Türchen 23

Und Boom! Weihnachten ist morgen. Ich kann es noch gar nicht fassen, dass damit auch der SP-Adventskalender vorbei ist. Bevor wir wegen morgen aber alle in Panik verfallen, habe ich euch noch eines meiner Lieblingsbücher hinter Türchen 23 versteckt.

Es ist einfach so toll, aber ich will gar nicht zu viel verraten, außer: Hattet ihr nicht auch schon mal den Wunsch in Bücher reisen zu können? In Nylem wird der Traum eines jeden Bücherwurms wahr:

Schwalbennacht – Die Stille der Magie

von Roukeiya Peters

Vor wenigen Jahren wurde die Ebene Nylem von Asoma und Scudari erschaffen. Die Magiebegabten sorgten dafür, dass das Land eine Zuflucht für ihresgleichen bot. Doch das friedliche Zusammenleben fand mit den Hütern der Harmonie ein jähes Ende.

Knapp 50 Jahre später lebt Runa in einer Welt, in der die Ausübung magischer Begabungen verboten ist, obwohl ein Großteil der Bevölkerung Nylems Magie in sich trägt. Aus Angst vor den Hütern verzichten die Menschen auf ihre Talente.

Runa ist innerlich zerrissen. Sie liebt ihre Gabe, in Bücher zu reisen, begibt sich dabei jedoch immer wieder in Gefahr.

Als sich eine weitere Fähigkeit abzeichnet, muss sie um ihre Lesergabe bangen. Derweil hat sie ungeahnt etwas angestoßen, das für ganz Nylem Veränderung bedeuten könnte.

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute entweder ein, von der Autorin für euch persönlich, signiertes Print von Band 1 oder das ganz frisch erschienene Hörbuch von Schwalbennacht (über Thalia). Um beim Gewinnspiel teilzunehmen, hüpft auf Instagram.

Weihnachtlich glänzet der Wald

Das Erste, was Jenna wahrnahm, war der kalte Wind, der über ihre Haut fegte. Etwas Nasses, das gegen ihr Gesicht klatschte. Sie kniff ihre Lider fest zu, bevor sie schließlich stöhnte und ihrer weißen Zimmerdecke entgegensah.

Sie richtete sich auf und schloss das Fenster, das wieder mal aufgesprungen war und den Winter hineingebeten hatte. Dabei leuchteten ihr die bunten Lichter der Weihnacht entgegen, im Himmel entdeckte sie, wie jede Nacht ab dem ersten Dezember, einen Santa Clause, der mit dem Schlitten und den neun Rentieren durch die klare Luft flog. Allein für diese Animation hatte es eine große Arbeitsgruppe gegeben. Scudari, die sich darum bemühten, dass eine Abbildung von Santa Clause aus einem Buch in der Welt umherflog. Als ob es nichts Wichtigeres gab. Jenna verdrehte die Augen und wappnete sich für den ersten Weihnachtstag.

Zur Mittagszeit schob sie ein ganzes Blech voller Plätzchen in den Ofen und rührte den Puderzucker zu Zuckerguss.

»Dein Opa kommt heute, sei bitte nett.« Ihre Mutter Beatrice nahm ihr den Guss ab und rührte etwas rote Farbe hinein. Jenna hasse rosa, aber hier kümmerte es keinen, was sie mochte.

»Ich bin nett, wenn er es auch ist«, erwiderte sie. Noch drei Minuten bis die Kekse fertig waren. Nur noch den Zuckerguss draufklatschen, mit Perlen bestreuen, oder viel mehr bewerfen, und fertig. Dann konnte sie dem Ganzen hier vorerst entfliehen.

Ihre Mutter seufzte, verschränkte die Arme und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Küchentheke. Ihre braunen Augen blitzten auf. »Es sind nur ein paar Stunden, du wirst es schaffen, dich zusammenzureißen. Das war keine Bitte.« Ja, es war ein verdammter Befehl.

Jenna riss den Backofen auf und holte das Blech heraus. Dampfende Vanillewolken waberten in der Luft und verströmten ein weihnachtliches Gefühl, das Jennas Herz nicht erreichte.

»Hast du mich verstanden, Jen?«, fragte ihre Mutter bissig.

»Ja, Mutter.« Sie wollte, dass ihre Mom sich abwandt, und ihr Nachgeben bescherte ihr genau diesen Umstand.

Stillschweigend verzierten sie die Plätzchen und hörten Weihnachtsmusik. Nur wenige Minuten später summte Beatrice bereits fröhlich mit, als könnte die Melodie die Schwere des Konflikts aus der Luft filtern.

Nachdem Jenna aus der Küche verschwinden konnte, vertiefte sie sich in ein Buch, um aus dieser Welt zu entschwinden. Nicht so wie die Scudari es konnten. Manchmal wünschte sie sich auch, diese Gabe in sich zu tragen. Aber in ihrer Familie war keiner ein Asoma oder ein Scu. Doch alle waren vernarrt in die Magie, die ihnen vorenthalten wurde. Jenna sah allerdings auch die zahlreichen Nachteile. Magie wurde für Dinge eingesetzt, die völlig nutzlos waren, obwohl man die Energie für etwas Sinnvolleres einsetzen konnte. Asoma nutzten sie für illegale Machenschaften. Drogenhandel, Banküberfälle, Angriffe auf Menschen waren dabei nur einige Aspekte. All das konnte durch Magie noch besser vertuscht werden. Die junge Frau kam nicht umhin sich zu fragen, wann die Leute endlich ihre gerechte Strafe dafür bekamen.

Es dauerte nicht lang, bis Jenna aus ihrer heilen Buchweltentrissen wurde. Ein Ruf ihrer Mutter, forderte sie dazu auf, bei den Vorbereitungen zu helfen. Jenna reckte sich und nahm sich einige Sekunden, um sich seelisch auf die Farce vorzubereiten.

Sie stapfte hinunter und hörte bereits Männerstimmen, ein polterndes Lachen. Ihr Großvater war bereits da. Sie verstanden sich nicht besonders, was mitunter daran lag, dass er den Magiebegabten alles verzieh, während Jenna mit wachen Augen durch die Welt ging. Sie beschloss, eine vorzeitige Begrüßung zu vermeiden. Ihnen blieb beim Essen genug Zeit, sich gehörig auf die Nerven zu gehen.

Sie ging schnurstracks in das Esszimmer und griff nach der roten Decke, um sie über den Tisch auszubreiten. Die Teller lagen bereit, um aufgedeckt zu werden.

Leise rieselt der Schnee erklang aus der Küche und Jenna schluckte. Still und starr ruht der See. Doch stille Gewässer waren tief. Die junge Frau schüttelte ihren Kopf und verdrängte den Gedanken an eine Flucht aus diesen Wänden, die sich ihr Zuhause nannten. An einen Ort da draußen, der ihr tatsächlich Wärme schenken konnte, die sie so schmerzlich vermisste.

Die junge Frau setzte die großen goldenen Kerzenständer in die Mitte des Tisches, legte ein paar Tannenzweige dazu und betrachtete ihr Werk. Dafür, dass sie kein Fan der weihnachtlichen Oberflächlichkeit war, hatte sie großartige Arbeit geleistet.

»Jen!«, rief ihre Mutter und riss sie zurück in die raue weihnachtliche Realität.

»Ich komme schon«, murmelte sie und kam ihrer Mutter zur Hilfe.

Am späten Nachmittag saßen sie zu acht gemeinsam beim Weihnachtsessen und lauschten der Geschichte von Tante Zelda und Onkel Vernon, die ständig auf Reisen waren.

»Danach gab es eine riesige Schaumparty. Die Asomawissen, wie man feiert«, erzählte Zelda lachend und legte eine Hand auf die Schulter ihres Ehemannes. »Weißt du noch, Vernon? Dieser eine Mann, der alle Stimmen präzise nachahmen konnte?«

Jenna zog die Augenbrauen zusammen. »Das kann er aber auch ausnutzen. Das ist euch bewusst, oder?«

Ihr Großvater lachte. »Da kommt ja meine kleine schwarze Fee! Ich weiß nicht, von wem du diese negative Einstellung hast. Er macht es doch nur aus Spaß.« 

»Superwitzig, wenn man damit betrogen werden kann«, entgegnete Jenna.

»Jen!«, brummte ihr Vater und funkelte sie an. 

Ihre Mutter griff nach ihrem Knie und drückte es. Nicht, um ihr zu signalisieren, dass sie auf ihrer Seite war, sondern nur, um sie zu stoppen. Jenna biss sich auf die Zähne und hielt sich zurück.

»Nicht doch«, sagte ihr Großvater und lächelte sie an. »Ich weiß doch, dass du es nicht so meinst, Jenna. Die Magiebegabten haben Nylem erschaffen. Wir sollten dankbar sein und uns einfügen.«

Sie schloss ihre Augen und zählte bis drei. Versuchte sich irgendwie zu beruhigen, als ihre Meditation jäh von seiner Stimme unterbrochen wurde.

»Wir sind eben nicht mit einer Gabe gesegnet, aber wir können sie genießen. Die Magie ist um uns herum. Ich möchte dir nicht absprechen, dass es Menschen gibt, die es ausnutzen, aber die Welt ist eben nun mal, wie sie ist«, führte er aus.

»Jenna, du solltest mal mit uns mitkommen«, mischte sich nun auch ihr Onkel Vernon ein. »Du wirst sehen, was die Asoma und Scudari alles für uns leisten. Du könntest Toleranz lernen.« 

»Toleranz?«, wiederholte sie. »Ich bin tolerant! Ich habe nichts dagegen, wenn die Menschen ihre Gaben einsetzen, wenn sie andere dabei nicht schaden.«

Jenna stand auf. Sie musste sich diese Familie nicht antun. Sie musste sich nicht erzählen lassen, was sie an sich ändern müsste und dass ihre Meinung nicht zählte. Sie war wertvoll, egal was sie ihr versuchten einzutrichtern!

Die Familie sah sie mit großen Augen an, nur ihre zwei Tanten, die sowieso nur da waren, weil es kostenloses Essen gab, betrachteten sie mit einem kaum merklichen Schmunzeln auf den Lippen. Bedankten sich still für die Aufführung, die Jennas Leben war.

»Jen, setz dich bitte wieder«, befahl Beatrice.

Die junge Frau lächelte schmal. »Ich bin satt. Genießt den Weihnachtsabend ohne mich.« 

»Du setzt dich sofort wieder auf deinen Platz.« Ihr Vater erhob sich und drohte sie mit seinen strafenden braunen Augen wieder auf ihren Stuhl zu verbannen. Doch sie riss sich im letzten Moment los. Binnen Sekunden schlüpfte sie in ihre Stiefel, klaubte sich ihren Mantel, Schal und ihre Mütze zusammen und stürmte aus dem Haus, in dem nur noch die leise Weihnachtsmusik zu hören war. Sprachloses Schweigen hatte die Familie eingeholt und Jenna gönnte es ihnen und ihrer Parodie eines besinnlichen Weihnachtstags.

Draußen knirschte der Schnee unter ihrer Sohle und feine Flocken landeten auf ihrem hellen Mantel. Über ihr hörte sie Ho Ho Ho und den Schlitten, der über sie hinweg zog.

Warme Lichter an den Fenstern und geschmückte Bäume ließen sie hoffen, dass andere Familien nicht nur den Schein ertragen mussten. Dass sie wahrlich ein schönes Fest hatten. Doch es gab auch jene, wie sie, die statt einer Weihnachtsgans eine Lüge aufgetischt bekamen.

Sie steckte ihre Hände in die Manteltaschen und hielt auf den kleinen Wald zu, indem sie immer gern zur Ruhe kam. Zwischen den Nadelbäumen hielt sie inne, schloss ihre Augen und reckte ihr Gesicht in den nachtblauen Himmel. Die Schneeflocken landeten auf ihrer Haut und zerflossen zu Regenwasser.

Als sie ihre Lider öffnete, sah sie einem jungen Mann im schwarzen Mantel entgegen, der sie unverhohlen beobachtete, unter seinem Arm trug er ein dickes Buch.

»Was ist?«, fragte Jenna ihn barsch. 

»Ich habe mich nur gefragt, was jemand wie du, an einem solchen Tag allein draußen macht«, sagte er und lehnte sich an einen Baum. Er machte keine Anstalten näher zu kommen.

»Ich hatte genug von meiner Familie«, antwortete sie wahrheitsgemäß.

»Oh. Das tut mir leid. Mir geht es ähnlich.« Er hob das Buch an. »Lust, eine Runde Schlittschuh zu laufen?«

Jenna überlegte nicht lange, sie war bereit hier abzuhauen, sei es für ein paar Minuten. »Klar.« Sie kam dem jungen Mann näher. 

Seine braunen Locken glänzten vom Schnee. Er zog die Augenbrauen hoch. »Wirklich? Du immagierst mit mir?«

»So ist es.« Sie stand nun vor ihm und sah in seine grünen Augen.

»Wow. Okay, schön. Ich heiße übrigens Marc. Marc Fisher«

»Jenna«, stellte sie sich vor und lächelte. »Ich weiß, ich wirke ein wenig verrückt.« 

»Verrückt und neben der Spur.« Er fuhr sich durch die Haare. »Man! Ich würde fast sagen, wenn ich es nicht wäre, mach das nicht, Jenna. Geh nicht mit einem fremden Mann mit. Man kann nie wissen.« Er grinste frech. 

»Sollte ich mir denn Gedanken machen?«, fragte sie.

»Nicht bei mir, aber sollte jemand anderes fragen, dann mach es bitte nicht«, sagte er und klappte das Buch auf.

Jenna war zuvor schon mal mit jemandem immagiert und freute sich auf die Ablenkung.

Marc streckte die Hand nach ihr aus. »Bereit?« 

»Bereit«, erwiderte sie. 

Als sie seine Haut berührte, spürte sie die Wärme, die sie durchflutete. Er sah kurz zu ihr und lächelte, als würde auch er die Verbindung zwischen ihnen spüren. Dann begann er zu lesen. Buchstaben flüsterten sich auf seine Haut, zogen sich immer weiter hoch, bis zu ihrer Hand. Ein leiser Sog, der sich aufbaute und schließlich in einem Sturm endete und die beiden in eine andere Welt riss.

Sie landeten auf einem Weihnachtsmarkt. Menschen mit Flügeln … Engel, wie Jenna begriff, liefen umher und verteilten Süßigkeiten an Kinder. In der Mitte eine riesige Eisfläche.

»Wollen wir, Jenna?«, fragte Marc und grinste.

»Ich bin nicht gut darin«, offenbarte sie.

