie sie angewählt, erschien Dr. Sanshus Kopf als Hologramm über der Schreibtischplatte und begann zu sprechen: „Wer immer Sie sind, Sie wurden für würdig befunden, das Projekt weiterzuführen, durch das unsere Spezies endlich die Galaxie bevölkern kann. Ohne Angst, an den Umweltbedingungen eines fremden Planeten oder durch kosmische Strahlung auf dem Weg in eine zukünftige Heimat zugrunde zu gehen. Der Neue Mensch wird stärker sein. Besser. Der Krieg, in dem wir uns befinden, endet irgendwann. Bevor es zu spät ist, erkennen hoffentlich alle Beteiligten, dass wir uns nur zusammen dem Morgen stellen können.“

Shiyan fragte sich, ob der letzte Satz mit den Generälen der „Zashchitnaya Stena“ abgesprochen war. Insbesondere Gor Kon würde protestieren.

„Sollten Sie sich in meinem Labor in der Heping-Kolonie aufhalten“, redete Dr. Sanshus Hologramm weiter, „so besitzen Sie dort alles, was Sie brauchen, um die Arbeit zu vollenden. Im Kühlschrank lagern die Seren, mit denen ich aus einem einfachen Mann ein Wunder der Wissenschaft machte. Was Sie darüber hinaus entdecken, mag Sie schockieren: als Erstes natürlich den nackten, sedierten Marsianer. Seiner Freiheit beraubt, hilflos. Auch andere Gegebenheiten mögen in Ihnen moralische Zweifel hervorrufen. Aber bedenken Sie, dass die erbrachten Opfer nicht umsonst sind. Zeigen Sie Mitgefühl auf gesamtmenschlicher Ebene!“

Chen hörte die Worte aus dem Munde eines Kollegen, den sie respektiert hatte. Jetzt nicht mehr. Sie fühlte sich wütend. Verraten. Unabhängig davon, was er hatte erreichen wollen, war Dr. Sanshu über eine Grenze getreten, die kein Arzt überschreiten durfte. General Kons Beschreibung der Testperson als „Freiwilliger“ war also ebenso gelogen.

Shiyan war versucht, die Hologramm-Wiedergabe zu beenden. Sie ließ es. Je mehr sie über „Projekt Neuer Mensch“ erfuhr, desto besser konnte sie den besinnungslosen Mann in der Stasiskammer beschützen. Zumindest solange sie allein für ihn verantwortlich war.

Trotz all der Not auf der Marsoberfläche hoffte Chen, dass sobald keine ZS-Verstärkung kam. Auch wenn sich das absurd anhören musste.

Während der nächsten Minuten erklärte Dr. Sanshus Hologramm seine Vorgehensweise bei dem Neuen Menschen. Schritt für Schritt. Die Wissenschaftlerin Dr. Shiyan Chen nahm das Gehörte nüchtern zur Kenntnis. Die Humanistin in ihr dagegen verurteilte es und verfluchte ihren Kollegen.

Kapitel 5

 

Überall waren Optik-Sensoren. In der Decke, den Wänden, zwischen den Geräten. Shiyan erkannte die knopfgroßen, gläsernen Kügelchen für die Video-Überwachung problemlos. Schließlich gab es sie in jeder ZS-Militäreinrichtung. Allerdings nicht in der Menge wie hier unten.

Allein die Nische im hinteren Bereich des Labors, in der sich die Dusch- und WC-Einheit befand, blieb unbeobachtet. Direkt daneben hatte man die Schlafpritsche aufgebaut.

Audio-Sensoren, die sogenannten „Zhuk“ schienen nicht zu existieren. So unauffällig wie möglich durchsuchte Chen den Raum nach den ihr ebenso bekannten, daumennagelgroßen, rundlichen Plättchen. Welcher Soldat auch immer sie überwachte, er durfte nur sehen, nicht hören, was sie tat. Das brachte ihr eine gewisse Freiheit ein. Für den Fall, dass sie mehr tun wollte, als nur den besinnungslosen Marsianer zu beschützen. Ihre Motivation zum Aufruhr wuchs jedenfalls.

Dr. Sanshus Hologramm hatte nicht zu viel versprochen, was die Ausstattung des Labors anging. Die Stasiskammer alleine war schon ein technologisches Wunderwerk. Mit den unterschiedlichsten Sensoren, Injektionskanülen und sogar Robotik-Armen für chirurgische Eingriffe ausgestattet. Vom Blutdruck bis hin zur Zellteilung des „Insassen“ konnte man alles überwachen und korrigieren, sollte es nötig werden. Nicht mal der Deckel musste dafür geöffnet werden. Wäre eine solche Kammer den übrigen Kolonie-Ärzten zur Verfügung gestellt worden, hätten viele Leben gerettet werden können. Einschließlich dem von Dr. Sanshu. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrte.

Die Seren für den Neuen Mensch waren komplett vorhanden. Genauso wie die Ingredienzien, mit denen sie hergestellt worden waren.

Shiyan untersuchte mehrere davon unter dem Spektrum-Mikroskop. Sie staunte über die offensichtliche Genialität ihres verstorbenen Kollegen. Gleichzeitig war ihr bewusst, wie sehr er die Gesetze von Natur und Moral verletzt hatte. Gentherapien am Homo sapiens wurden bereits seit fünfzig Jahren vorgenommen. Besonders um Erbkrankheiten auszumerzen und jedem die Chance zu geben, ein gesundes und glückliches Leben zu führen. Was Dr. Sanshu mit seinem Projekt nun tat, war, etwas zu erschaffen, das die Evolution nie hervorgebracht hätte. Die Person in der Stasiskammer galt, wenn man allein ihre DNS betrachtete, technisch gesehen noch nicht mal mehr als Mensch. Und sie hatte nicht darum gebeten, so zu werden.

Irgendwann im Laufe des Tages kam Hauptmann Asimov mit einem Tablett herein.

„Mittagessen, Doktor!“, verkündete er und stellte es auf den Schreibtisch. „Guten Appetit.“

„Danke“, murmelte Chen, wandte sich vom Mikroskop ab und kam auf den Soldaten zu. In seinem Gesicht meinte sie, einen Ausdruck von Neugier zu sehen. Zweifellos hatte er die Zugangsberechtigung für das Labor, sonst wäre er nicht durch den Lasergitterrahmen gekommen. Wie viel wusste er? Hatte er bereits Dr. Sanshu zur Verfügung gestanden und womöglich selbst den armen Marsianer angeschleppt, damit an diesem Experimente gemacht werden konnten?