»Nicht schlimm. Das kriegen wir hin.«

Leise Weihnachtsmusik erklang und es war das erste Mal, dass es Jenna berührte. Sie sah zu Marc, der ihnen Schlittschuhe besorgte, als wäre es das Normalste der Welt. Und irgendwie hoffte sie, dass das ihr neues Normal werden könnte.

»Hier«, sagte er. »Ich hoffe, die Größe ist richtig. Habe nur geschätzt.«

Jenna warf einen Blick auf die Schuhe und nickte. »Scheint, als könntest du das gut.«

Er zuckte mit den Schultern. »Mein Vater ist Schuhmacher.« Das erklärte seinen Blick. Marc streckte die Hand aus und wenige Minuten später befanden sie sich auf dem Eis. 

Der Scudari zog geschmeidige Kreise, während Jenna langsam über die glitschige Fläche zog. Sie betrachtete die Menschen, bloße Charaktere, die sich die Stände ansahen undgenoss den Geruch von Zimt und Vanille in der Luft.

Marc holte sie ein und streckte erneut die Hand aus. »Vertraust du mir?«

Jenna lachte und nahm sie dankbar an. »Nein, aber das Risiko ist es wert.«

Während sie herumwirbelten, heilte etwas ganz langsam in ihr. Vielleicht war es die Fremdheit, in der sie die Möglichkeit hatte, so zu sein, wie sie wirklich war. Doch das Einzige was zählte, war das Gefühl, das er in ihr weckte. Vielleicht war das der wahrhaftige Winterzauber.

Als sie danach an einer Hütte standen und einen Punsch tranken, betrachtete Marc sie mit glühenden Augen. »Wir sollten uns unbedingt treffen, Jenna. In der wirklichen Welt.«

Sie umfasste die heiße Tasse, fühlte die gleiche Wärme, die auch in ihrem Innersten aufkeimte. »Sehr gern.« Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. »Ich freue mich darauf.«

Marc lächelte sanft. »Das wird der Anfang einer wunderbaren Geschichte. Ich hab es im Gefühl.«

Marcs Gefühl bewahrheitete sich. Bis einst der Tag kam, der alles veränderte …

Bis dahin hatte Jenna zahlreiche Weihnachten mit ihrer eigenen kleinen Familie verbracht, hatte jeden Augenblick des Festes geliebt. Mit den Menschen, die ihr alles bedeuteten und sie schließlich verlor.

Jahrzehnte später wird Runa aus dem Fenster ihres Zimmers sehen. Eine junge Scudari, die sich nach Freiheit sehnt. Die Welt, in der sie lebt, wurde von Jenna Fisher geprägt. Die leisen Schneeflocken werden zu Boden rieseln und ihn bedecken, während Runa sich fragen wird, warum sie sich verstecken müssen. Selbst im Kreise der Familie wird nicht mehr über die Gaben gesprochen. Auch wenn sie von Menschen umgeben ist, die sie liebt, wird ein Schatten über ihr Dasein liegen. All die Hoffnungen werden sich hinter warmen Lichtern in den Fenstern verstecken, hinter beleuchteten Sternen, die von außen zu betrachten sind. Geheimnisse werden im Kerzenlicht flackern und darauf warten, offenbart zu werden.

Während weihnachtliche Melodien das Haus in sanfter Atmosphäre erscheinen lassen, der Duft von Orangen und Anis die Sinne entführen werden, vergisst das Herz nicht, warum es noch gestern nach Sehnsucht rief.

Ende

Wenn du mehr aus Nylem lesen willst, dann schau doch bei Roukeiya vorbei und lasst euch verzaubern.

Türchen 20

Und habt ihr schon alle Geschenke? Ich nicht, wie jedes Jahr bin ich Team Chaotisch und Vergesslich.

Aber solange ich nicht vergesse täglich ein Türchen mit euch zu öffnen, ist alles in Ordnung oder? 😉

Hier also Türchen 20 mit einer tollen Autorin, die leider ein wenig aus der Reihe tanzt, denn für heute streichen wir das SP aus dem Adventskalender und drücken für ihr Debüt beide Augen zu:

Ein Hauch von Dunkelheit

von Jessica Nemerhi aus dem Dunkelstern Verlag

Eine magische Welt, in der ein schrecklicher Krieg wütet. Ein Schattenmagier, der die Dunkelheit befehligt. Ein geheimnisvoller Fremder, dessen Finsternis auf eine harte Probe gestellt wird. Und ein Mädchen, das in der Lage ist, das Schicksal aller zu entscheiden …

Anas Leben wird von wiederkehrenden Albträumen bestimmt, in denen sich ihr eine von Dunkelheit überschattete Welt offenbart. Als Traum und Realität miteinander verschmelzen, findet sie heraus, dass das Land Tús Nua nicht nur existiert, sondern sein Schicksal auf geheimnisvolle Weise mit ihrem Leben verwoben ist. Auf der Suche nach Antworten gerät sie zwischen die Fronten eines brutalen Krieges. Trost und Verständnis findet sie bei Thion, dem sie bereits in ihren Träumen begegnet ist. Doch ihm ist die Dunkelheit hörig …

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute

Schneeflocken der Erinnerung

Ein Prequel zu „Ein Hauch von Dunkelheit“

Als Elodie an jenem Morgen das Haus verließ, schlug ihr eine ungeahnte Kälte entgegen. Anstatt nach ihrer Magie zu greifen, um die Kühle aus ihrem Körper zu vertreiben, wickelte sie nur das Halstuch etwas enger um ihren Hals. Sie rieb die Handflächen aneinander und hauchte warme Atemluft hinein. Bis zu ihrem Ziel war es nicht weit. Lieber sparte sie sich ihre Kräfte für die kommenden Stunden auf.

Auf ihrem Weg durch die Straßen Tammheins begegneten ihr heute nur wenige Nachbarn – die meisten waren sicher längst auf dem Markt, um ihre Stände aufzubauen oder das beste Obst und Gemüse zu kaufen. Elodie vermied den Trubel auf dem großen Platz und bog eine Seitenstraße zuvor in eine schmale Gasse ab. An deren Ende stieg sie drei Stufen zur Tür eines zweistöckigen Fachwerkhauses hinauf.

Mit einem kräftigen Klopfen kündigte sie ihr Kommen an und trat ein. Wie erwartet war im unteren Geschoss niemand anzutreffen. Sie lockerte ihren Schal etwas und lief sogleich über die Treppe ins obere Stockwerk.

Die Tür zu Thaleas Schlafzimmer war nur leicht angelegt und Elodie klopfte erneut an, diesmal etwas leiser, um sie nicht zu erschrecken. Ein eiskalter Lufthauch schlug ihr entgegen und ihr erster Blick galt dem schmalen Bett, das leer und ungemacht an der rechten Wand stand.

Kurz machte sich Sorge in Elodies Herzen breit. Thalea war selbst aufgestanden – das musste nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein. Vielleicht hatte sie heute ja einen guten Tag …

Wie im Schlafzimmer waren auch die Fenster im Bad geschlossen – nichts. Die alte Frau war nicht hier. Blieb also nur noch das Nebenzimmer.

Da sich Thalea in den letzten Monaten mit den Treppen immer schwerer getan hatte, hatte Elodie ihr hier ein gemütliches Wohnzimmer eingerichtet. In Kiras ehemaligem Zimmer.

Sie hatten das Sofa und ein paar Bücher nach oben gebracht und somit hatte Thalea auf dem Stockwerk alles, was sie brauchte. Ein Kamin erzeugte genug Wärme und auch Nachbarn und Freunde kümmerten sich bereitwillig darum, dass Thalea mit ausreichend Nahrung versorgt wurde.

»Thalea?«, fragte Elodie leise und fand Kiras Mutter am offenen Fenster, nur im Nachthemd bekleidet, wo sie hinaus in den Himmel starrte. Eilig lief sie zu der älteren Frau und rieb ihr über die Oberarme.

»Was machst du denn hier? Es ist eiskalt, komm mit – ich zünde den Kamin an und koche dir einen heißen Tee, was hältst du davon?« Mit etwas Nachdruck wollte sie sie weiter ins Zimmer ziehen, doch Thalea krallte sich am Fenstersims fest.

»Es wird bald finster«, stieß sie keuchend aus, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden.

Stirnrunzelnd sah Elodie aus dem Fenster. »Der Tag hat gerade begonnen. Es wird erst in einigen Stunden dunkel werden.«

Thalea schwieg einen Moment, dann drehte sie sich ruckartig um und packte Elodie fest an den Oberarmen. Ihre Augen, die an jedem Tag seit Kiras Tod immer mehr an Glanz verloren, waren panisch aufgerissen.

»Der Schnee«, sagte sie keuchend. »Ich möchte ein letztes Mal den Schnee auf meiner Haut spüren.«

»Aber Thalea, es schneit doch gar –«

»Bitte«, flehte sie. »Kira, bitte. Bring mich nach draußen.«

Kira …

Schmerzhaft verzog Elodie das Gesicht. »Ich bin es doch, Elodie.«

Ein winziger Funke Klarheit kehrte in das trübe Braun von Thaleas Augen zurück und sie lockerte ihren harten Griff. Sanft legte sie eine Hand an Elodies Wange. »Meine liebe Elodie. Sag, gehst du mit mir nach draußen? Kira wartet schon auf mich.«

Nur mühsam konnte Elodie das Schluchzen unterdrücken, das ihre Kehle hinauf wanderte und sich dort in Form eines schmerzhaften Klumpens festsetzte. Thaleas Worte schnitten tiefer, als es zerbrochene Glasscherben je könnten. Sie rissen alte Wunden auf. Klangen, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, nach Abschied.

Sie hatte sich auf einen Tag wie jeden anderen eingestellt: vormittags hätte sie die tägliche Pflege für Thalea übernommen und ihr Gesellschaft geleistet, bis sie von einer ihrer Freundinnen abgelöst werden würde. Nachmittags würde sie ihre Ausbildung bei der Heilerin fortsetzen.

»Na schön«, gab Elodie nach. Ihre Stimme klang unendlich müde, nur ein blasser Abklatsch ihrer selbst. »Ein Spaziergang kann nicht schaden.«

Nachdem sie Thalea gewaschen und ihr beim Ankleiden geholfen hatte, stützte sie sie auf dem Weg ins untere Stockwerk. Eine Treppenstufe nach der anderen, dann traten sie hinaus in die Kälte.

Dieses Mal tastete Elodie nach einer der zahlreichen Magiefasern, die sämtliches Leben in Tús Nua miteinander verbanden. Sie wandelte die Magie in Wärme um und übertrug diese auf Thalea, die über keinerlei magische Fähigkeiten verfügte.

Glücklicherweise war das Haus am äußeren Stadtrand gelegen, sodass sie nicht lange gehen mussten, um in die Natur zu gelangen. Elodie steuerte einen umgefallenen Baumstamm an und half Thalea dabei, sich sicher darauf zu setzen. Vor ihnen erstreckten sich weite Felder, über denen zur frühen Stunde noch weißer Nebel hing. Das dahinterliegende Waldstück erstrahlte in einem mystischen Licht.

»Und du denkst wirklich, dass es schneien wird?«, fragte Elodie skeptisch. Ja, es war eiskalt, aber bis jetzt ließ nichts auf einen baldigen Schneefall schließen.

»Riechst du es denn nicht?«

Elodie sah zu Thalea hinab, deren Augen geschlossen waren. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und auf ihren rissigen Lippen lag ein seliges Lächeln.

Dieses zeigte, dass sich all die Anstrengungen bereits gelohnt hatten, denn in ebendiesem Lächeln konnte Elodie Kira sehen. Auch ihre Lippen waren häufig aufgerissen und voller Schorf. Hinzu kamen zahlreiche andere trockene Stellen auf ihrer Haut. Eine Krankheit war dafür verantwortlich gewesen, hatte sie von innen heraus verzehrt …

Ihre Freundin musste viel zu früh gehen und Elodie hatte ihr noch am Sterbebett versprochen, sich immer um ihre Mutter zu kümmern. Sie hatten sich damals so viel gesagt. Doch das, was Elodie ihr schon längst hatte sagen wollen, war ihr nie über die Lippen gekommen. Sie hatte ihr nicht gesagt, wie viel Kira ihr wirklich bedeutete. Wie sehr sie sie geliebt hatte.

Völlig in Gedanken versunken hatte sie Thaleas Frage bereits vergessen. Die alte Frau zupfte leicht an ihrem Mantel und holte sie ins Hier und Jetzt zurück. »Setz dich und schließe die Augen. Bald wird die Dunkelheit über uns kommen und selbst der Schnee wird sich vor ihr fürchten.«

Elodie runzelte die Stirn, verstand nicht, wovon Thalea sprach. Doch sie gehorchte und ließ den Moment auf sich wirken. Die kühle Luft, unter die sich Thaleas unverkennbarer Geruch mischte, nach Kaminfeuer, altem Pergament und Gewürzen, erinnerte sie so sehr an Kira.

Tränen sammelten sich in ihren Lidwinkeln. Wenn Thalea sie nun auch verließ … Die Angst sie könnte ihre Freunde und alles, was sie ausgemacht hatten, vergessen, drohte sie zu ersticken. Kira und ihre Mutter waren eine zweite Familie für sie gewesen, genauso wichtig wie ihre eigene.

Elodies Eltern hatten oft vorgeschlagen, Thalea zu ihnen zu holen, da sie sich so gemeinsam um sie kümmern konnten, doch diese wollte ihr Zuhause nie verlassen.

Kiras Seele lebt in diesem Haus, hatte sie ihnen immer wieder gesagt. Und Elodie musste ihr in gewisser Weise zustimmen.

Eigentlich glaubte sie daran, dass ihre Seele wie die aller Toten der Natur Tús Nuas zurückgegeben wurde. Immerhin hatte sie dafür gesorgt, dass Kira dieselbe Begräbniszeremonie erhielt, wie Magiebegabte, auch wenn sie keine gewesen war. Doch sie konnte nicht leugnen, dass sie sie noch immer im Haus spüren konnte. Als würde sie weiterhin über sie und ihre Mutter wachen, in ihnen weiterleben.

Elodie nahm wahr, wie Thalea einen tiefen, zufriedenen Atemzug tat. Dann veränderte sich der Geruch und im nächsten Moment spürte sie etwas Kaltes auf ihrer Wange.

Erstaunt riss sie die Augen auf.

»Du hattest recht«, rief sie voller Freude aus und strahlte über das gesamte Gesicht. Die Tränen, die sie bis eben noch mühsam versucht hatte zu unterdrücken, liefen herab und vermischten sich mit den kleinen Wassertröpfchen, die die Schneeflocken auf ihrer Haut hinterließen.