Shiyan beschloss, es herauszufinden. „Wie lange sind Sie schon für den Bereich hier unten tätig, Hauptmann?“

Das war Asimov sichtlich unangenehm. Der Mann, dem extrem stämmigen, gedrungenen Körperbau nach zu urteilen in einer Umgebung mit erhöhter Gravitation aufgewachsen, wirkte nicht mehr wie der unerschütterliche Soldat, der er sonst war. Eher wie ein verunsicherter Teenager. Er öffnete den Mund, um zögerlich zu erwidern: „Ich bin mit dem Projekt an sich nicht vertraut, Doktor. Meine Aufgaben beschränken sich auf rein körperliche Tätigkeiten. Botengänge zum Beispiel. Wünschen Sie etwas?“

Eine klare Antwort auf meine Frage!, dachte Chen und sagte: „Nein. Ich möchte nur einordnen, inwieweit der vorige Wissenschaftler in diesem Labor auf ihre Mithilfe gezählt hat.“

„Darüber darf ich nicht sprechen!“, kommentierte Asimov und flüchtete sich hinter seine stoisch soldatische Fassade. „Wäre das alles?“

„Ja.“ Shiyan hob demonstrativ das rechte Handgelenk mit dem Grav-Armband. „Ich weiß ja, wie ich Sie erreichen kann.“

Asimov nickte bloß und verließ das Labor.

Die Ärztin setzte sich an den Schreibtisch und betrachtete das Tablett. Ein Suppenteller stand darauf. Gefüllt mit einer großen Portion Sojanudeln, mehr als jeder andere Kolonie-Bewohner momentan erhielt. Vielleicht war das ihr „Weihnachtsgeschenk“, was sie tatsächlich schmunzeln ließ.

Dazu bekam sie eine Literflasche mit gefiltertem Wasser sowie Messer und Gabel. Chen nahm das Besteck und aß. Dabei wanderte ihr Blick immer wieder zur Stasiskammer.

Kapitel 6

Laut der Kammersensoren befand sich der Neue Mensch in einer Art permanenten REM-Schlafes. Seine Augen unter den geschlossenen Lidern bewegten sich konstant. Was träumte er? Verarbeitete sein Gehirn die Veränderungen, die Dr. Sanshus Seren ihm aufgezwungen hatten? Dachte er? Wusste er, was man ihm angetan hatte?

Seine Lebenszeichen waren jedenfalls stabil.

Chen musste nichts tun. Außer sich zu fragen, wie es für sie und ihren Patienten nun weiterging. Als frisch beförderter Kommandeur erster Ordnung mitsamt Geheimhaltungsstufe 4 landete sie sofort vor einem Kriegsgericht, falls sie sich den Befehlen von General Kon widersetzte. Der Neue Mensch sollte bewusstlos bleiben! Die Optik-Sensoren – und wahrscheinlich auch das Feedback der Labormaschinen – würden den überwachenden Soldaten verraten, sobald Shiyan etwas daran änderte. Zumal es bei der Stasiskammer nicht einfach einen Aus-Knopf gab. Es bedurfte mehrerer Handlungsschritte, um die Tiefschlafphase der darin liegenden Person zu beenden. Als Erstes musste ihr Stoffwechsel stimuliert werden. Genauso wie die Gehirnaktivität. Dann folgte die Flüssigkeitszufuhr und, und, und …

Blieb eine nüchterne Erkenntnis: Den Marsianer unbemerkt aufwecken, ihn aus seinem Gefängnis befreien, das war so gut wie unmöglich.

Es sei denn, die Energieversorgung des Labors war in irgendeiner Weise störungsanfällig. Nicht so sehr wie die beim Rest der Kolonie. Hier unten gab es sicherlich mindestens einen Hilfsgenerator. Ansonsten wären die vergangenen Wochen nicht so spurlos an den Geräten vorüber gegangen. Erst recht nicht an der Lebenserhaltung für die Stasiskammer. Auch der Neue Mensch brauchte noch eine Atmosphäre und Nährstoffe.

Aber kein System war perfekt. Und Chen hatte mittlerweile genug Erfahrungen gesammelt, um gewisse Sollbruchstellen zu entdecken. Sie beschloss, sich unauffällig auf die Suche danach zu machen.

Sie fragte den Computer nach dem Prozentsatz der Sauerstoffeinspeisung in die Stasiskammer. Als Grund gab sie Toleranzschwankungen im Blutbild des Neuen Menschen an. Sollte einer der Soldaten ihre Anmerkungen mit all den Fachwörtern lesen, würde er sich hoffentlich gelangweilt abwenden. Dann wollte sie das Verhältnis in Bezug auf die Laborbelüftung wissen. Auch nach der Maximalleistung des Kühlschranks und dem Energieverbrauch der Decken-Leuchtelemente erkundigte sie sich. Schlussendlich forderte sie eine Liste eingelagerter Chemikalien an. Jede Anfrage benötigte für das Protokoll einen Eingabegrund. Chen gab „Stabilisierung“, „Stoffwechsel“, „Projekterhalt und -sicherung“ und noch ein paar andere, ähnliche Begriffe ein. Sie bezweifelte, dass diese einer fachlichen Prüfung standhielten, falls es zu einer Untersuchung kommen sollte. Was sie nicht hoffte.

Aber da sie im Moment die einzige qualifizierte Person in der Kolonie zu sein schien, der man „Projekt Neuer Mensch“ anvertrauen konnte, riskierte sie es. Und wurde belohnt.

Was fing sie nun mit diesem Wissen an? Wie viel Mut steckte in ihr?

Angenommen, sie legte die Überwachungssensoren lahm und weckte den Marsianer aus der Stasis, was geschah dann? Die Verwaltungskuppel wimmelte vor bewaffneten Soldaten. Wo sollte sie den Mann hinbringen? Jenseits der Koloniegebäude gab es nur Wüste. Selbst wenn der Neue Mensch bereits fähig war, in der Marsatmosphäre zu atmen, die Distanz zur nächsten Kolonie, egal ob von der UuS oder der TEH, betrug mehr als zweihundert Kilometer. Der Trümmerregen der letzten Monate hatte so gut wie alle Fahrzeuge zerstört. Die wenigen, noch funktionierenden Rover wurden streng bewacht. An einen Diebstahl war nicht zu denken.

Die größte Unsicherheit war jedoch eine ganz andere. Sie betraf das Verhalten des Neuen Menschen an sich. Nicht nur schießwütige Soldaten konnten ein Problem darstellen. Laut Dr. Sanshus Hologramm besaß der genetisch veränderte Marsianer ein, wie er es ausdrückte: „raubtierähnliches Verhaltensrepertoire. Um in einer feindlichen Umgebung überleben zu können, müssen wir jegliche Gefahr für unsere Existenz vernichten. Das bedeutet nicht, sinnlose Kriege untereinander zu führen. Wir alle gehören derselben Spezies an. Ein fremdes Ökosystem, so spärlich es auch ausgebildet sein mag, bietet nicht automatisch Platz für uns. Deshalb ist es wichtig, sich in diesem zu behaupten. Und, wenn nötig, die Lebensform zu verdrängen, die die gleiche ökologische Nische einnimmt wie wir. Bedauerlicherweise lässt sich die Effizienz des Raubtier-Verhaltens erst überprüfen, sobald der Neue Mensch erwacht ist und mit seiner Umwelt interagiert. Auch die Frage, ob er uns ursprüngliche Homo sapiens als artfremd – und damit als Bedrohung – einstuft, kann nicht auf theoretischem Wege beantwortet werden. Ausführliche Versuche müssen folgen. Es wird empfohlen, das beteiligte Personal mit Schutzkleidung zu versehen. Körperlich dürfte der Neue Mensch jeder Person überlegen sein.“

Den Marsianer zu befreien hieß, Kolonie-Bewohner in Gefahr zu bringen. Shiyan Chen hatte den hippokratischen Eid abgelegt. Besonders ein Satz daraus machte ihr zu schaffen: Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil, ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht.

Dem Marsianer war zweifellos Unrecht zugefügt worden. Um ihn vor weiterem zu beschützen, müsste sie ihn freilassen. Und würde dadurch das Leben aller riskieren, denen er begegnete.

Eine widersprüchliche Ausgangslage in einer Zeit voller Chaos, Leid und Tod. Shiyan blieb regungslos am Schreibtisch sitzen und verlor sich in Grübeleien.

Die Entscheidung, was zu tun war, wurde ihr schließlich abgenommen. Von jemandem, mit dem sie nicht gerechnet hatte.

Kapitel 7

 

Hauptmann Asimov stürmte in das Labor und rannte auf Chen zu.

Ruckartig stand sie vom Schreibtisch auf. Die Miene des Soldaten verriet nackte Angst, aber auch Entschlossenheit.

Er hatte die Ärztin gerade erreicht, da schalteten sich sämtliche Decken-Leuchtelemente aus. Tiefste Finsternis breitete sich aus. Begleitet von einem allzu bekannten Geräusch, das nicht nur die Ohren folterte, sondern sogar die gesamte Umgebung zum Vibrieren brachte. Es war der Bombenalarm und das Knallen mehrerer Explosionen, die jenseits des Labors stattfanden.

Shiyan spürte die Hände des Soldaten auf ihrem Rücken, seinen warmen Atem im Gesicht, als er brüllte: „Wir wollen beide dasselbe. Also verhalten sie sich ruhig!“

Den Gefallen tat sie ihm nicht, sondern wich zurück und stieß mit der linken Hüfte gegen den Schreibtisch. Stechender Schmerz war die Belohnung dafür. Die Notbeleuchtung schaltete sich ein und vertrieb mit ihrem rötlichen Glimmen die Dunkelheit. Auch der Alarm verstummte.

Chen und Asimov trennten nur wenige Zentimeter.

„Was passiert hier?“, keuchte sie. „Sind die Abwehrgeschütze wieder …?“

„Nein“, widersprach der ZS-Hauptmann. „Dieser Angriff kommt von innen.“

„Ich verstehe nicht.“

„Ich habe die Optik-Sensoren ausgeschaltet, die Energieversorgung manipuliert und genug Sprengsätze gelegt, um General Kon für die nächsten Stunden zu beschäftigen. Wir haben Zeit, aber nicht mehr viel.“ Asimov ging zur Stasiskammer und schlug mit der rechten Faust dagegen. „Xenius Willof muss frei sein!“

„Was …? Wer …?“

„Die Schande darf nicht länger verborgen sein. Holen Sie ihn heraus! Ich weiß, dass Sie das vorhaben.“

Shiyan stutzte. „Wie kommen Sie darauf?“

„Ihre Suchanfragen an den Computer“, antwortete der Hauptmann. „Ich habe sie gelesen. Und gelöscht, damit uns niemand auf die Schliche kommt.“

„Ich wollte nie …“

„Lügen Sie mich nicht an!“, brüllte der Mann verzweifelt. „Sie sind ein besserer Mensch als Dr. Sanshu. Ich habe gesehen, wie Sie um das Leben meiner Kameraden gekämpft haben. Ihren Einsatz für unser Wohlergehen.“ Er deutete auf den Marsianer in der Stasiskammer. „Jetzt braucht Xenius Sie!“

Chen schickte einen kurzen Blick zu einem der unzähligen Optik-Sensoren in der Decke. Hoffentlich hatte der Hauptmann sie tatsächlich deaktiviert.

„So einfach ist das nicht!“, erklärte sie.

„Das weiß ich. Deshalb brauche ich ja auch Sie! Ihre Fähigkeiten.“ Er trommelte sich auf die Brust, wie ein Gorilla. „Schließlich habe ich dafür gesorgt, dass Sie in diese Position gelangen. Sie können mir glauben, Dr. Sanshus Tod nicht wie einen Mord aussehen zu lassen, war schwer.“

Shiyans Hals zog sich zu. Sie dachte an den vorigen Tag, den Kampf um Sanshus Leben. Sein Herz, das sie nicht wieder zum Schlagen hatte bringen können. Weil es von jemand anderem zum Stillstand gebracht worden war.

„Ich bin nicht stolz auf diese Tat!“, schien Asimov den Drang zu verspüren, sich zu rechtfertigen. „Aber das größte Verbrechen in der Heping-Kolonie wurde an Xenius Willof verübt. Um es wieder gutzumachen, ist mir jedes Mittel recht.“

Chen machte sich keine Illusionen. Sollte der Hauptmann denken, dass sie ihm in den Rücken fiel, wäre sie genauso tot wie Dr. Sanshu. „Wer ist dieser Mann denn für Sie?“

Das brachte Asimov dazu, ruhiger zu werden. Trauriger. „Er war … der beste Freund, den ich je hatte. Fleißig, bescheiden. Man konnte mit ihm lachen, saufen, reden. Wenn man Probleme hatte, wusste er eine Lösung. Er war einer der zivilen Einwohner der Heping-Kolonie. Als unsere Einheit hier eintraf, gehörte er zu den Wenigen, die uns willkommen hießen. Er versprach mir sogar, dass wir zusammen Weihnachten feiern. Abseits von all dem Krieg. Er wollte mir das traditionelle Essen seiner Familie kochen. Obwohl er selbst kaum genug zu beißen hatte.“ Wut mischte sich in Asimovs Stimme. „Dann wurde Dr. Sanshu auf ihn aufmerksam. Xenius war Wasserstoff-Farmer. Seine Felder liegen in der Nähe des Valles Marineris, östlich der Tharsis-Region. Fünfzehn Jahre lang hat er dort geschuftet. Dabei war er allen möglichen Umwelteinflüssen ausgesetzt: Strahlung, bestimmten Erzen. Das machte ihn für Sanshu sehr interessant. Zu Beginn unserer Stationierung nahm man auf seinen Befehl hin von jedem Bewohner Blut- und Gewebeproben.“