»Es schneit«, flüsterte sie begeistert und wünschte, Kira wäre bei ihnen. Wünschte, sie könnte die dicken Flocken sehen, die sich wie eine riesige Decke über ihre Heimat legten. Jede einzelne rief zahlreiche Erinnerungen an ihre geliebte Freundin wach, gab ihr das Gefühl, dass sie in diesem Augenblick und für alle Zeit an ihrer Seite war.

Von Glück erfüllt griff Elodie nach Thaleas Hand, doch statt der Wärme ihrer Magie, spürte sie nur die Eiseskälte, die sich schmerzhaft um ihr Herz krallte und das im Vergleich milde Winterwetter bei weitem in den Schatten stellte.

»Thalea?«

Elodie wandte den Kopf und erstarrte. Zusammengesunken saß die alte Frau neben ihr, die Augen geschlossen.

Bitte nicht, dachte sie und umfasste die vom Leben gezeichnete Hand fester. »Bitte … Lea, verlass mich nicht auch.«

Doch sie rührte sich nicht mehr. Noch immer zeichnete sich ein Lächeln auf ihren Lippen ab und Elodie musste sich eingestehen, dass sie gegangen war. Vereint mit ihrer Tochter.

»Grüße Kira von mir«, hauchte Elodie leise und küsste sie auf die Wange.

Damit Thaleas lebloser Körper nicht umfiel, legte sie einen Arm um sie und zog sie fest an sich. Schwor, sie ebenso zu begraben wie Kira. Auch wenn sie keine Kräfte wirken konnte, so trug sie dennoch, genau wie ihre Tochter, ihre ganz eigene Magie in sich. Eine, die Elodies Leben an jedem einzelnen Tag bereichert und ihr eine unvergleichliche Freundschaft geschenkt hatte.

Mit tränenverschleiertem Blick betrachtete sie den stetig fallenden Schnee und eine Gewissheit erfüllte sie. Sie würde die beiden niemals vergessen, ganz gleich, wie dunkel die Tage werden würden.

Ende

Willst du wissen, was danach passiert? Dann schau doch bei der Autorin vorbei

Türchen 19

Puh, nur noch 5 Tage bis Weihnachten, der Dezember fliegt einfach immer vorbei. Also hallo zu Türchen 19 des SP-Adventskalenders, heute mit einem Buch, dass ich wirklich geliebt habe. Abgesehen davon, dass die Gestaltung einfach der Hammer ist, ist die Autorin einfach wahnsinnig lieb und talentiert:

Funkenfeder: Teil 1 der Vogelwandler-Dilogie

von Ines Plagemann

Das Leben der 16-jährigen Ria wird von Regeln und Geheimnissen bestimmt. Nicht einmal ihrer besten Freundin darf sie erzählen, dass sie eine Vogelwandlerin, eine sogenannte Alata, ist. Selbst vor anderen ihrer Art muss sich Ria in Acht nehmen, denn sie kann sich in einen Phönix verwandeln und das hat schon ihren Vater das Leben gekostet.

Als sich ihr Großvater nicht mehr um sie kümmern kann, wird sie in die Federklaue gesteckt – ein Waisenhaus für Vogelwandler in Weimar. Dort ist Ria zum ersten Mal von Alati ihres Alters umgeben und im turbulenten Alltag wird es immer schwieriger, ihre Phönixgestalt zu verbergen – vor allem, als sie sich mehr und mehr zu Lily hingezogen fühlt. Doch schon bald ist das nicht mehr ihr einziges Problem.

Was hat es mit den Schattenwesen auf sich, die Weimar belagern? Und wohin verschwinden die Bewohner des Waisenhauses in der Nacht? Wird Ria die Geheimnisse, die sie umgeben, aufdecken können, ohne ihr eigenes zu verraten?

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute entweder eine Taschenbuch-Ausgabe von Band 1, wahlweise signiert, oder das eBook zum finalen Band der Vogelwandler-Dilogie.

Das Erste Treffen

Lily

Lily war müde und schlecht gelaunt, bevor der Tag richtig begonnen hatte. Normal war sie die Letzte, die sich wegen etwas Adrenalin beschwerte, aber langsam verging selbst ihr die Lust an den nächtlichen Ausflügen. Die Kälte wollte kaum noch aus ihren Gliedern weichen und ihre Schultern schmerzten vom vielen Fliegen in ihrer Grünspechtgestalt. Keine Ahnung, wie sie die nächste Nacht überstehen sollte, falls sie wieder losziehen mussten.

Da half nur eins: ihr aktuelles Lieblingsoutfit. Gähnend zog sie sich die Strickstrumpfhose und die karierten Shorts zu ihrer braunen Bluse an. Dann brachte sie zehn Minuten damit zu, ihre chaotischen mal glatten, mal gewellten Haare davon zu überzeugen, in eleganten Locken zu fallen. Zum Schluss war sie noch gereizter als vorher, aber immerhin saß ihr Outfit. Lily hatte den Dark-Academia-Style perfektioniert, bevor Social Media überhaupt wusste, was das war.

Zufrieden beendete sie ihr Morgenritual mit einer Runde durch ihr winziges Zimmer in der Villa Federklaue, bei der sie Schiller, ihren Blaufarn, und Virginia, ihre gefleckte Efeutute, goss. Sie hatte gerade die himmelblaue Tür ihres Zimmers auf dem Weg zum Frühstück hinter sich geschlossen, als Tina vom Bad in den Flur stolperte.

„Urgs, bist du auch so fertig?“, murrte Tina und strich sich mit beiden Händen zerzauste Strähnen ihrer hüftlangen braunen Haare aus dem Gesicht. Sie trug noch ihren Schlafpulli mit der Aufschrift Better Bird than Furred. Den Spruch konnte Lily heute Morgen nicht unterschreiben. Auf Fell könnte sie zwar ebenfalls verzichten, aber auf ihre Vogelwandlerexistenz hatte sie genauso wenig Lust. Wenn sie ein einfacher Mensch statt einer Alata wäre, könnte sie wenigstens mal eine Nacht durchschlafen. Oder durchlesen. Auch nicht schlecht. Sie hatte schon seit zwei Tagen nicht in Dorian Gray weiterlesen können, dabei war sie gerade an der besten Stelle.

„Hhm“, brummte sie statt einer Antwort.

„Wenn die Snagad heute Nacht wieder auftauchen, kann Jonas alleine hinfliegen“, sagte Tina.

Lily wusste, dass sie das nicht durchziehen würde. Hier in der Klauenschar hielten sie zusammen, auch wenn die Situation gerade kacke war. Aber das war nicht Jonas’ Schuld. Er war nur derjenige, der ihre Aufträge koordinierte und deswegen viel zu oft ihren Frust abbekam.

Sorge kroch in Lilys Eingeweide. „Wo kommen die nur alle her?“, überlegte sie laut. Wenn sie das nur herausfinden würden, könnten sie die Schattenwesen vielleicht ein für alle Mal zurückschlagen.

Tina zuckte ebenso hilflos mit den Schultern. Aber dann breitete sich unerwartet ein Lächeln auf ihren Lippen aus. „Übrigens“, sie trat einen Schritt näher und senkte ihre Stimme, „wir haben eine Neue.“

„Was?“ Aufregung flutete Lilys Venen, nur um gleich darauf vom Gedanke an die Snagad gedämpft zu werden. „Ausgerechnet jetzt. Das letzte, wofür wir Zeit haben, ist ein neues Mädchen einzuweisen, während wir mit den Snagad kämpfen.“

„Stimmt, aber immerhin ist sie kein Baby. Sie sieht aus, als wäre sie so alt wie wir.“

Überrascht zog Lily die Augenbrauen hoch. Die meisten Kinder, die in ihr Waisenhaus kamen, waren eben das: Kinder. Max und Ronja waren mit ihren zwölf Jahren aktuell die Jüngsten. Aber auch Lily, Tina, Kosmo und Jonas waren alle ungefähr in dem Alter hier eingezogen. Jetzt wurde Lily doch neugierig. Sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als sie fragte: „Sieht sie gut aus?“

Tina kicherte und haute ihr mit der flachen Hand auf den Arm. „Lily!“

„Was denn? Das Leben für queere Menschen ist hier schwierig genug. Da wird man jawohl noch träumen dürfen.“

„Hhm.“ Grinsend dachte Tina nach. „So viel habe ich von ihr nicht gesehen, sie schläft noch. Ohne zum Stalker zu werden, konnte ich nur ihre Haare und eventuell einen Teil ihres Fußes sehen. Nicht genug für ein finales Statement.“

„Schade aber auch. Sie hat bei dir übernachtet?“

„Jap, ihr Zimmer ist noch nicht bereit. Sie ist wohl erst spät gestern Abend aufgetaucht.“

Als sie schon unterwegs waren, um Snagad zu bekämpfen, also. Verflixt, wahrscheinlich sollten sie vor dem neuen Mädchen erst mal nicht erwähnen, was sie nachts trieben. Manchmal verschwanden Neulinge schnell wieder, weil sie doch woanders eine Bleibe gefunden hatten. Am Ende verbreitete das Mädchen dann düstere Geschichten über die Villa Federklaue. Bei dem Gedanken kehrte Lilys schlechte Laune zurück. Die Federklaue mochte teilweise etwas heruntergekommen sein und fragwürdige Methoden haben, um sich zu finanzieren, aber sie war ihr Zuhause. Und nicht nur ihres. Sie alle hatten hier eine Familie gefunden, als sie woanders nicht willkommen gewesen waren.

„Was meinst du, was für eine Alata sie …“, Lily unterbrach sich selbst, als die Tür zu Tinas Zimmer aufging und ein fremdes Mädchen ausspuckte. Sie trug ziemlich nichtssagende Jeans und einen dunkelroten Pulli. Aber Lilys Blick wurde sofort von ihren Augen gefangen genommen, die hinter einer eckigen Brille zu ihr blickten. Sie sah zögerlich aus, aber gleichzeitig selbstbewusst – eine Mischung, die Lily vertraut war. Sie ahnte sofort, dass die Fremde hohe Mauern um sich selbst aufgetürmt hatte, hinter die sie nur wenige Menschen blicken ließ.

„Guten Morgen, ich bin Rianne“, sagte das fremde Mädchen und streckte ihnen die Hand entgegen. Ihr ovales Gesicht, das von dichten schwarzen Locken eingerahmt wurde, zeigte ein Lächeln. Aber Lily entgingen die Anspannung in ihrer Haltung und der unruhig flackernde Blick nicht. Niemand tauchte in der Villa Federklaue ohne einen Haufen Probleme im Reisegepäck auf. Lily seufzte innerlich.

Mit einem herzlichen Lächeln trat Tina auf Rianne zu und schüttelte ihre Hand. „Hi, ich bin Tina.“

Lily gab sich einen Ruck und ergriff ihre Hand ebenfalls. „Lily.“

Zwischen Riannes terrakottafarbenen Fingern sahen ihre eigenen taubenweiß aus. Ihre Haut war warm und der Druck ihrer Finger sanft. So nah sah Lily, dass Riannes Augen nicht ganz schwarz waren, sondern ein feiner dunkelbrauner Ring ihre Iris säumte. Verdammt, sie sah wirklich gut aus und darüber war Lily plötzlich gar nicht mehr glücklich. Sie konnte es sich nicht leisten, Gefühle für eine Mitbewohnerin zu entwickeln, die einen Berg an Geheimnissen mit sich herumtrug. Das würde nur in Drama und gebrochenen Herzen enden.

Ruckartig wandte Lily sich ab und floh die Treppe hinab. Sie fühlte sich etwas schlecht, weil sie Tina mit der Neuen alleine zurückließ, aber sie hatte heute keine Energie hierfür. Nein, sie benötigte jede Gehirnzelle, um das Problem mit den Snagad zu lösen. Für hübsche Mädchen mit sanften Rehaugen und einem geheimnisvollen Lächeln war in ihrem Leben kein Platz.

Ende

Wenn du mehr von Lily und Ria lesen willst, schau bei der Autorin vorbei

Türchen 18

Heute machen wir eine kleine Ausnahme im SP-Adventskalender, es ist eben der 4. Advent.

Die Ausnahme? Die Autorin veröffentlicht zwar hauptsächlich im Selfpublishing, aber das Buch hinter Türchen 18 wurde von einem kleinen Verlag veröffentlicht.

Trotzdem wollte ich euch die Autorin und auch das tolle Buch nicht vorenthalten:

Witch of Devishland: Er kann dich finden

Band 1 – Lara Kalenborn

Die Wurzelhexe Ari wird von einem berühmten Hexencoven als Arenakämpferin in die Hauptstadt berufen.

Doch anstatt endlich Anschluss zu finden, gerät sie in den Bann des düsteren Zauberkriegers Nero, der ihr ganz neue Dimensionen ihrer Hexenlust offenbart.

Nach einem Zerwürfnis glaubt Ari, diesen Mann niemals wiederzusehen, doch dann wird er ihr als Erster Offizier des Covens vorgestellt, dem sie um jeden Preis angehören möchte …

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute eine Print-Ausgabe von Band 1 der Maeve-Tetralogie, signiert wenn ihr möchtet, und passende Goodies zum Buch

Hexe unterm Mistelzweig

Nero

Der letzte Ort, an dem ich meine Frau suche, ist der Thronsaal.
Zu meiner Erleichterung fällt mein Blick darin auf ein schimmernd grünes Zauberseil, das – sich windend – in die Höhe wächst. Ein kleiner Zweig ist in die Spitze des Zauberseils gewickelt und wird so nun bis zu einem Dachbalken hinaufgetragen.

Plötzlich wieder entspannt, weil ich Ari endlich gefunden habe, lehne ich mich an den Türrahmen und beobachte sie, wie sie mit konzentriertem Gesichtsausdruck ihr Zauberseil, das eigentlich eine Wurzel ist, dirigiert. Nach einigen Minuten, in denen sich die Falte zwischen ihre dunklen Augenbrauen vertieft hat, gelingt es ihr schließlich. Ein Lächeln stiehlt sich auf ihre geschwungenen Lippen, als der Ast an einem Band vom Balken herunterbaumelt.

Kaum ist sie fertig, mache ich mit einem Räuspern auf mich aufmerksam.

Nun sucht ihr Blick nach mir und als er mich findet, steigt diese Röte in ihre Wangen, deren Entdeckung wie ein elektrisierendes Prickeln durch meinen ganzen Körper zischt. Meine Frau freut sich, mich zu sehen und das berührt mich auf einer Ebene, die all den Krieg und die Intrigen, die wir gemeinsam überstanden haben, immer wieder unwichtig erscheinen lässt.