„Ich weiß“, murmelte Shiyan Chen. „Um im Notfall schneller die Individualmedikamente anpassen zu können und Kandidaten für eine Blutspende zu finden. Diese Maßnahme hat vielen das Leben gerettet.“

Asimov machte eine wegwischende Geste. „Dr. Sanshu hat es aber aus einem anderen Grund gemacht. Er brauchte einen Katalog mit geeigneten Testpersonen für sein Projekt. Xenius passte als Einziger. Ich war nicht der Erste, der Sanshu zugeteilt wurde. Mein Vorgänger war Hauptmann Silk. Ein echtes Arschloch. Er entführte Xenius Willof und brachte ihn in das Labor. Ich wusste nichts davon, dachte, Xenius hätte zusammen mit den anderen Zivilisten den Planeten verlassen. Dann starb Silk beim Trümmerregen. Ich wurde sein Nachfolger. Da sah ich meinen Freund wieder. Er lag wie tot in der Stasiskammer. Sein Aussehen hatte sich verändert. Aber es war ganz klar Xenius. Dr. Sanshu wusste nicht, dass wir uns kannten. Er protzte nur, „was für eine tolle Vorlage dieser einfache Marsianer doch ist“. Als ob es um einen bloßen Haufen Fleisch ging. Nicht um einen Menschen. Ich wollte Xenius retten.“ Asimov schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich war nur zu dumm dafür. Ich brauchte jemanden mit Ahnung. So wie Sie, Dr. Chen. Ich wusste, dass der Bastard Sanshu große Stücke auf Sie hielt. Wie oft er über Sie geredet hat, wenn …“ Der Hauptmann spuckte auf den Boden. „Ich ahnte, dass er Sie als Nachfolgerin ansah, falls ihm etwas geschah. Ich hoffte es und behielt Recht.“ Asimov legte seine riesigen Hände zu einer bittenden Geste zusammen. „Sie sind ein guter Mensch, Dr. Chen. Bitte befreien Sie Xenius!“

Wie soll ich Ihnen erklären, dass Ihr Freund vielleicht eine Gefahr für uns alle ist, dachte Shiyan verzweifelt.

Asimov machte es ihr noch schwerer, als er in seine rechte Hosentasche griff und eine Schallimpuls-Pistole herauszog und sie auf die Ärztin richtete. „Sie werden ihn jetzt aufwecken!“

Chen wusste, dass die Waffe gebündelte Schallwellen verschoss. Damit konnte man Menschen leicht betäuben, aber auch töten.

Welche Einstellung Asimov gewählt hatte, ließ sich nicht erkennen.

Im dämmrigen Rotlicht der Notbeleuchtung zu sehen war dagegen General Gor Kon, der durch den ausgeschalteten Lasergitterrahmen ging. Von hinten schlich er sich an den Hauptmann heran. Dabei hielt er ein Schallimpuls-Gewehr im Anschlag.

Chen versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Sie scheiterte.

Asimov drehte sich um, feuerte. Und die eigentliche Katastrophe folgte.

Kapitel 8

Gor Kon wurde in die Brust getroffen. Asimovs Pistole war offensichtlich auf „Töten“ gestellt, denn der General spuckte Blut, kaum dass die Schallimpulse seine Rippen erreichten und diese eindrückten. Dennoch erwiderte er reflexartig das Feuer, verfehlte jedoch seinen Gegner.

Shiyan warf sich flach auf den Boden. Irgendwo hinter ihr ertönte ein lautes Krachen, vermischt mit einem Zischen. Der Impuls aus Gor Kons Waffe hatte eines der Laborgeräte getroffen.

Der General sank auf die Knie. Seine Hände besaßen nicht mehr genug Kraft, um das Gewehr festzuhalten. Es rutschte ihm aus den Fingern.

Hauptmann Asimov ging auf ihn zu und richtete seine Schallimpuls-Pistole auf die Stirn des Vorgesetzten.

Er wollte ihn hinrichten, wie Chen angewidert begriff. Als ob es in den letzten Monaten nicht genug Tote gegeben hatte.

Die gleiche Entschlossenheit, mit der sie stets versuchte, zwei sich prügelnde Soldaten voneinander zu trennen, ließ sie auch jetzt aufstehen und auf Asimov zu stürmen. Der bemerkte sie nicht, was ihr die Möglichkeit gab, ihm einen Tritt gegen die rechte Hand mit der Waffe zu geben. Ein Schuss löste sich daraus und verfehlte das ursprüngliche Ziel um wenige Zentimeter.

Shiyan hatte während der Grundausbildung Selbstverteidigungskurse absolviert. Leider fehlte ihr für diese Art von Kampf jegliches Talent. Was ihr zum Verhängnis zu werden drohte. Zwar gelang es ihr, Asimov von der Tötung des Generals abzubringen. Entwaffnen konnte sie ihn nicht.

Stattdessen richtete der Hauptmann seine Pistole nun auf sie. „Du verdammtes Miststück! Ich …!“ Er verstummte und starrte ungläubig an der Ärztin vorbei zur Wand hinter ihr. „Oh … Gott, Xenius!“

Obwohl sie Todesangst hatte, folgte Chen seinem Blick. Und sah den Neuen Menschen, wie er den Deckel der Stasiskammer öffnete, indem er ihn mit bloßen Händen aus der Halterung riss. Der Schallimpuls aus Gor Kons Gewehr war darin eingeschlagen und hatte so die Schlafphase unterbrochen. An sich unmöglich, wenn man bedachte, wie viele Schritte dafür eingeleitet werden mussten. Und doch beängstigende Realität.

Der genetisch veränderte Xenius Willof stieg aus der Kammer. Er schaute sich um, musterte mit fragendem Gesichtsausdruck Asimov und Chen. Er schien weder zu wissen, wo noch wer er war.

„Xenius?“, fragte der Hauptmann sanft und ließ die Pistole sinken. „Du bist frei. Lass uns abhauen!“ Er ging langsam auf seinen Freund zu.

Shiyan dagegen wandte sich General Gor Kon zu. Mittlerweile lag er auf dem Boden. Aus seinem Mund sickerte beständig Blut. Er hatte schwere innere Verletzungen, so viel konnte die Ärztin bereits erkennen.

„Erschießen Sie …“, keuchte er ihr zu. „Beide …!“ Er versuchte, sein Gewehr zu greifen. Es lag nur wenige Zentimeter entfernt. Zu weit für ihn. Er gab noch einen blubbernden Laut von sich. Und starb.

Chen blickte zu den anderen Anwesenden.

Asimov stand mittlerweile direkt vor Willof. „Xeni? Du bist wieder da.“

Der Neue Mensch musterte ihn ausführlich. Sein Gesicht, den Oberkörper, die Arme. Und die Pistole in der rechten Hand, was die Kreatur mit einem wütenden Knurren kommentierte.

„Xeni, bitte! Es ist Weihnachten. Du wolltest mir doch …!“ Asimovs restliche Worte verwandelten sich zu einem heiseren Keuchen. Denn sein Gegenüber packte ihn am Hals und drückte zu. Knackend zerbrach der Kehlkopf des Hauptmanns. Er ließ die Waffe fallen und starb.

Die Kreatur, die einmal ein harmloser Wasserstoff-Farmer gewesen war, trat mit ihrem linken Fuß auf die Pistole. Sie zerplatzte wie ein rohes Ei, kleine Trümmerteile breiteten sich auf dem Boden aus.

Der Neue Mensch entließ Asimovs Leichnam aus seinem Griff. Er öffnete den Mund, um einen Brülllaut von sich zu geben, durchsetzt mit Zorn, Schmerzen und einer Aggressivität, zu der kein normaler Mann fähig war.

Shiyan dachte an das, was Dr. Sanshus Hologramm über das Verhalten des Neuen Menschen erzählt hatte. Der Marsianer Xenius Willof existierte nicht mehr. Es gab nur noch ein gentechnisch erschaffenes Monster, das sie nicht aus diesem Labor entkommen lassen durfte.

Sofern es sie nicht vorher abschlachtete.

Kapitel 9

Die Kreatur stieg über Asimovs Leiche, streckte die Arme nach Chen aus und lief auf sie zu.

Sie wich zurück, entdeckte zu ihrer Linken Gor Kons Gewehr auf dem Boden, hob es auf und richtete den Lauf auf den Neuen Menschen.

Laut Dr. Sanshus Ausführungen war er schwerer zu verletzen als eine normale Person. Aber nicht unverwundbar. Shiyan brauchte nur noch den bogenförmigen Abzug zu betätigen.

Sie konnte nicht.

Ihre Hemmung, ein Leben zu nehmen, war größer, als die Gefahr, in der sie sich befand.

Ich werde hier unten sterben!, dachte sie verzweifelt, verdammte sich für die eigene Unfähigkeit. Sie ließ das Gewehr sinken.

Und die Kreatur blieb stehen. Die Aggressivität in ihrem Blick wurde weniger.

Shiyan brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann warf sie demonstrativ die Waffe weg.

Der Neue Mensch gab ein stöhnendes Geräusch von sich und nahm die ausgestreckten Arme herunter.

Pure Erleichterung durchflutete Chen. Sie war nicht mehr bewaffnet, stellte also für ihn keine akute Bedrohung dar. Solange sie sich friedlich verhielt.

„Ich will dir nichts tun“, sagte sie zur Sicherheit. Obwohl ihr bewusst war, dass sie gerade log. Die Kreatur durfte das Labor nicht verlassen. So ruhig wie möglich schaute sich Shiyan um. Der Lasergitterrahmen am Eingang – und damit das einzige Hindernis zwischen dem Neuen Menschen und dem Rest der Kolonie – war deaktiviert. Vermutlich durch Asimovs Sprengladungen. Was sollte ihn jetzt noch aufhalten?

„Verstehst du mich?“, fragte die Ärztin ratlos.

Ihr Gegenüber hielt irritiert den Kopf schief.

„Du bist Xenius Willof, erinnerst du dich?“ Shiyan schindete Zeit. Vielleicht kamen irgendwann ein paar Soldaten, um nach dem General zu sehen.

„Iiichhh“, quälte sich auf einmal ein Wort aus dem Mund des Wesens. „Iiich biiin …!“ Bebende Wut mischte sich in seine Stimme: „Ssssansssshuu ….!“

Es ballte die Fäuste.

Chen wich vor ihm zurück.

Aber nicht auf sie ging der Neue Mensch los. Sondern auf den Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Brüllend schlug er auf ihn ein, zertrümmerte die Tischplatte. Elektrische Funken sprühten. Als Nächstes wandte er sich dem Kühlschrank zu und wurde noch zorniger. Offensichtlich wusste er, was sich hinter der Schranktür befand: Die Seren, die ihn verändert hatten.

Es brauchte nur ein paar Faustschläge. Dann hatte der frühere Xenius Willof aus dem Gerät einen funktionslosen Haufen Schrott gemacht. Genauso zerstörte er den Gensplicer, das Spektrum-Mikroskop und die restliche Einrichtung.

Shiyan beachtete er überhaupt nicht mehr. Sie hätte weglaufen können.

Sie entschied sich dagegen. Die Kreatur lebte gerade ihren Hass auf das aus, was man ihr angetan hatte. Sie verhielt sich nachvollziehbar. Menschlich. Genauso wie die Soldaten der Kolonie, wenn sie aufeinander losgingen, weil all die Angst und Wut in ihnen übermächtig wurden.

Dr. Sanshu hatte keinen besseren Menschen erschaffen.

Bloß einen gefährlicheren.

Chen hob das Schallimpuls-Gewehr wieder auf. Dieses Mal würde sie schießen. Selbst wenn es sie nicht das Leben kostete, die Schuldgefühle, einen Unschuldigen wie Xenius Willof getötet zu haben, würden sie für immer quälen.

Sie zielte auf das Wesen und drückte ab. Die Impuls-Ladung traf es in den Rücken und ließ dort die Haut einreißen. Blut quoll daraus hervor.

Vor Wut bebend drehte sich der Neue Mensch zu Shiyan um. Sie schoss erneut, dieses Mal auf seine Brust. Eine weitere Wunde entstand.

„Es tut mir leid!“, hörte sich Chen wimmern und feuerte die dritte Ladung ab.

Die Kreatur wurde im Bauchraum getroffen, schwankte, blieb stehen.

Shiyan erkannte, dass sie nur noch einmal den Abzug betätigen musste, dann war die verabscheuungswürdige Aufgabe erledigt. Sie hob den Gewehrlauf, zielte auf den Kopf des Neuen Menschen. Er blickte sie direkt an.

In seinen Augen sah sie keine Wut mehr oder Angst. Nur grenzenlose Erschöpfung. Er öffnete langsam den Mund und sagte: „Iiich … will … naach … Hause!“

Die Worte trafen Chen direkt ins Herz. „Ich kann dich nicht gehen lassen.“

Die Kreatur erstarrte für einen Moment. Und nickte schließlich verstehend.

Shiyans Sicht verschlechterte sich. Weil Tränen ihr die Augen überfluteten. Etwas in ihrer Brust verkrampfte sich. Xenius Willof sprach zu ihr. Nicht das von Sanshu erschaffene Monster, das sie in ihm gesehen hatte. Der marsianische Wasserstoff-Farmer hatte ein letztes Mal die Herrschaft über seinen Körper zurückerhalten. Er breitete die Arme aus.

Chen schoss. Das Wesen starb.

Minutenlang betrachtete die Ärztin abwechselnd seinen Leichnam, den von Asimov und Gor Kon. Sie fühlte sich innerlich taub. Eingefroren in diesem Albtraum, der kein Ende nahm.