Ich muss es nicht aussprechen, Ari spürt meinen Wunsch anscheinend schon, denn nun läuft sie los, lässt ihr Zauberseil in ihrer Brust verschwinden und hüllt mich bei einer stürmischen Umarmung in ihren zarten Duft nach Lust und Liebe ein.

„Hast du mich beobachtet?“, fragt sie atemlos und sieht mich von unten herauf neugierig an.

Ich schiebe eine Hand in ihr offenes rotbraunes Haar. „O ja“, wispere ich und nähere mich ihrem Mund für einen Kuss.

Doch Ari weicht mir aus. Das gefällt meinem Feuer gar nicht und so schießt es in kleinen Flammenstößen durch mein Blut.

„Warte“, flüstert sie. „Weißt du, was ein Mistelzweig ist?“ Verschmitzt lächelt sie nun und deutet zu dem kleinen, von ihr drapierten Ästchen hinauf.
„Nein“, gebe ich zurück. „Aber wenn er uns vom Küssen abhält, dann macht er gleich Bekanntschaft mit meinem Feuer.“

Amüsiert schnauft Ari. „Nicht nötig. Ich habe von Ländern gehört, da ist es Tradition sich zu küssen, wann immer man unter einem Mistelzweig steht.“
Kurzerhand beuge ich mich tiefer, lege einen Arm in ihre Kniekehlen, den anderen an ihren Rücken und schon trage ich sie in Windeseile zu dem Ast hinüber. Darunter stelle ich sie ab und grinse. „So? Küsst du mich jetzt?“

Aris Augen funkeln. „Ich habe Nalian und Irides gebeten, überall im Schloss Zweige aufzuhängen.“

„Das wird der schönste Winter meines Lebens.“

„Du hast ihn dir verdient, mein König.“ Ihre Hand wandert an meinem Bauch hinauf bis zu meiner Brust. Dort verschlingen sich ihre Finger in meinem Hemd. Schließlich verspüre ich ein energisches Ziehen, sodass ich mich leise lachend zu ihr herunterbeuge und endlich ihre verführerischen Lippen an meinen spüre.

Ari küsst mich innig und ohne Scheu. Als hätte sie mich verzaubert, schießt mir die Lust sofort in die Lenden und meine Hände machen sich selbstständig. Sie gleiten über ihren Rücken hinab bis zu ihrem rundlichen Po, in dessen Fleisch meine Finger sich lustvoll vergraben können.

Leise stöhnt meine Frau an meinem Mund auf und entfesselt mich. „Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du Hunger hast, Geliebte“, flüstere ich ihr zu. „Aber jetzt werden wir erst einmal nachsehen, ob über unserem Bett auch ein solcher Mistelzweig hängt.“

Ari holt erschrocken Luft, als meine Hand in ihren Nacken fährt, ich sie schwungvoll herumdrehe und unerbittlich aus dem Thronsaal schiebe.

Einmal schaut sie trotz meines festen Griffes zu mir zurück und in ihren schimmernden Augen sehe ich, dass sie auf jeden Fall daran gedacht hat, ein Ästchen in unserem Schlafzimmer zu drapieren.

Diese schlaue Wurzelhexe.

Meine schlaue Wurzelhexe.

Ende

Türchen 17

Hinter dem heutigen Türchen wird es wieder richtig dystopisch und ich bin schon von Anfang an super hibbelig auf diese Story:

Maeve – Sand und Stein

Band 1 der dystopischen Tetralogie von Kio Moonfleur

1.1.4.MD.LC.

Im Auge ist mein Name nur eine Aneinanderreihung von Zahlen und Buchstaben.

Als Maeve der Geheimorganisation „Das Auge“ beitritt, welche die Menschheit vor Angriffen durch Außerirdische schützt, glaubt sie, endlich das Rätsel um das Verschwinden ihrer Mutter lösen zu können. Denn dass der Stein, den sie ihr hinterlassen hat, angeblich ausgerechnet aus außerirdischer Materie besteht, kann kein Zufall sein.

Doch Maeve hat nicht mit den strengen Hierarchien im Auge gerechnet – und auch nicht, dass ihr Ausbilder Lorcan ungeahnte Gefühle in ihr weckt, die sie beide in Gefahr bringen können. Während Maeves Suche nach ihrer Mutter voranschreitet, breiten sich ebenso ihre Zweifel an der Organisation aus. Doch was, wenn einige Geheimnisse unter Verschluss bleiben sollten, weil es zu gefährlich wäre, sie auszusprechen?

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute eine Print-Ausgabe von Band 1 der Maeve-Tetralogie, signiert wenn ihr möchtet, und passende Goodies zum Buch

Weihnachten im Auge

Die Eingangshalle liegt still und dunkel vor mir. Lediglich die Notbeleuchtung lässt mich abzweigende Gänge erkennen.

„Hallo?“, rufe ich zaghaft.

Die Wände werfen mein Echo zurück, doch eine Antwort bekomme ich nicht. Wo sind nur die anderen?

Meine Schritte hallen unheilvoll von den Wänden wider, als ich Richtung Moca-Station laufe. Plötzlich werde ich von hinten gepackt und schreie los. Erst als sich Giulias Locken in mein Gesichtsfeld schieben, verstumme ich. Jetzt nehme ich auch das vielstimmige Lachen meiner Freunde wahr. Isaac lässt mich los und nacheinander begrüße ich sie.

„Es ist echt abgefahren, allein im Auge“, sagt Isaac und meint damit das Hauptgebäude der Geheimorganisation, bei der wir unsere Ausbildung zu Kämpfern absolvieren.

„Ihr seid nicht allein“, ertönt eine dunkle Stimme, die mir eine Gänsehaut über die Arme jagt.

Ich drehe mich um und blicke Dios in die Augen. Er ist einer der Ranghöchsten, während wir in der Hierarchie ganz unten stehen.

„Ihr habt keine Befugnis, hier zu sein. Warum seid ihr es dennoch?“ Der Reihe nach sieht Dios uns an.

Marc meldet sich sofort zu Wort. „Das entspricht nicht der Wahrheit. In unseren Verträgen werden freie Wochenenden und Urlaub benannt, jedoch mit keinem Satz erwähnt, dass wir uns währenddessen nicht im Hauptgebäude aufhalten dürfen. Dementsprechend liegt es in unserer Entscheidung, wo wir Weihnachten verbringen.“

„Und da entscheidet ihr euch fürs Auge?“, fragt Dios skeptisch.

„Das Auge ist nur unser Treffpunkt“, schaltet sich Finn ein. „Unser Ziel ist die Sahara.“

Dios mustert uns schweigend und sagt schließlich: „Dafür braucht ihr Sand.“

Aus meiner Hosentasche hole ich eine Handvoll Sand heraus. Den hat mir Lorcan gegeben und ich weiß, dass dieser uns zusammen mit der außerirdischen Materie mitten in die Sahara transportieren wird.

Dios nickt mir zu und wendet sich ab. Fassungslos starre ich ihm hinterher. Es gibt keine Bestrafung? Das passt gar nicht zu Dios. Aber vielleicht ist das seine Art der Barmherzigkeit zu Weihnachten.

Meine Freunde scharen sich um mich und Finn reicht mir eine Reisekugel. Ich fülle den Sand hinein und augenblicklich spüre ich das bekannte Ziehen und Zerren im gesamten Körper.

Im nächsten Moment erstreckt sich der sternenbehangene Himmel über uns, während unsere Füße beinahe im Sand versinken. Hier draußen ist nichts – keine Häuser, keine Tiere, keine anderen Menschen. Wir lassen die Weite über und um uns auf uns wirken. Finn streckt mir seine Hand entgegen, die ich in meine nehme. Anschließend winke ich Giulia zu mir, die meine andere Hand ergreift. Schließlich stehen wir im Kreis und halten uns fest. Fünf junge Menschen von drei Kontinenten und trotzdem vereint. In diesem Moment habe ich das Gefühl, dass nichts auf dieser Welt an unserer Freundschaft rütteln kann. In einem Jahr sind mir meine Teamgefährten so sehr ans Herz gewachsen, dass ich sie nie wieder eintauschen möchte. Ich schließe meine Augen und spüre, wie sich das Glück in meinem Inneren immer weiter ausbreitet und eine wohlige Wärme hinterlässt. Diesen friedvollen Augenblick werde ich immer im Herzen tragen.

Ende

Türchen 14

Türchen 14 wird romantisch, mit einer Dark Mafia Romance-Dilogie, von einem Autorinnen-Duo:

Rune & Lola: Deadly Love

von Emilia Kingston und Mariella Leonehier geht’s zum Duo

»Nur wer sich selbstlos der Liebe opfert und in den Tode wagt, wird beenden, was in dieser Nacht gesagt.«

Als einziger Erbe des Savoyimperiums greife ich zu allen Mitteln, um mein Gebiet zu verteidigen. Meine Methoden sind blutig und brutal und ich liebe es, wenn sich meine Feinde vor Angst in die Hose machen.

Doch dann tritt sie in mein Leben. Lola Fernández. Und mit ihr ein jahrhundertealter Fluch, der über unseren Familien liegt. Etwas an ihr ist anders. Ihre Nähe lässt mein Herz in einem Takt schlagen, den ich noch nie in meiner Brust spürte. Sie taucht in den ungünstigsten Momenten auf und fürchtet sich nicht vor meinen blutigen Händen. Fühlt sie das Gleiche oder ist es nur ein ausgeklügelter Plan meines Feindes, der sich Stück für Stück nehmen will, was mir gehört?

Seltsame Dinge geschehen in New Orleans. Dinge, für die es keine rationale Erklärung gibt und ich muss feststellen, dass sich nicht jedes Problem mit einer Kugel in den Kopf lösen lässt. Doch auch die Geister zwingen mich nicht in die Knie, denn ich bin Rune Savoy.

Eine Liebe, vorherbestimmt und doch verboten. Mystisch. Actionreich. Emotional. & der ganz besondere New Orleans Charme.

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute eine Print-Ausgabe von Band 1

Weihnachten in New Orleans

»Scheiß Weihnachten.« Genervt reiße ich die Tür zu meiner Hütte im Bayou auf und stehe mitten im Christmas-Alptraum. Überall baumeln bunte Kugeln und Girlanden. Ich hasse Weihnachten. »Rune, du Grinch. Hast du endlich die Lichterkette angebracht?« Lola kommt mit einem breiten Lächeln auf mich zu. Dabei schwingt der Zipfel ihrer Weihnachtsmannmütze von links nach rechts. Sie bleibt direkt vor mir stehen und legt ihre Arme um meinen Nacken. Sofort umgibt mich ein Duft nach Vanille und Zimt, dringt in meine Nase und setzt sich dort fest. Lola klimpert mit den Augen und mein verbissener Geschichtsausdruck weicht einem sanften Grinsen. Wenn sie bei mir ist, spielt alles andere keine Rolle mehr. Selbst diese verhasste Zeit rückt in den Hintergrund. Mit ihr würde ich auf Santas verdammten Schlitten über New Orleans fliegen. »Ich verstehe nicht, warum die Hütte leuchten muss, dass selbst die NASA sie aus dem All erkennt«, brumme ich, wie der Weihnachtsmuffel, der ich bin und lege meine Hände auf ihren Po.

»Weil Weihnachten nun mal so ist und ich es liebe.« Lola strahlt über das ganze Gesicht und auf ihrer Nasenspitze klebt Mehl, was ich sonst nur von den Nutten aus dem Desire kenne, wenn sie sich das Koks durch die Nase ballern. Ihre Lippen berühren hauchzart meine und ich spüre ihren warmen Atem, als sie nah an meinem Mund flüstert: »Hilfst du mir?«

Meine Antwort wartet sie nicht ab, gibt mir einen viel zu flüchtigen Kuss und geht mit schwingenden Hüften zu dem Baum, den ich heute Morgen schlagen musste. Ihr kleiner, runder Hintern sieht in den hautengen Jeans aus, wie meine ganz persönliche Weihnachtskugel. Ja, genauso stelle ich mir Weihnachten vor. Nur sie und ich. Nackt.

Sie dreht sich zu mir um und erwischt mich beim Starren. Mit einem niedlichen Grinsen deutet sie auf den Weihnachtsbaum, den sie heute Nachmittag mit roten Schleifen, Bändern und anderem Kram geschmückt hat. »Kannst du mir helfen, die Spitze draufzusetzen?«

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Meine Hände umschließen ihre Taille schneller, als sie Luft holen kann. Sie quietscht, als ich sie hochhebe und steckt den Stern auf die Spitze. Langsam lasse ich sie an meinem Körper hinunterrutschen, so dass sie meine Spitze spürt.

»Rune, wir haben keine Zeit, die Gäste kommen gleich.« Sie windet sich lachend aus meiner Umarmung und geht zurück in die Küche. Doch so schnell lasse ich sie nicht entkommen. Ich gehe ihr hinterher, stelle mich dicht hinter sie und stütze meine Arme links und rechts neben sie auf die Arbeitsplatte. Sie erstarrt, als ich mich gegen sie drücke und ihren Hals küsse. Durch ihre zarte Haut spüre ich ihren Puls. Ihr Herz schlägt genauso schnell wie meins. »Rune«, haucht sie und klingt gar nicht mehr so überzeugt wie vor ein paar Sekunden. Ich habe sie genau dort, wo ich sie haben will, drehe sie zu mir und setze sie auf die Küchenzeile. Das Mehl stobt auf, weil ich sie in die Zutaten der Cookies setze. Bevor sie protestieren kann, erobere ich mir meinen Platz zwischen ihren Schenkeln. Sie legt ihre Beine um meine Hüfte und presst mich näher an ihren Körper. Unsere Lippen finden sich und ihr Mund öffnet sich einladend für mich. Wir werden gieriger. Ihre kleinen Hände finden den Weg unter mein Shirt, dass sie fordernd nach oben schiebt. Ganz Gentleman helfe ich ihr und ziehe es mir über den Kopf. Sie seufzt in meinen Mund, als ich sie wieder küsse und ihre Zunge in mich eintaucht.

Die Tür springt auf und Lola reißt den Kopf herum, was mich nur frustriert stöhnen lässt.

»Last Christmas I gave you my heart but the very next …« Der grauenhafte Gesang bricht ab. »Ähh, störe ich etwa?«.