Sobald jemand hier herunterkam, würde sie festgenommen werden. Als dreifache Mörderin. Was wirklich geschehen war, wen interessierte es? Tatortermittler gab es in der Kolonie nicht, der ranghöchste General zählte zu den Opfern. Man würde Shiyan lynchen.

Dann ist das eben so!, dachte sie müde.

Ein Brummen erklang. Es waberte durch die Luft, wuchs zu einem Grollen heran. Es kam aus Richtung des zerstörten Brutbeschleunigers. Chen wollte sich umdrehen. Da explodierte das Gerät bereits, schickte eine Druckwelle durch das Labor, die die Ärztin erfasste und ihr das Bewusstsein raubte.

Kapitel 10

Shiyan Chen spürte die Matratze des vollautomatisierten Sani-Bettes unter sich, roch gefilterte, kühle Luft und wusste, dass sie nicht mehr in der Heping-Kolonie war. Dort gab es nach all den Monaten nur noch provisorische Krankenpritschen und Gestank.

Mühsam öffnete sie die Augen. Sie musterte die Zimmerdecke, eine Ansammlung von Rohren, Leuchtelementen und Optik-Sensoren. Die übrigen Wände bestanden aus Transparent-Metall. Chen begriff, dass sie an Bord eines Raumschiffes war. Vermutlich eines Krankentransports.

Am Fußende ihres Bettes erblickte sie eine asiatische Frau mit kurzgeschnittenen, schwarzen Haaren. Sie war mit der dunkelblauen Uniform der „Chernaya molniya“ bekleidet, der berüchtigten ZS-Geheimpolizei. Ihre Rangabzeichen wiesen sie als Leutnant aus. Sie musterte Shiyan mit nüchtern analytischem Blick und sagte: „Es freut mich, dass Sie endlich aufgewacht sind, Dr. Chen. Ich benötige ein paar Informationen.“

„Wie bin ich hierher gekommen?“, fragte die Ärztin mit rauer Stimme. Ihr Hals brannte wie Feuer.

„Man hat Sie vor sieben Standardtagen während einer sektorweiten Feuerpause aus der Heping-Kolonie evakuiert. Sie haben eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. Zudem wurde Ihr Atemapparat durch diverse giftige Gase in Mitleidenschaft gezogen. Ihr Zustand war zeitweise äußerst kritisch, weshalb man es vorzog, Sie in ein künstliches Koma zu versetzen, aus dem man Sie erst heute aufgeweckt hat.“ Die andere Frau machte eine leichte Verbeugung. „Ich bin Leutnant Hao Ban von der CH. Ich ermittle bezüglich der Ereignisse, die zu der Zerstörung von „Projekt Neuer Mensch“ geführt haben. Da wir Sie in dem dafür vorgesehenen Labor aufgefunden haben und Sie laut Datenbank gerade erst zur überwachenden Fachkraft befördert worden sind, hoffe ich, dass Sie mir weiterhelfen können.“

Chen konnte gar nicht krank genug sein, um zu vergessen, was geschehen war. Geschweige denn die eigenen Taten. Die jetzt dieser Frau preiszugeben, grenzte an Selbstmord. Nach der Tötung von Xenius Willof hatte sich Shiyan im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde gefühlt. Nun nicht mehr.

„Ich … weiß nicht genau …“, murmelte sie. „Da waren … Explosionen …“

„Ja. Soweit ich rekonstruieren konnte, wurden Sprengladungen gelegt. Von einem fachkundigen Soldaten. Sie vernichteten die Hauptenergieversorgung für das Labor und sorgten für einen kompletten Ausfall der Video-Überwachung.“ Leutnant Ban verschränkte die Arme vor der Brust. „Deshalb ist es entscheidend, dass Sie mir von den Geschehnissen berichten. Die Leichen von General Kon und Hauptmann Asimov wurden geborgen. Sie weisen leider zu viele Gewebeschäden auf, als dass ich ermitteln kann, was zum Tod dieser Soldaten geführt hat. Bitte erzählen Sie mir, was ist geschehen?“

Leutnant Ban bedachte Chen mit einem durchdringenden Blick.

Die fragte sich, ob die ZS-Geheimpolizistin wirklich nicht wusste, was vorgefallen war. Gut möglich, dass sie sich nur ahnungslos gab. Damit sie ihre Gesprächspartnerin ins offene Messer laufen lassen konnte.

„Es war Hauptmann Asimov“, begann Shiyan zu berichten und hangelte sich an den Fakten entlang, die sie nicht belasteten. „Er hat die Sprengladungen gelegt.“

„Woher wissen Sie das?“

„Er hat es mir gesagt, als er ins Labor kam. Kurz bevor die Energieversorgung ausfiel.“

„Und Sie haben ihm das geglaubt?“, bohrte Ban nach.

Chen schluckte laut. „Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.“

Die ZS-Geheimpolizistin nickte leicht. „In der Tat besaß Hauptmann Asimov die Qualifikation, mit Sprengstoff zu hantieren. Nur warum hat er es getan?“

Auch da gefährdete die Wahrheit Shiyan nicht. „Er wollte die Testperson aus der Stasiskammer befreien. Er kannte sie aus einer Zeit, bevor Dr. Sanshu sie … behandelt hat. Er glaubte, dass man ihr Unrecht angetan hat.“

„Wie sehen Sie das, Dr. Chen?“

Das war eine verbale Galgenschlinge. Shiyan wusste, dass Geheimpolizisten im Deuten von Mikroexpressionen geschult wurden, flüchtigen Gesichtsausdrücken, die man nur schwerlich unterdrücken konnte. Eine Frage wie diese kam einem Test mit dem Lügendetektor gleich. Der Ärztin blieb nur die ehrliche Antwort übrig: „Ich denke, Dr. Sanshu hat einen Fehler gemacht und all das verraten, was ein Mediziner und Wissenschaftler in Ehren halten sollte!“

„Hat er dafür den Tod verdient?“, warf Ban die nächste Schlinge aus.

Shiyan wusste, worauf sie anspielte. „Ich bin kein Henker, Leutnant. Dr. Sanshu starb nicht, weil ich ihn behandelt habe, sondern trotzdem. Außerdem war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt, dass er mehr war als ein normaler Arzt.“

„Und wenn es Ihnen bekannt gewesen wäre? Hätten Sie sich bei seiner Behandlung weniger angestrengt?“

Purer Zorn stieg in Chen auf. „Ich bin Ärztin, Leutnant Ban. Ich rette Menschenleben. Ganz gleich, was ich von der Person halte, die ich behandele.“

Ban leistete sich einen Moment erdrückenden Schweigens. Dann erklärte sie: „Ihr Schilderungen decken sich mit den Eintragungen im Stationscomputer, die Gor Kon bezüglich Ihrer Beförderung zum Kommandeur gemacht hat. Was geschah im Labor? Wie sind der General und Hauptmann Asimov zu Tode gekommen?“

Ich bin es leid zu lügen!, dachte Shiyan bitter. „Kon wurde von Asimov erschossen.“

„Und der Hauptmann?“

„Wurde von der Testperson umgebracht.“

„Haben Sie etwas getan, um das zu verhindern?“

Chen schüttelte den Kopf. „Es ging zu schnell. Der Neue Mensch ist … war stärker als normale Personen.“

„Und was geschah mit ihm?“

Shiyans Mund weigerte sich, zu arbeiten.

„Wie ist mit der Testperson geschehen?“ Leutnant Ban stemmte die Hände in die Hüften.

„Ich habe sie mit der Waffe von General Kon erschossen!“, drängte sich der Satz zwischen Chens Lippen hindurch. „Sie ist tot!“

„Sind Sie sich da sicher?“

„Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.“

„Darauf, dass wir keinen Hinweis auf den Verbleib der Testperson gefunden haben.“

Kalter Schweiß floss Chens Rücken herunter. „Ich habe den Neuen Menschen erschossen, Leutnant Ban. Dessen bin ich mir absolut sicher. Die Verletzungen, die ich ihm beigebracht habe, konnte er nicht überleben.“

Sekunden voller Stille folgten.

„Sehr gut!“, antwortete die ZS-Geheimpolizistin schließlich überraschenderweise mit einem emotionslosen Lächeln. „Ich glaube Ihnen. Vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit. Auch wenn es für Ihre Aussage keinerlei Beweise gibt. Aber ich nehme an, dass Dr. Sanshus Geschöpf ist widerstandsfähiger als gedacht. Die Kolonie versank im Chaos. Sicherheitsvorkehrungen sind ausgefallen. Da ist es gut möglich, dass der Neue Mensch fliehen konnte. Wohin, das werden wir wohl nie erfahren.“ Sie verschränkte die Arme wieder vor der Brust und ging ein paar Schritte durch das Krankenzimmer. „Ich habe nur Probleme damit, Ihre Tat mit der Aussage in Verbindung, Sie seien kein Henker. Wollen Sie mich aufklären?“

Shiyan spürte Würgereiz in der Kehle. „Wenn Sie mich wegen irgendetwas beschuldigen, sprechen Sie es aus. Was werfen Sie mir vor?“

Leutnant Ban blieb stehen. „Ich werfe Ihnen gar nichts vor, Doktor. Im Gegenteil. „Projekt Neuer Mensch“ war bei der ZS-Führung äußerst umstritten. Dr. Sanshu hat seine Vorgesetzten vor vollendete Tatsachen gestellt. Allein seine Forschungserfolge schützten ihn. Für gewisse Zeit. Bedauerlicherweise hat der Feind Kenntnis davon erhalten, dass die Heping-Kolonie mehr war als ein bloßer Truppenstützpunkt. Ein Angriff mit anschließender Gebietseroberung stand kurz bevor. Hätte man die Testperson da noch im Labor gefunden, wäre der Schaden enorm gewesen. Ich habe Ihre Akte gelesen, Dr. Chen. Sie besitzen einen starken Willen, Moral und Intelligenz. Deshalb erlaube ich mir, folgende Hypothese aufzustellen: Sie wollten den Neuen Menschen töten, um Ihre Soldatenkameraden zu beschützen. Weil in Ihrer Wahrnehmung das wohl Vieler mehr wiegt, als das Weniger. Oder eines Einzelnen.“

Die Ärztin brachte nur einen Gedanken zustande: Zu nah an der Wahrheit, um mich herauszuwinden!

Leutnant Ban redete weiter: „Eigentlich steht auf das, was Sie vermeintlich getan haben, nämlich die Zerstörung von Militäreigentum, eine mehrjährige Haftstrafe. Die aktuellen Umstände lassen Ihre Handlungen allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Zumal der abschließende Beweis, sprich: der Leichnam der Testperson, nicht vorliegt. Kurz nach Ihrer Evakuierung wurde die Heping-Kolonie vom Feind eingenommen. Wir konnten nur noch die Körper von General Kon und Hauptmann Asimov bergen. Das Projekt-Labor war stark zerstört. Daten mit Forschungsberichten blieben dennoch erhalten. Was der Gegner damit anfangen wird, bleibt abzuwarten. Die Tötung der Testperson aus Sicherheitsgründen wäre definitiv angemessen gewesen. Insofern haben Sie in unserem Sinne gehandelt. Deshalb unterbreite ich Ihnen ein Angebot, Dr. Chen. Es ist nicht das angenehmste. Aber ich denke, ein besseres werden Sie nicht bekommen.“

„Ich höre“, meinte Shiyan heiser.

„Sagt Ihnen das Multiplex-Serum etwas?“

Chen brauchte einen Moment, um in ihrem langsamen Geist die gewünschten Informationen zu finden. „Ja. Es ist ein Mittel bei der Behandlung von Gehirnverletzungen. Man vermutet, dass es bestimmte Neuronenverknüpfungen wiederherstellen kann. Soweit ich weiß, ist es aber noch in der Erprobungsphase. Was hat das mit mir zu tun?“

„Wir von der „Chernaya molniya“ haben es bereits öfters eingesetzt.“ Ein zufriedenes Lächeln erschien auf Bans Lippen. „Insbesondere bei Personen, deren Fähigkeiten zu kostbar sind, als dass wir darauf verzichten wollen. Sie, Dr. Chen, gehören zu diesem erlesenen Kreis.“

„Ich bin eine einfache Ärztin.“

„Dr. Sanshu sah mehr in Ihnen. Und wir tun das auch. Vorläufig haben wir keine Verwendung für Sie. Die Zukunft jedoch ist unbeständig. Was wir heute ablehnen, umarmen wir vielleicht schon morgen. Wir sind in der Lage, mit dem Multiplex-Serum Ihr Erinnerungsvermögen zu beeinflussen. Da Sie nur einen halben Standardtag Wissen über „Projekt Neuer Mensch“ sammeln konnten, dürfte die Prozedur nicht allzu aufwendig und risikoreich sein.“

„Sie … wollen mein Gedächtnis löschen?“

Die Geheimpolizistin nickte. „Nur, was die fragliche Zeit betrifft. An alles andere werden Sie sich erinnern können.“

Chen bekam eine Gänsehaut. Und das nicht, weil die Raumtemperatur gesunken war. „Sie manipulieren mein Gehirn. Das ist …!“

„Die einzige Möglichkeit, um lebend aus dieser Situation herauszukommen“, unterbrach Ban sie. „Sehen Sie es als verspätetes Weihnachtsgeschenk an. „Projekt Neuer Mensch“ muss begraben werden. Genauso wie die Personen, die damit zu tun hatten. Dr. Sanshu, General Kon und Hauptmann Asimov stellen keine Sicherheitsrisiken mehr dar. Sie dagegen schon.“

Shiyan stand sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand. Sie ging den einzig möglichen Weg. „Tun Sie, was nötig ist.“ Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus.