»Ja«, antworte ich knapp. Doch Lola sieht das anscheinend anders. »Nein, gar nicht.«

Mein Kopf sinkt auf ihre Schulter. »Das holen wir nach«, flüstert sie mir leise ins Ohr, was mich veranlasst, ihr in den Hals zu beißen. »Ich kann auch wieder gehen«, beschwert sich Desh und sieht unsicher zur Tür. »Quatsch, komm rein.« Lola schiebt mich beiseite und hüpft von der Küchenzeile, um meinen besten Freund mit einer Umarmung zu begrüßen. »Wir freuen uns, dass du hier bist.«

»Dann sag das mal Runes Gesicht. Der sieht aus, als würde er gleich explodieren.«

Lola kommt zurück in die Küche und piekst mir in die Seite. »Nein, du kennst ihn doch. Er sieht immer so aus.«

»Sehr gut. Ich wäre sowieso nicht wieder gegangen.« Desh nimmt sich die Rüschenschürze vom Haken, legt sie sich um und dreht mir seinen Rücken zu. »Kannst du sie mir zubinden, Rune-Baby?«

»Nicht dein Ernst!« Verschmitzt schaut er mich über seine Schulter an und mit einem mürrischen Stöhnen tue ich ihm den Gefallen. Auf dem Weg zu Lola krempelt er sich voller Tatendrang die Ärmel hoch. »Geh mal zur Seite, das ist Männersache.« Mit kräftigen Bewegungen beginnt er den Teig zu kneten.

Wenn ich die beiden so beobachte, könnte man meinen, dass nicht ich der Mann in Lolas Leben bin, sondern der Depp neben ihr. Auf der Herdplatte dampft der Topf mit dem Punsch. Ich hole eine Flasche Jack Daniels aus dem Schrank und weil die beiden mit ihren Vorbereitungen beschäftigt sind, bekommen sie nicht mit, dass ich dem Gesöff ein paar Promille hinzufüge. Anders ist dieser Abend nicht zu ertragen. Lässig lehne ich mich gegen die Wand, genieße das Gefühl, wie der Punsch meine Sinne benebelt und kann nur verwundert und leicht genervt den Kopf schütteln. Deshs Anblick, wie er den Teig knetet und dabei diese lächerliche Schürze trägt, lässt mich die Frage stellen, wo dieser Kerl seine gottverdammten Eier gelassen hat. »Rune-Baby, hilf endlich mit und steh nicht nur sinnlos rum.« Ich kann Desh einfach nicht ernst nehmen, als er sich zu mir herum dreht und strahlt wie ein Kind, dem man eine Zuckerstange entgegenstreckt. »Ach lass mal.« Denn mal ehrlich, ich wäre keine besonders große Hilfe. »Lass ihn, er wird beim Verzieren helfen. Davor kann er sich nicht drücken.« Meine Augenbrauen wandern hoch in die Stirn. »Ihr macht das schon, Mädels.« Lola lacht, als sie zu mir sieht. »O nein, so schnell kommst du aus der Nummer nicht raus. Wir sollen hier die ganze Arbeit machen und du futterst dann die Plätzchen weg? Missy und Carlos kommen gleich.«

»Gibt mir noch fünf Minuten.« Ich muss an die frische Luft. Kurz für mich sein und durchatmen. Dieses ganze Weihnachtsspektakel ist zu viel für mich. Viel lieber wäre ich mit Lola allein in meiner Hütte, denn mehr brauche ich nicht. Ich zünde mir eine Kippe an und inhaliere tief, als sich hinter mir die Tür öffnet.

»Alles in Ordnung?« Desh stellt sich neben mich. »Ich sage es nur ungern, aber du fehlst mir, Mann.« Kurz herrscht Stille, als hätte jemand auf Pause gedrückt. Er antwortet leise, aber ich verstehe jedes Wort. »Ich bin immer da. Du musst nur mal die Finger von deiner Frau lassen.«

»Ich bin ein richtiges Weichei geworden, oder?«

»Nein, du hast nur einen Grund gefunden, für den es sich lohnt, auch mal Schwäche zuzulassen. Und das steht dir verdammt gut, Mann.«

Ich spüre Deshs warmen Blick auf mir, aber ich schaue weiterhin stur auf den sumpfigen Bayou. So viel hat sich verändert. Alles ist ruhig. Aber ich weiß, irgendeine Scheiße kommt immer. Deshalb fällt es mir schwer, diesen Frieden zu genießen.

»Rune-Baby?«

»Was?«

»Schau nach oben.« Desh wackelt mit den Augenbrauen und ich folge seinem Blick. »Wir stehen unter einem Mistelzweig.«

»Und jetzt?«

Er spitzt die Lippen und ich verziehe angewidert mein Gesicht. »Verschwinde.«

»Nicht doch. Du liebst mich doch auch.« Seine Hände legen sich fest auf meinen Hinterkopf und ziehen mich näher zu sich. Ich wehre mich, aber Desh ist schneller und presst seine feuchten Lippen auf meine. »Frohe Weihnachten«, flüstert er.

»Wenn du nicht sofort deine Wichsgriffel von mir nimmst, schneide ich sie dir mit der Geflügelschere ab.«

»Aww, ihr zwei seid so süß.« Lola kommt mit ausgestreckten Armen auf uns zu. Ich weiß nicht, wie lange wir so stehen, aber es fühlt sich gut an. Es ist Familie.

Desh rümpft die Nase. »Riecht ihr das?«

»Oh nein, die Plätzchen.« Lola stürzt ins Haus und Desh ist verschwunden.

Ich reiße die Augen auf. Der Geruch von verbrannten Keksen dringt mir in die Nase und Lolas fluchende Worte schallen durch die Hütte. Es war ein fucking Traum. Verschlafen reibe ich mir über mein Gesicht und kann Deshs feuchte Lippen auf meinen noch spüren. Na warte, irgendwann räche ich mich für die Knutscherei.

Ende

Türchen 16

Hinter Türchen 16 versteckt sich eine tolle Dystopie, von einem Autor, mit dem ich schon lange (gefühlt von Anfang an) und immer wieder gerne zusammenarbeite:

MORVANJA – Sie sehen Dich

von Mia Hazel

„Wir holen sie uns zurück! Unsere Freiheit!“

Was würdest du tun, wenn jeder deiner Schritte aufgezeichnet würde? Und was würdest du tun, wenn die Verbrechen deiner Eltern dennoch niemals ans Tageslicht kämen?

Der siebzehnjährige Benjihim Lachermeyers, Sohn der Machthaber des Überwachungsstaates Bluajan, wächst fernab der Bevölkerung in Kéntron auf. Als er eine Chance sieht, sich aus dem goldenen Käfig zu befreien, flieht er vor Eltern und Regime.
Ausgerechnet jene Gruppe, die das Land seit Jahren in Angst und Schrecken versetzt, scheint der einzige Ausweg zu sein: Die Morvanja.

Der Auftakt einer Geschichte über Zweifel, Freundschaften und dem Wunsch ein neues Leben in einer Welt voller Gewalt zu finden.

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute ein Print-Exemplar von Band 1, signiert vom Autor.

Ihr wisst ja, einfach aufs Bild klicken um zum Beitrag zu kommen.

Virtuelle Weihnachten

23. Dezember, 20.00

Es ist soweit, bald geht es los. Seufzend lehne ich mich zurück, kuschle mich in die Decke ein und richte die VR Brille, das Glas Wasser steht neben mir und die Snacks auf der anderen Seite bereit. Schon blinkt das Display, die Kornblume erscheint und ich bin auf meinem Weg. Wie immer komme ich zu spät, vor dem Eingang zum „Horms“ hat sich eine schnatternde Menge gebildet, die alle voller Vorfreude mit den Einladungen wedeln, diese noch einmal lesen, oder ungeduldig warten, bis die Türen endlich geöffnet werden. Ich lasse den Blick schweifen und entdecke ihn in der Masse. Erleichtert dränge ich mich durch die Wartenden und laufe auf ihn zu, während ich meine Hand in der Wohnung die Decke kralle.

Auch wenn wir hier nur im VR-Bereich sind, kann ich die Menschenmassen nicht ausstehen. Der weiche Stoff der Strickdecke holt mich runter. Markus schaut auf und unsere Blicke treffen sich. Mit einem Grinsen tritt er auf mich zu.

„Hey Reh!“, begrüßt er mich und haucht mir einen Kuss auf die Wange. Mehr wagen wir uns nicht in einem Netz, dass jeden Millimeter aufnimmt. Bei seiner Anspielung auf das kleine Geweih, dass meinen Kopf ziert, verdrehe ich die Augen. War ja klar, dass er sich sofort wieder darauf stürzt.

„Im Gegensatz zu dir habe ich den Dresscode ernst genommen“, schalte ich ihn und ernte dafür nur leises Gelächter von ihm. Mit vor Stolz geschwollener Brust deutet Markus auf die Mütze, die sein Avatar trägt. Ein braunes Beanie, aus dem ebenfalls zwei kleine Hörnchen hervorstehen. Ich muss lachen, dass seine Liebe zu allem Gestrickten selbst vor dem Horms kein Ende nimmt, hätte ich ihm nicht zugetraut.

„Na dann hoffen wir mal, dass das reicht“, necke ich ihn und überreiche ihm die Einladung, die mir Hailey heute zukommen hat lassen.

„Oh edles Stück, was würden wir nur ohne dir tun.“ Markus deutet eine Verneigung an und himmelt das Stück VR Papier förmlich an. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln, doch gerade diese Seite an ihm ist es, die ich liebe.

„Komm, bevor wir ganz hinten warten müssen“, flüstere ich und ziehe ihn auch schon mit mir mit. Egal wie sehr ich das Gedränge hasse, ein Gutes hat die VR Feier: Ich spüre die schwitzigen Körper nicht, an denen ich mich vorbeischiebe. Markus Hand in meiner dafür umso deutlicher. Es ist keine echte Berührung, aber ich kenne seine weichen Hände, das Muttermal an seinem Knöcheln, die kleine Narbe, die sich über seinen Handrücken erstreckt, weil er als Kind in eine der Maschinen seines Vaters gegriffen hat. Jedes noch so kleine Detail hat sich in meine Erinnerung gebrannt und ist so immer abrufbar, wann ich ihn spüren will.

Weiter vorne wird die Menschenmasse dichter und wir kommen zum Stehen. Ich lehne mich an Markus an, hier sind wir weit genug in der Mitte, dass das System nicht auf uns aufmerksam wird. Weihnachtselfen, Rentiere, Santas, Christkinder und Schneemänner stehen um uns herum. Manche haben so viel Arbeit in ihr Kostüm gesteckt, dass es einer Schande gleicht, dass diese Feiern nur im Netz stattfinden. Die Tür vor uns geht auf und wir drängen mit den Feiernden nach drinnen.

„Da ist sie!“ – „Ein Rentier!“ „Sara, hier sind wir!“, dringen Rufe vor uns durch den Raum.

„Aasgeier. Die Arme ist heute sicher total ausgelastet“, murmelt Markus hinter mir und der kühle Unterton in seiner Stimme lässt einen Schauder meinen Rücken nach unten wandern. Ich kann ihn gut verstehen, an Abenden wie heute haben wir kaum Zeit mit unserer Freundin Hailey zu sprechen. Sie ist immerzu umzingelt von Schaulustigen und Fans, die sie nach Tipps für eine VR Karriere fragen. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Ohne herausragende Ergebnisse in den Screenings und Herkunft aus der Verna oder den Inneren Kreisen sind diese Ziele ohnehin ein Wunschdenken. Die Menge teilt sich vor uns und wir erhaschen auch einen Blick auf das Ziel der Begierde im Raum.

Sara Deer, die Barkeeperin des Horms steht mit weißem Geweih, einem Schweif und einem knappen Outfit hinter dem Tresen und bereitet jedem, der es möchte einen Digitail zu. Das eigentliche Highlight an den Drinks ist dabei die Ledshow, die sie vorführt, denn schmecken können wir die digitalen Getränke ja ohnehin nicht. Mit etwas Glück enthalten sie aber gratis Tickets zu anderen VR-Veranstaltungen. Schon alleine das ist Grund genug dafür, dass sich viele nicht „satttrinken“ können.

Der Weg zu Sara ist frei und wir schreiten nach vorne. Hailey, wie sie außerhalb des Horms heißt, entdeckt uns und ein warmes Lächeln legt sich um ihre Lippen. Die Falten rund um ihre Augen erscheinen, was mich sofort erkennen lässt, dass es echte Freude ist, und sie zwinkert uns zu. Kurz darauf haben wir zwei eigene Drinks in der Hand. Jeder von ihnen zeigt einen kleinen Vogel, der darin herum kreist. Wir nicken ihr zu und drehen uns wieder um. Dieser Raum ist zu voll und sie zu beliebt, als dass wir hier in Ruhe reden können.

„Gehen wir, Reh“, raunt mir Markus ins Ohr und ich kann ihm nur zustimmen. Nichts wie raus hier.

23. Dezember, 20:30

Wir schieben uns durch die tanzenden Menschen, die Drinks in der einen Hand, uns selbst an der anderen haltend, damit wir uns in der Masse nicht verlieren. Eine Weihnachtselfe stolpert über meine Beine und ich fliege beinahe vorne über. Markus kann mich noch halten, wir wanken jedoch gefährlich. Nach gefühlten Stunden haben wir es endlich ans andere Ende geschafft. Das Horms wird immer voller und voller. Mir tut Sara jetzt schon leid, das wird heute wieder eine lange Nacht.

An der nächsten Tür zeige ich dem Türsteher meinen Drink. Er lugt an mir vorbei, inspiziert Markus, der ebenfalls nur einen Drink hat, in dem sich der kleine Vogel bildet, dann lässt er uns vorbei.

„Frei wie ein Vogel“, flüstert er uns zu und meine Nackenhaare stellen sich auf. Mehrfach habe ich mich schon gefragt, warum diesen Spruch niemand bemerkt. Kann es etwa sein, dass es Menschen in den entscheidenden Stellen gibt, die das nicht wollen? Ich schüttle meinen Kopf und schlüpfe durch den Gang. Wie immer ist es äußerst seltsames Gefühl, wenn sich der Raum ändert. Anfangs ist mir dabei oft so schlecht geworden, dass ich abbrechen musste, mittlerweile kann ich die Übelkeit aber schon sehr gut unter Kontrolle halten. Ich kann trotzdem nicht verhindern, dass sich meine Lippe leicht pelzig anfühlt, als sich meine Sicht wieder klärt und wir uns in einem kleinen Partyraum gefüllt mit bunten Menschen wiederfinden.