„Man wird noch heute mit der Prozedur beginnen. Wir werden uns nie wiedersehen. Insofern vielen Dank für Ihren Dienst, Dr. Chen.“

Leutnant Ban verließ das Zimmer.

Shiyan blieb mit ihren Gedanken allein zurück. Den erdrückenden Fragen, auf die ihr niemand eine Antwort geben würde. Falls Xenius Willof tatsächlich noch lebte, was tat er nun? Lief er orientierungslos durch das marsianische Ödland? Gelangte er zu einer anderen Kolonie und richtete als das Monster, zu dem man ihn gemacht hatte, ein Massaker an?

Oder gelang es der Seele des früheren Wasserstoff-Farmers, sich durchzusetzen? Wieder der Mann zu sein, der Hauptmann Asimov versprochen hatte, miteinander Weihnachten zu feiern? Chen gefiel dieser Gedanke. Sie beschloss, sich so lange wie möglich an ihn zu klammern.

Kurz darauf erschien ein namenloser Arzt und verabreichte ihr mit einer Luftdruckspritze das Multiplex-Serum. Ein undurchdringlicher Nebel breitete sich in ihrem Geist aus. Er umhüllte Erinnerungsbilder, ließ sie verblassen, bis nur noch Leere an ihrer Stelle existierte.

Dr. Shiyan Chen versank in tiefer Bewusstlosigkeit.

Zehn Tage nach der Evakuierung der Heping-Marskolonie erwachte sie auf der Gargarin-Raumstation, im geostationären Orbit um die Erde. Sie lag in einem komfortablen Sani-Bett. Man berichtete ihr, wie glücklich sie sein konnte, noch am Leben zu sein. Ihre Wunden verheilten gut. Nur an Schlafstörungen litt sie. Und Gedächtnislücken. So sehr sich Shiyan bemühte, sich konnte sich nicht daran erinnern, was sie an ihrem letzten Tag getan hatte. Nachdem ihr der geschätzte Kollege Dr. Sanshu auf dem Operationstisch unter den Fingern weggestorben war. Bevor sie das Opfer einer Explosion in der Verwaltungskuppel wurde.

„Kein Wunder“, meinte ein Pfleger. „Sie haben mehrere Monate Hölle erlebt! All die Toten. Da legt das Hirn mal ne Auszeit ein.“

Chen stimmte ihm zu, akzeptierte, dass sie auf bestimmte Fragen wohl nie eine Antwort erhalten würde. Ein paar Mal jedoch kam ihr ganz kurz ein seltsamer Begriff in den Sinn: Xenius.

War es ein Name? Eine Bezeichnung?

Trauer schwang mit, sobald er in ihrem Geist auftauchte. Dann verschwand er wieder.

Shiyan zwang sich, nach vorne zu blicken.

Trotzdem beschlich sie das Gefühl, dass irgendetwas in ihr fehlte. Ein Puzzleteil ihres Lebens. Vielleicht fand sie es eines Tages.

Ende

Notiz des Autors: Wenn Sie Dr. Shiyan Chen wiedertreffen möchten, in meinem Science-Fiction-Roman „Kar-Es: 701 Down!“ bekommen Sie die Gelegenheit.

Türchen 2

Heute öffnen wir Türchen 2 des Selfpublisher-Adventskalenders mit dem Prequel zur neuen Fantasy-Reihe von Anja Lehmann:

Queen of Snow

Skade, die Göttin über Schnee und Eis kommt auf die Welt Favoria. Der Gottvater ist außer sich und bannt seine Tochter in den Körper einer menschlichen Frau. Skade sucht verzweifelt einen Weg, das sich ausbreitende Böse zu stoppen. Dabei begegnet sie Siguriél, einem Mann aus dem Reich Gemma und verliebt sich in ihn.

Wird diese Liebe auch im Angesicht des Bösen überdauern, oder macht Skade den Fehler ihres Lebens wenn sie den Menschen vertraut?

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Zerrissen von Anja Lehmann

Die kühle Nachtluft ließ ihn frösteln, als er dem Schneetreiben
zusah. Er stand auf dem Balkon seines prächtigen Gemachs und
legte den Kopf in den Nacken. Dicke weiße Flocken fielen ihm
auf das Gesicht und mischten sich mit seinen Tränen. Die Luft
roch nach dem Segen des Winters und er wusste, dass er seine
Gefühle besser in den Griff bekommen musste, um das von ihm
Verlangte durchzuführen. Er dachte an die Göttin in ihrem
Schneepalast, die dort allein weilte, abgeschnitten von den
Menschen, unter denen sie so gerne gelebt hätte.
Nun nicht mehr, erinnerte er sich. Für Skade gab es nur noch
einen Weg und das war Rache.
Er musste ihr dienen, ihr folgen, selbst wenn er das Mädchen
dafür verraten würde.
Das Mädchen. Crystal, die er aus dem Kloster an den Hof
gebracht hatte. Die jetzt schlief, nichtsahnend von den
Gedanken, die ihn jede Nacht heimsuchten.
Er wischte sich die Tränen weg. Verbot es sich auch nur eine
weitere Träne zu weinen. Für Schwäche war in seinem Leben kein
Platz. Mit zwei Schritten kehrte er wieder in die einsamen
Räume zurück. Unterdrückte das Kribbeln in seinen Füßen, den
Instinkt, einfach davonzulaufen. Er ließ sich in die weichen
Daunenkissen sinken, wandte seinen Blick erneut dem Fenster zu,
an dem die Flocken leise vorbeirieselten.

Der Schnee erinnerte ihn jedes Jahr an den Schwur, den er
geleistet hatte, und doch war es dieses Mal anderes. Crystal
war in sein Leben getreten, hatte sein Herz geraubt. Ihre
Anwesenheit riss an seiner Stärke, brachte ihn zum Schwanken.
Bald würde das Winterfest stattfinden, der festliche Ball zu
Ehren der Göttin. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sie
dort womöglich mit jemand anderem zu sehen. Er schloss die
Augen und stellte sich ihr Gesicht vor. Sie war ihm ganz nah,
ihre Lippen berührten sich fast. Er roch den blumigen Duft
ihrer Haare, hörte ihren Herzschlag unter ihrer Brust. Wusste,
dass er schwach war, zu schwach. Für ein paar Tage würde er
sich fallen lassen, würde dem Feuer in sich nachgeben. Sollte
die Göttin ihn hinterher in eisige Fesseln legen, bis sein Blut
gefror. Dann würde er wenigstens mit einer schönen Erinnerung
leben oder sterben, ganz wie die Göttin es entscheiden würde.

Ende