Die Party ist auch hier in vollem Gange und das Thema Weihnachten zieht sich wie ein roter Faden durch die Anwesenden, und das im wahrsten Sinne dieses dämlichen Sprichwortes. Ich sehe rote Santakostüme, mit Rauschbärten, die so lang sind, dass jeder außerhalb des Horms drüber gestolpert wäre. Weihnachtselfen mit roten Strümpfen, Santaladys mit Kleidern, so glitzernd, dass sie der Dekoration Konkurrenz machen. Ein Pärchenkostüm mit glitzernd roten Geweihen, Mützen, Zuckerstangen und allerhand anderen Weihnachtskram. Und überall schwirren unsere Vögel herum. Auf den Kostümen, in den von Sara gemixten Drinks, als Anstecker, sogar als Headpiece eines weiteren Rehs. Meine Stimmung hebt sich und wir schlüpfen durch die Anwesenden auf eine Couch zu, in der sich auch zwei mir durchaus bekannte Gesichter zusammengesetzt haben. Amy und Claire entdecken uns, als wir schon fast die Hälfte des Weges hinter uns haben und rutschen winkend zur Seite.

„Ich dachte schon du kommst nicht mehr“, ruft Claire und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Sie kuschelt sich wieder neben Amy und ich lasse ich lachend neben sie fallen. Ich bewundere die beiden für ihren Mut, andererseits ist mir klar, dass sie niemals so nah beieinander sitzen würden, wenn Claire nicht durch Amys Bruder geschützt wäre. Ob er weiß, wen seine Verlobte wirklich liebt und bei ihrem Spiel mitmacht?

„Mussten noch zu Sara“, meint Markus und hebt seinen Drink erklärend hoch. Wie viele andere haben auch die beiden Frauen die Vögel in ihrem Kostüm integriert. Dafür hatte ich allerdings weder Zeit noch Geld, also muss es einer von Saras Drinks sein. Amy zieht die Augenbrauen anzüglich nach oben.

„Ihr werdet sie doch noch sehen, oder?“

„Na klar, unser kleines Weihnachtsfest.“

Lachend boxe ich Markus gegen die Schulter. Er und seine dummen Sprüche immer. Ich freue mich aber wirklich schon darauf, dass wir Hailey wieder treffen, wie sie außerhalb des Horms heißt. Die Frage ist nur, wie wir Markus in die Inneren Kreise bringen sollen.

„Mach dir darüber keine Sorgen, ich finde schon meinen Weg zu euch beiden“, raunt mir Markus ins Ohr und mir wird klar, dass er meine Sorgenfalten gesehen haben muss. Wir beide diskutieren schon seit Tagen, wie wir das hinbekommen sollen.

„Jetzt lass dieses Gesicht und feier mit uns! Wir sind freie Vögel und niemand hört uns hier!“, schreit Amy lachend und endlich fällt auch die Anspannung von meinen Schultern. Sie hat recht. All unsere Probleme sind auch morgen noch da. Aber dieser eine Ort hier ist unsere Freiheit. Unser Platz, wo wir sein können, wer wir sind, ohne dass sie uns dafür rankriegen. Innerlich danke ich Markus und seinen Freunden dafür, dass sie uns diesen Ausweg geschaffen haben, dann führe ich den imaginären Cocktail an meine Lippen. Fast kann ich den süßen Geschmack schmecken, genauso wie die sanfte Berührung von Markus, der über meinen Handrücken streift. So fühlt sich Weihnachten an.

Ende

Türchen 12

Halbzeit – Heute mit einem Buch, dass gerade erst geschlüpft ist und wir dürfen auch exklusiv reinschnuppern:

Die Wärme, die wir teilen

von Phillipa Penn

„Was glaubst du? Warum kommen die Leute zum Glühweinstand?“ „Um sich zu betrinken?“ „Nein. Sie kommen, um sich zu wärmen.“

Es ist nicht der Traum. Aber es ist schon in Ordnung. Seit der Druck in ihrem früheren Job zu groß wurde, hält sich die 25-jährige Luzia als Putzfrau über Wasser. Mit ihrer ehrgeizigen Mutter liegt sie im Streit und von ihren Freundinnen hört sie nichts mehr, also stellt sie sich auf ein einsames Weihnachten ein. Dann begegnet ihr Phil. Er führt pflichtbewusst den Stand seiner Familie auf dem Weihnachtsmarkt weiter, obwohl ihn das Schaustellerleben so gar nicht in Festtagslaune bringt. In einer verschneiten Dezembernacht funkt es zwischen Luzia und Phil. Sie spüren, dass sie einander etwas geben können, das ihnen gerade schmerzlich fehlt.

Doch reichen ihre Gefühle aus, um warm durch den Winter zu kommen?

Amazon.de

Zu gewinnen gibt es heute ein tolles Goodie-Set passend zum Buch, von der Autorin – Bilder davon findet ihr auf Instagram in den Swipes des Beitrags.

Kapitel 2 – Käfer und Riesen

Als wir nach Feierabend den Weihnachtsmarkt betreten, haben die Buden schon ihre Fensterläden zugeklappt. Nur ein paar im Zickzack gespannte Lichterketten erleuchten noch den Platz. Angetrunkene Menschen stolpern zwischen den kleinen Holzhütten hin und her, singen mal lauter und mal leiser ein kitschiges Weihnachtslied.

„Da sind wir wohl zu spät dran.“ Julio seufzt und rückt seine Beanie-Mütze zurecht. „Sorry, Geburtstagskind.“

„Macht nichts.“ Ich winke ab und schaue auf die Uhr. Es ist kurz nach elf. „Mein Geburtstag ist demnächst sowieso vorbei.“

Dann versenke ich meine Hände schnell wieder in den Taschen. Der Wind, der zwischen die Reihen der kleinen Häuschen bläst, ist eiskalt.

„Ich hätte trotzdem gern ein kleines Bisschen mit dir gefeiert.“ Julio legt einen Arm um mich. „So als Aufheiterung.“

„Aufheiterung?“, frage ich überrascht.

„Ja, du schaust heute so … betrübt.“ Julio drückt mich freundschaftlich an sich. „Wie ein Basset Hound, weißt du?“

Mir war nicht klar, dass ihm oder irgendjemandem in der Arbeit auffällt, wie es mir gerade geht. Irgendwie ist mir das peinlich. Nicht nur, weil er mich mit einem Hund vergleicht.

„Basset Hound, ja? Na, danke.“ Ich vergrabe mein Gesicht in meinem gelb gestreiften Schal. 
Julio springt vor mich, geht rückwärts, während er mich forschend ansieht. Er greift nach einer meiner schulterlangen Strähnen.

„Ja, mit deinen braunen Haaren und den großen Augen schaust du aus wie ein Hündchen. Total niedlich!“ Er seufzt. „Aber auch so, so traurig.“

„Hm“, mache ich.

„Fast schon mitleiderregend“, führt Julio weiter aus.

Ich murre in mich hinein. Er nimmt zwei Bündel meines Haars und hält sie wie Schlappohren in die Luft. „Man möchte dir, ich weiß auch nicht, ein Leckerli oder eine Streicheleinheit geben.“

„Okay, ich hab’s verstanden!“ Ich reiße mich und meine Haare von ihm los.

„Hey, hey, hey!“ Julio geht mir nach. „Entschuldige, wirklich, tut mir leid. Das war nicht böse gemeint!“ Er versucht, mich am Arm neben sich zu ziehen. 

„Ich weiß“, gebe ich seufzend zu, erlaube ihm aber trotzdem nicht, sich bei mir unterzuhaken.
Unabhängig davon, wie er es gemeint hatte … Er hat bei mir einen Nerv getroffen. Mir ist bewusst, dass ich im Moment keine besonders fröhliche Gesellschaft bin. Ich ertrage mich ja selbst kaum. 

Um nicht zu weinen, lege ich den Kopf in den Nacken und starre hoch in den dunklen Nachthimmel. Mein Atem bildet kleine Wölkchen, als er über mir ins Himmelszelt schwebt.

„Wie wär’s mit einem Bier? Drüben im Eulenspiegel?“ Man hört Julio an, dass er unbedingt etwas gutmachen möchte. 

Ich blocke ab. „Nein, ist schon okay. Ich gehe lieber nach Hause.“

Ganz kurz sehe ich ihn an, dann richte ich meinen Blick auf meine Stiefeletten. Mir ist die Lust auf einen Drink vergangen und ich möchte mich nicht von seinen großen, blauen Augen umstimmen lassen. „Mikesch wartet bestimmt schon und hat Hunger.“

„Dein Kater hält bestimmt noch ein wenig durch“, versucht es Julio weiter. „Nur auf ein Getränk.“ 

„Nein!“, sage ich lauter und gereizter als beabsichtigt. Kurz hallt es zwischen den Marktbuden, die uns umgeben, nach.

„O-okay. Ich bin schon ruhig.“ Mein Kollege bringt ein wenig Abstand zwischen uns. „Es tut mir leid.“

Ich schweige einen Moment. „Schon okay.“ Meine Finger graben sich tiefer in meinen Jackentaschen. Die Anstrengung des Tages und die Kälte beginnen an mir zu nagen. „Ich will heute einfach ein bisschen für mich sein. Ausruhen und so.“

Es dauert einen Augenblick, ehe Julio antwortet. „Dann solltest du auch genau das tun.“ Er atmet tief durch. „Sorry, dass ich dich zu etwas anderem überreden wollte. Ich bin manchmal ein bisschen pushy.“

Ich schaue zu ihm und seinem entschuldigenden Lächeln auf.

„Das stimmt.“ Ich erlaube mir, mich kurz über seinen bestürzten und schuldbewussten Gesichtsausdruck zu amüsieren. „Aber du bist trotzdem mein Lieblingskollege.“

Wir brechen beide in Kichern aus. Es ist wie ein Schwall Wärme und Erleichterung.

„Na, wie gut …“ Julio stupst mir mit dem Finger an die Stirn, „dass du auch meine Lieblingskollegin bist!“ 

Nun kann ich doch nicht anders, als mich von ihm in die Arme schließen zu lassen. 

„Und du willst sicher kein Geburtstags-Bier?“, fragt er, ohne mich loszulassen. Ich spüre seinen warmen Atem an meinem Scheitel.

„Ich mache mir zu Hause eins auf!“, lüge ich.
Tatsächlich habe ich weder Bier noch etwas Ähnliches daheim. Und selbst wenn ich etwas Derartiges im Kühlschrank hätte … Ich trinke nie allein. Ich trinke nur, wenn andere mit mir trinken. Wenn es wirklich etwas zu feiern gibt. 

„Okay, dann proste ich dir aus der Ferne zu.“ Julio lässt mich los und schaut auf sein Handy. „Sieht so aus, als wären ein paar Freunde von mir noch zu einer Party aufgelegt.“

„Na, dann …“ Ich schlucke. Keine meiner sogenannten Freundinnen hat sich heute zwecks einer Party – oder auch nur einer Gratulation – bei mir gemeldet. Die Enttäuschung schmeckt bitter.

„Viel Spaß mit deiner Truppe“, zwinge ich mich zu sagen.

„Werde ich haben!“ Julio hat sich schon halb von mir weggedreht, als er die Hand zum Abschied hebt. Ich sehe zu, wie seine schlanke, hohe Gestalt unter den Lichterketten hindurchgeht und sich aus meinem Sichtfeld entfernt. Für einen Moment habe ich das Bedürfnis, ihm doch noch hinterherzurennen. Dann aber drehe ich mich herum und schlage die Richtung, in der meine Wohnung liegt, ein.

Auf dem feuchten Pflaster kommen meine Absätze ein wenig ins Schlittern. Der Regen der letzten Tage könnte heute Nacht zu einer Eisschicht werden. Konzentriert mache ich einen Schritt nach dem anderen, um nicht auszurutschen.

Plötzlich höre ich ein lautes Rumpeln gefolgt von einem Aufschrei. Erschrocken reiße ich meinen Blick vom Boden los.

Was war das?

Oder viel mehr: Wer war das?

Die Buden links und rechts von mir sind dunkel und verschlossen. Ich kneife die Augen zusammen und schaue ein Stück den Weg hinunter. Ein schwacher Lichtschein bringt das nasse Pflaster dort zum Glänzen. Schnell haste ich darauf zu. 

Als ich die Stelle erreiche, kann ich es sehen: In einer der Hütten brennt noch Licht. Es scheint durch die Ritzen der Fensterläden und die offene Hintertür. Wieder höre ich ein dumpfes Rumpeln, dann ein Ächzen.

„Hallo?“ Ich trete näher. „Brauchen Sie Hilfe?“

Zuerst sehe ich die alte Frau gar nicht. Dann wird zwischen zwei umgefallenen Kisten eine faltige Hand mit unzähligen Ringen in die Höhe gestreckt.

„Wenn Sie so nett wären“, krächzt eine Stimme. „Ich bin hier drunter.“

Ich mache einen Satz nach vorne und hieve erst den einen, dann den anderen Karton aus dem Weg. Sie sind nicht ganz so schwer wie sie aussehen, aber unhandlich groß. Bei einem Blick hinein, sehe ich hunderte kleine Beutel, die mit getrockneten Blättern und buntem Pulver befüllt sind. Mir strömen so viele verschiedene Gerüche gleichzeitig entgegen, dass mir einen Moment schummrig wird. 

„Verflixt noch mal!“, erklingt es neben mir.Blinzelnd lenke ich meinen Blick und meine Aufmerksamkeit zurück zu der Frau. Wie ein schillernder Käfer liegt sie auf dem Dielenboden der kleinen Holzhütte und hat sichtlich Schwierigkeiten, sich aufzurappeln.

„Moment, ich helfe Ihnen!“ Schnell reiche ich ihr meinen Arm, den sie sofort umklammert.

Im Gegensatz zu den Kartons ist sie deutlich schwerer, als sie aussieht. Dabei wirkt sie unter den unzähligen Lagen an Tüchern und Röcken, so schmächtig. Vielleicht ist es der ganze Schmuck, den sie trägt. Sie ist dekoriert wie ein Weihnachtsbaum. Neben einem oder zwei Ringen an jedem Finger trägt sie dicke Armbänder aus Edelsteinperlen. Klobige Kristalle baumeln an unterschiedlich langen Goldketten um ihren dünnen Hals. Es klirrt und klimpert, als ich ihr aufhelfe.

„Danke, Fräulein“, keucht sie und richtet ihre Kleidung. „Ein Glück, dass Sie in der Nähe waren, sonst hätte ich hier gelegen bis …“

„Tante Edda?“

Die Augen der alten Dame weiten sich und ich fahre herum. Ein junger Mann betritt den Verkaufsstand. In dem schmalen und niedrigen Türrahmen sieht er aus wie ein Riese. Er muss mindestens so groß sein wie Julio, ist aber deutlich breiter gebaut. Ob er hierhergerannt ist? Die leicht geöffneten Lippen, aus denen dampfend sein Atem kommt, sind das Nächste, was mir an ihm auffällt. 

„Phileas! Wie gut, dass du da bist!“ Edda grinst. „Du kannst mir die Kisten wieder hoch aufs Regal stellen.“ Sie schmunzelt und wirft mir einen Seitenblick zu. „Und meine charmante Retterin kennenlernen!“

Hitze steigt mir in die Wangen und ich schiele verlegen zu dem Typen namens Phileas. 

Doch er ignoriert mich. Unwirsch streicht er sich eine blonde Strähne aus der Stirn. Seine grünen Augen sind auf Edda gerichtet.

„Tante!“, schimpft er. „Ich habe dir schon hundert Mal gesagt, dass du mit dem Aufräumen warten sollst, bis ich abgeschlossen habe. Ich komme her und helfe dir, wenn ich am Glühwein-Stand fertig bin!“

„Ja, ja, ja, mein Lieber!“ Sie tätschelt ihm beschwichtigend die breite Brust. „Es ist nicht so, als ob ich geplant hätte, mich unter Gewürzen und Kräutertee zu begraben.“ Sie zwinkert mir zu. 

Von ihrem Neffen kommt ein missbilligendes Brummen.

„Außerdem“, fährt Edda fort, „war ja das hilfsbereite Fräulein in der Nähe.“ Sie deutet auf mich.

Phileas sieht mich zum ersten Mal an. Durchbohrt mich mit diesen Augen, die das tiefe, dunkle Grün eines Tannenwalds haben. Einen Moment wirkt er überrascht, als hätte er mich zuvor nicht bemerkt. Dann wird sein Ausdruck finsterer. Gerade so als hätte ich etwas falsch gemacht.

Er wendet sich wieder an seine Tante. „Das war pures Glück“, murmelt er.

„Na, na, na!“ Edda wedelt tadelnd mit einem Finger in der Luft herum. „Bist du nicht froh, dass sie deiner alten Tante zur Hilfe geeilt ist? Willst du ihr nicht Danke sagen?“
Er sieht wieder zu mir, mustert mich. Ich weiche seinem prüfenden Blick aus, weil er mich ganz unruhig macht. Dann ertrage ich die seltsam erwartungsvolle Stille nicht mehr.

„Es war keine große Sache“, sage ich schnell. „Ich werde dann mal wieder …“

Ich mache Anstalten, mich an dem großen Kerl vorbei und aus der Marktbude herauszuquetschen. Aber Edda hält mich zurück.

„Meine Liebe“, sie sieht mich durchdringend an, „Sie haben sich ein kleines Dankeschön verdient.“
Edda dreht sich um und greift in eine der Kisten, die ich eben von ihr heruntergehoben habe. Im nächsten Moment halte ich ein kleines transparentes Päckchen in der Hand.

Glühwein-Mix steht auf dem Sticker und durch die Folie kann ich grob zerbrochene Zimtstangen, Sternanis, Nelken, Orangenschalen und sogar sowas wie Blütenblätter erkennen. 

„Oh, aber das ist doch nicht nö…“, beginne ich zu sagen, aber in diesem Moment wird mir klar, dass es das erste Geschenk ist, dass mir heute, an meinem Geburtstag, gemacht wird. Mein Griff schließt sich ein wenig fester um den kleinen Beutel und ich räuspere mich. „Danke schön.“

„Phileas mischt das Glühweingewürz für mich.“ Edda schaut vielsagend in Richtung ihres Neffen. „Es ist köstlich. Und es wird sie bestimmt aufwärmen nach diesem langen Tag.“

Mein Blick springt zu den Augen der Frau. Ist das einer dieser Momente, in der man die Weisheit des Alters spürt oder warum habe ich das Gefühl, dass hinter ihren Lidern ein wissender Ausdruck liegt? Als könnte sie ganz genau erkennen, was für ein Reinfall der heutige Tag für mich war …

„Haben Sie es noch weit bis nach Hause?“ Eddas schmale, warme Hände schließen sich um meine.

„N-Nein“, sage ich hastig. „Nur die Straße runter.“

„Hmmm“, macht sie und kneift die Augen zusammen. „Es ist weiter, als Sie zugeben.“ Ihre Finger reiben über meine und ihr Blick wird so durchbohrend, dass ich mich ein wenig unwohl fühle. „Mein Neffe wird sie heimbringen.“

„Tante!“, protestiert Phileas. „Sie hat doch gerade eben gesagt …“

Edda lässt meine Hände los und hebt mahnend einen Finger in Richtung des jungen Mannes. „Na, wirst du wohl! So habe ich dich nicht erzogen!“

Phileas fährt sich durch die blonden Haare. „Gut“, presst er hervor.

„Das ist wirklich nicht nötig!“, versuche ich zu intervenieren.

Der mahnende Finger steht jetzt vor meiner Nase. „Keine Widerrede. Das ist doch das Mindeste! Es ist schließlich dunkel da draußen und Sie sind ganz allein.“

„Aber …“ Mein Protest wird durch ein Funkeln aus Eddas Augen, dass ich der alten Dame gar nicht zugetraut hätte, im Keim erstickt. „Okay, danke“, gebe ich mich geschlagen.

Ich folge Phileas, als er kopfschüttelnd die kleine Hütte verlässt.

„Ich warte, bis du wiederkommst, Phileas! Aber lasst euch Zeit!“, flötet Edda uns hinterher.
Ich vergrabe meine glühenden Wangen in meinem Schal und hoffe, dass Phileas nichts von meiner Verlegenheit bemerkt.

Ende

Türchen 13

Halbzeit – Heute mit einem Buch, dass gerade erst geschlüpft ist und wir dürfen auch exklusiv reinschnuppern:

In den Farben der Finsternis: Blutrot

von Steffi Frei

Blutrot – Der Auftakt zu einer modernen Urban-Fantasy-Vampirreihe.

Ganz ohne Glitzer, dafür mit den Farben der Finsternis und einer Prise bissigen Humor. Von der Schönheit der Finsternis … und ihren Abgründen

Milena – eine Künstlerin der Finsternis. Gefangen in ihren eigenen Ängsten. Rico – ein einsamer Vampir. Voller Verachtung für die vor ihm liegende Ewigkeit. Zwei fremde Wesen. Eine zufällige Begegnung. Eine Abmachung, die einen hohen Preis fordert. Und dieser Preis ist in Blut zu zahlen…

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute das Buch von der Autorin.

Blutpunschrot, Palmengrün und Lamettagold

eine Bloody-Christmas-Shortstory von Steffi Frei

Konzentriert verwische ich den tiefschwarzen Kohlenstaub auf dem knochenweißen Papier, bis ich mit dem Verlauf der Schatten zufrieden bin.

»Was ist das?«, fragt Rico, der neben mir auf der Couch sitzt und sich rüberbeugt, um einen Blick auf mein Kunstwerk zu werfen.

»Krampus«, antworte ich. »Der finstere Gegenpart zum Nikolaus, der kommt, um die unartigen Kinder zu bestrafen.« Ich lasse es unheilvoll klingen und ziehe eine psychomäßige Grimasse, doch Rico bemerkt es gar nicht.

Er betrachtet stirnrunzelnd den gehörnten Dämon mit den Ziegenbeinen und der unltralangen Gene-Simmons-Zunge. »Fies«, urteilt er knapp.

»Ach ja«, wirft Vic ein, die auf der Sofakante balanciert und die deckenhohe Yucca-Palme mit goldglänzendem Lametta behängt. »Darüber hab ich mal ’nen Film gesehen – hey, vielleicht können wir uns den später reinziehen.«

»Wie besinnlich«, spöttelt Rico.

Vic gackert und gerät auf der Sofakante ins Wanken. »Huch!«

Ein Schauer aus goldigem Lametta rieselt herab und landet genau auf Ricos Kopf.

»Fuck, muss das sein?«, knurrt er.

Ich breche in Gelächter aus und Vic fällt vor lautern Gackern endgültig von der Kante. »Wie ein richtiger Rauscheengel«, prustet sie und deutet vom Boden aus auf Ricos mit Goldkräuseln geschmücktes Haupt.

Stöhnend wischt er sich das Lametta vom Kopf und zeigt ihr den Mittelfinger.

»Ey«, rufe ich immer noch kichernd. »Heute wollten wir uns doch alle benehmen!«

»Genau!« Vic stemmt die Hände in die Hüften. »Das soll ein besinnlicher Abend werden!«

»Dann beschränk dich mit deinem verdammten Dekorierwahn gefälligst auf das Haus und halt mich da raus. Sieht schlimm genug hier aus«, murrt Rico.

Ich lasse den Blick schweifen. Er hat nicht ganz Unrecht, Vic hat es vielleicht minimal übertrieben mit dem Lametta, den buntblinkenden Figürchen, den ungefähr hundert verschiedenen Duftkerzen. Nicht zu vergessen den etwa dreimal so vielen Lichterketten in unterschiedlichen Farben, die sich entlang jeder Wand und über jedes Möbelstück winden. Gut, dass Vampire weder unter Epilepsie noch unter Migräne leiden können, denn sonst schwebten wir alle in akuter Gefahr eines Anfalles. Das Herzstück dieses Deko-Weihnachtswunders bildet die Palme mit ihrem blinkenden, glitzernden Korsett, bei deren Anblick ich wieder richtig loslache.

Ich habe Vics Vorschlag, zusammen Weihnachten zu feiern, nur unter der Bedingung zugestimmt, dass wir uns keinen echten Tannenbaum ins Haus holen. Ich hasse diese Tradition! Es ergibt einfach null Sinn, einen Baum zu töten und sich von ihm die ganze Bude vollnadeln zu lassen, nur um ihn dann wenige Wochen später zu entsorgen. Nein, dazu bin ich nicht bereit. Und da sich auch niemand für einen Plastikbaum erwärmen konnte, hatte ich das Thema für abgehakt gehalten, bis Vic vorgestern strahlend mit der Palme im Arm hereinmarschiert kam. Sie gibt einen etwas unkonventionellen Weihnachtsbaum ab, aber das ist wohl alles an diesem Weihnachtsfest – meinem ersten als Vampirin.

Vic wirft einen Blick auf die Uhr ihres Smartphones und klatscht in die Hände. »Okay, die Zeit läuft. Mil, kümmerst du dich um den Blutpunsch? Ich muss mich noch umziehen. Und Rico, du könntest in der Zwischenzeit mal an deinem Gesichtsausdruck arbeiten, du siehst so besinnlich aus wie ein Pitbull, der gerade ein Kind verspeist hat.«

»Das ist ein mieses Vorurteil gegenüber Pitbulls«, halte ich dagegen, doch Vic ist schon aus dem Zimmer geflitzt.

Rico verdreht die Augen. »Ich hasse Weihnachten!«

»Wer nicht. Aber Vic hat sich so gewünscht, dass wir zusammen feiern. Also gib dir einen Ruck!«

Er sieht mich gequält an, daher beuge ich mich vor und küsse ihn. »Freust du dich nicht einmal auf die Geschenke?«, raune ich ihm ins Ohr.

Er schnaubt, grinst nun jedoch. »Wenn ich das bekomme, was ich mir wünsche …«

Ich lächele geheimnisvoll. »Wer weiß.«

Dann verschwinde ich rasch in der Küche, um mich wie gewünscht um den Punsch zu kümmern. Ich schnappe mir einen ganzen Stapel Blutbeutel aus dem Kühlschrank, fülle sie in die riesige Kasserolle, in der normale Menschen vermutlich ihren Weihnachtsbraten zubereiten würden, und kippe großzügig Rum hinzu. Während das Blutgemisch leicht köchelt, mische ich Pi mal Daumen die gewünschte Menge Nelken-, Zimt-, Ingwer- und Kardamom-Pulver unter. Das Aroma, das mir nun aus dem Topf entgegenweht, frisst sich in meine Nasenschleimhäute. Ups, das war vielleicht ein bisschen viel für die empfindlichen Vampirnäschen.

Doch ich komme nicht mehr dazu, den Fehler wiedergutzumachen, da es an der Tür klingelt. »Ich geh schon!«, rufe ich und husche schnell zum Eingang, um die Haustür aufzureißen.

»S Rozhdestvom«, skandieren Wlad und Miro gleichzeitig. Gigant, der gewohnheitsmäßig wie ein stummer Wächter neben ihnen aufragt, brummt bloß etwas Unverständliches.

»Frohe Weihnachten«, erwidere ich, in der Annahme das sie mir selbiges gewünscht haben. Ich sollte wirklich unbedingt mal Russisch lernen, damit mir Wlad keinen Unfug mehr erzählen kann.

Mein breites Grinsen friert ein, als ich die verloren wirkende Gestalt hinter ihnen entdecke. Eindeutig ein Mensch, der mit glasigem Blick durch mich hindurchstarrt. »Wlad, was soll das? Wir haben doch gesagt: Heute ohne Lebendnahrung!«

Er verdreht die Augen und scheucht den verwirrten jungen Mann fort. »Du hast es gehört. Verschwinde! Genieß das Weihnachtsfest mit deiner Familie!«

Miro wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. »Ich habe wirklich versucht, ihn davon abzuhalten, aber er konnte es nicht lassen.«

Ich winke ab und trete zur Seite, um die drei einzulassen. Miro umarmt mich kurz, Gigant tätschelt mir die Schulter und Wlad küsst mich auf die Stirn, ehe sie sich ins Wohnzimmer aufmachen.

»Ich hole den Punsch«, informiere ich sie.

Mit einem vollen Tablett kehre ich ins Wohnzimmer zurück, aus dem mir nun Last Christmas entgegenschallt. Ich verdrehe die Augen und tackere mir ein Grinsen ins Gesicht, bevor ich eintrete.

Rico sieht aus, als würde er sich am liebsten einen Pflock ins Herz jagen. Miro macht gute Miene zum bösen Spiel, Gigants Gesichtsausdruck ist so unergründlich wie eh und je und Wlad fläzt sich träge auf einem Sessel, beide Zeigefinger tief in den Ohren versenkt.

Er greift als Erster beim Punsch zu und kippt den Becher in einem Zug runter. Sein Gesicht verzieht sich zu einer gequälten Maske, was mich darin bestätigt, das ich die Gewürze nicht optimal dosiert habe.

Miro stößt ihm den Ellbogen in die Seite, nippt behutsam an seiner Tasse und nickt mit einem gepressten Lächeln. »Sehr lecker, Milena«, bringt er etwas erstickt hervor. Rico lacht und stellt seinen Punsch unangetastet auf dem Wohnzimmertisch ab. Nur Gigant trinkt das flüssige Desaster mit stoischer Ausdruckslosigkeit.

Ich wage einen vorsichtigen Schluck. Blut und Alkohol strömen mir sogleich durch die Adern und lösen einen wohligen Schauer in mir aus, aber die Gewürzmischung ätzt mir dermaßen die Geschmacksnerven weg, dass ich den angenehmen Effekt kaum genießen kann. Mist!

»Merry Christmas!« Vic flattert ins Zimmer – wortwörtlich. An ihrem Rücken schwingen transparentsilbrige Engelsflügel und ihre Afromähne schmückt ein Haarreif mit goldenem Heiligenschein. Der übergroße Strickpulli mit Schneemann Olaf und die zerrissene schwarze Strumpfhose irritieren das Gesamtbild zwar etwas, aber sie sieht trotzdem auf ihre eigensinnige Art hinreißend aus.

Und sie wäre ja nicht Vic, wenn sie nicht auch für den Rest von uns ein paar weihnachtliche Accessoires in petto hätte. In den Armen trägt sie noch ein halbes Dutzend Haarreifen, sodass wir kurz danach alle einen auf dem Kopf tragen: Rico bekommt Rentierhörner, Miro einen Mistelzweig, Wlad Teufelshörner und ich zwei Eiskristalle, die an zwei Sprungfedern fröhlich auf und ab hüpfen, sobald ich mich bewege.

»Perfekt«, befindet Vic und strahlt zufrieden. »Fehlt nur noch einer …« Sie zaubert ein goldenes Glückchen unter dem Pulli hervor und klingelt damit wild herum.

Der durchdringende Klang lässt uns mit unserem Supergehör kollektiv zusammenzucken.

»Ho, ho, ho.« Lugh stapft in voller Weihnachtsmann-Montur ins Zimmer und reibt sich den dickgepolsterten Bauch.

Ich pruste los und Vic haut sich vor lauter Lachen auf die Schenkel.

Selbst Ricos Mundwinkel zucken nach oben. Kopfschüttelnd schlägt er sich die Hand vor die Stirn. »Oh Mann, Lugh. Du lässt dir von Vic echt alles aufschwatzen.«

Lugh bedenkt ihn mit einem tadelnden Blick, lässt sich ansonsten jedoch nicht beirren. »Wart ihr denn auch alle artig?«, fragt er mit tief verstellter Stimme.

»Da muss ich dich leider enttäuschen«, meint Wlad.

»Rute raus!«, brüllt Vic.

Stattdessen zieht Lugh einen großen Sack von den Schultern.

»Geschenke, Geschenke«, rufe ich verzückt und klatsche in die Hände.

»Aber nur für die Unartigen!«, fordert Wlad.

»Also für alle«, wirft Vic ein und gackert.

Und tatsächlich überreicht Lugh jedem von uns ein kleines Päckchen. Vic hat uns extra vorher alle gezwungen, einen Zettel fürs Wichteln ziehen und dem Gezogenen ein Geschenk zu besorgen. Ich bin sehr gespannt, von wem meines stammt.

Wlads breites Grinsen und die Art, wie er mir zuzwinkert, sind wohl Antwort genug. Und es ist – eine Prinzessinnenkrone. Ich verdrehe die Augen. »Dein Ernst?« Ich werfe ihm einen strafenden Blick zu.

»Für meine Printsessa nur das Beste!«, verkündet er zufrieden grinsend. »Weißgold mit blutroten Swarovski-Kristallen.«

Ich schüttele den Kopf. Trotzdem drapiere ich das glänzende Teil irgendwie zwischen den Haarreifen und meinen Messie-Bun.

Miro freut sich sehr über die künstlichen Vampirzähne, die ich ihm besorgt habe. Schließlich hat die Blutgräfin ihm seine ja geraubt. Damit wird er zwar niemanden aussaugen können, aber immerhin sehen sie täuschend echt aus. Er hört gar nicht mehr auf, zu grinsen und seine neuen Beißer zu präsentieren.

Rico bekommt von Vic einen schwarzen Pulli mit dem Grinch drauf. Darüber steht: Fuck, es ist schon wieder Weihnachten! Natürlich muss er ihn gleich überziehen, da sind wir uns alle einig.

»Verblüffende Ähnlichkeit«, bemerkt Wlad und deutet erst auf die Grinch-Visage, dann auf Ricos grimmige Miene und ich muss ihm lachend Recht geben.

Nun ärgert Rico sich darüber, dass Wlad das Geschenk so gut gefällt, dass er ihm besorgt hat: eine schicke Glasflasche in Totenkopfform für seine Bloody Marishka. Gigant bekommt von Miro einen flauschigen Teddybären, der leise brummelt, wenn man auf seinen Bauch drückt. Obwohl Gigant alles andere als flauschig ist, sind die beiden ein richtiges Dream-Team. Lugh erhält wiederum von Gigant einen original irischen Whiskey der Marke Teeling, der unseren Weihnachtsmann in schiere Entzückung versetzt.

Ich schlage vor, ihn in den Punsch zu geben, wofür ich entgeisterte Blicke von Wlad und Lugh ernte.

 Vic rastet komplett aus, als sie die Weihnachtsedition von SingStar auspackt, die ihr Lugh geschenkt hat. Wir anderen werfen uns panische Blicke zu, denn uns schwant Böses. Aber sie ist so glücklich und begeistert, dass wir die Konsequenzen wohl alle mehr oder weniger stillschweigend über uns ergehen lassen werden.

Lugh zupft inzwischen etwas unbehaglich an seinem roten Kostüm und dem Rauschebart herum. »In Irland feiern wir ja traditionell das Jul-Fest«, merkt er an.

»Wir haben Dezember, nicht Juli«, wirft Vic ein, die schon begierig die SingStar-CD ins Laufwerk einlegt.

»Jul, nicht Juli«, korrigiere ich sie. »Das ist das Sonnenwendfest, nicht wahr?«, frage ich an Lugh gewandt.

»Auch das würde eher in den Juli passen. Von der Sonne ist Gott sei Dank nicht viel zu sehen«, meint Vic mit einem flüchtigen Blick aus dem Fenster.

»Genau darum geht es«, erklärt Lugh. »Yuletide, wie es bei uns Iren heißt, ist das Fest der Wintersonnenwende, um die Rückkehr der Sonne zu feiern. Traditionell wird es daher am einundzwanzigsten Dezember begangen und läutet die allmähliche Verlängerung der Sonnenstunden ein.«

»Na, wenn das so ist, ist das Fest nichts für uns. Wenn es nach mir ginge, könnte uns die Sonne gestohlen bleiben«, beschließt Vic und dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Mit einem Quietschen läutet Vic nun das Herunterladen von SingStar ein und so verbringen wir den Rest des Abends singend vor der Playstation und bescheren Vic damit das größte Weihnachtsgeschenk, das sie sich hätte wünschen können.

Letztlich haben wir es tatsächlich geschafft, den Weihnachtsabend besinnlich oder wenigstens katastrophenfrei zu begehen, und ich muss sagen, mein erstes Weihnachtsfest als Vampirin war ein gelungenes Spektakel im Kreise meiner Liebsten. So könnte es für immer bleiben, die ganze verfluchte Ewigkeit lang. Merry Bloody Christmas everyone.

Ende

Türchen 11

Hinter Türchen 11 versteckt sich eine tolle Geschichte, die von Banshees handelt. Aber nicht nur das, sondern fallen wir auch in eine Welt voll Mafia-Intrigen:

Goddess of Darkness and Shadows: Eine Liebe zwischen Licht und Dunkelheit

von Mara Schreiber

Die Banshee-Geschwister Tala und Javier haben ein Ziel: sich aus den grausamen Fängen ihrer Mafiafamilie befreien. Für die Flucht planen sie nicht nur einen Anschlag auf ihren machthungrigen Onkel, sondern auch auf sein dämonisches Kartell. Wäre da nur nicht Talas neuer, mysteriöser Leibwächter Joaquin, der Dinge über sie zu wissen scheint, die sie in Lebensgefahr bringen könnten. Während der Fluchtplan reift, ist es Joaquin, der Tala hilft, der dunklen Macht in ihr Einhalt zu gebieten. Auch wenn es zwischen ihnen knistert, darf Tala ihm nicht vertrauen. Und das zu Recht, wie sich herausstellt. Denn als sie mit Joaquins Hilfe lernt, die Dunkelheit zu kontrollieren, ist sie mehr denn je in tödlicher Gefahr …

Amazon.de

Gewinnen könnt ihr heute ein Buch von der Lieben Mara Schreiber.

Ich setze mich in meinem Himmelbett auf, betrachte noch schläfrig das Licht der Morgensonne und lausche den Geräuschen des Urwaldes, der gleich an das Grundstück unserer herrschaftlichen Villa grenzt.

Für den Weihnachtsmorgen kann es kaum eine friedlichere Atmosphäre geben. Der seichte Wind spielt mit den Vorhängen an den bodentiefen Fenstern und das Vogelgezwitscher ist mit den unterschiedlichsten Tönen eine einzigartige Sinfonie.

Trotz dem unvergleichlichen Ausblick auf die Natur und dem Wissen, dass Weihnachten ist, ist es für mich ein Morgen wie jeder andere: Ein Leben im vergoldeten Käfig. Umgeben vom Protz der Superreichen, mit einem dumpfen Gefühl in meinen Magen und dem Wunsch, weit weg von hier zu sein.

Die Tage in meinem Leben wechseln sich ab – aus meinem Alltag, in dem ich erniedrigt und eingesperrt werde und aus den noch verhassteren Tagen, in denen ich mich hübsch einkleiden und meinem Onkel Don Antonio als Accessoire zu Festessen und Terminen begleiten muss, damit seine Geschäftspartner meine Schönheit bewundern und meinen erfolgreichen Onkel mit noch mehr Neid rühmen können.

Weihnachten ist für mich schon lange kein Fest der Freude mehr, da ich unter der Fuchtel des arglistigen Don Antonio erzogen wurde und man mich inzwischen nur als eine wunderschöne Puppe wahrnimmt, die perfekt nach dem Willen eines einflussreichen und erfolgreichen Mannes geformt wurde und auch danach handelt.

Don Antonio ist der Puppenspieler und ich reagiere, sobald er eine der Fäden anstupst.

Ein trügerisches Spiel.

Es fällt mir nicht schwer, meinem Onkel, seinen Geschäftspartnern, den Drogenbaronen, Geldwäschern und korrupten Politikern diese demütige, junge Frau vorzuspielen, während ich insgeheim einen Plan ausgeklügelt habe, um das Kartell zum Einsturz zu bringen und mit meiner Familie von hier zu fliehen.

Ebenfalls habe ich heimlich eine Firma gegründet und damit genug Geld angespart, um meiner Familie und mir in ferner Zukunft ein sorgloses Leben zu ermöglichen.

Dass ich ungeachtet meiner Erfahrungen nicht aufgegeben habe und stets für die Freiheit kämpfe, bedeutet jedoch nicht, dass mein Leben einfach ist und ich unbeschadet das Leben im goldenen Käfig überstehe.

Jeder Tag ist ein Kampf um das Überleben meiner Familie.

Ich gleite aus dem massiven Bett, durchquere mein palastähnliches Zimmer und schnappe mir das edle Kleid, was mein Onkel für das heutige Fest gekauft hat. Jegliches Kleidungsstück, das ich besitze, wurde von ihm prüfend ausgewählt. Dementsprechend bin ich immer sehr figurbetont, aber doch vornehm gekleidet, damit man mich ausgiebig betrachten kann. Genauso wie Don Antonio es wünscht.

Bevor ich im angrenzenden, luxuriösen Badezimmer verschwinden und mich für das Fest zurecht machen kann, wird die Tür zu meinem Zimmer aufgestoßen und der Blick meines Leibwächters trifft mich.

Joaquin.

Mein Herz rast, wie immer bei seinem Anblick.

Zu Beginn seiner Zeit hier im Anwesen geschah das aus Hass und Abscheu, weil Joaquin unwiderruflich in meine Privatsphäre eingedrungen ist und sich wissentlich durch meine Schutzmauern zu kämpfen versucht hat.

Nun sind nach all den Monaten ganz andere Gefühle der Grund, warum mein Herz bei dem Anblick meines Leibwächters verrücktspielt.

»Guten Morgen, Señorita«, schnurrt er wie immer gut gelaunt und mit einem schiefen Lächeln, das mir beinahe den Atem nimmt. Unter seiner Jacke kann ich den Schultergurt durchblitzen sehen, der zur Befestigung der beiden Pistolen ist, die ihm griffbereit links und rechts auf dem Rippenbogen hängen. Die Jeanshose, die er trägt, schmiegt sich perfekt an seine Beine und an seinen Hintern.

Tala!, ermahne ich mich selbst. Hör auf zu schmachten!

»Würdest du die Tage weiterhin mit einem guten Morgen begrüßen, wenn du in einem Gefängnis wie diesem Leben würdest?«, rutscht es mir anstelle einer Begrüßung hinaus, dabei ist sein Leben kaum besser als das meine. Wer einen Job als Leibwächter in den Kartellen antritt, tut das nur aus Verzweiflung, um nicht zu verhungern und seine Familie vor dem gleichen Schicksal zu bewahren. Schließlich ist die Todesrate unter den Leibwächtern eine der höchsten, die es in diesen Kreisen gibt.

Mit seinem selbstsicheren Auftreten hat er mich schon an seinem ersten Arbeitstag aus dem Konzept gebracht. So wie jetzt auch. Lässig lehnt er sich gegen den Türrahmen und verschränkt die Arme vor der Brust. Seine perlweißen Zähne blitzen auf, als er breit lächelt. »An den Tagen, an denen die Wärter nicht auftauchen, gewiss.«

Verunsichert knülle ich das Kleid zwischen meinen Händen zusammen. Mein Leibwächter ist die Sonne in der dunklen Welt des Menschen-, Drogen und Waffenhandels, die mich umgibt. Ich bin nur ein weiterer dunkler Fleck in dieser Welt und habe so viel Blut an meinen Händen kleben, dass ich den Bastarden in Nichts nachstehe. »Diese Gunst wurde mir nie zuteil«, lasse ich ihn mit einem bedeutungsvollen Blick auf seine Anwesenheit wissen, da er nur einer von vielen Wärtern ist, die mich Tag und Nacht im Blick behalten.

»Du weißt, ich bin einer von der bestechlichen Sorte«, neckt er und stößt sich von der Tür ab, nur um dann langsam auf mich zuzukommen. Seine unterwasserblauen Augen brennen sich in meine dunkelbraunen.

»Ach ja?«, hake ich nach und kämpfe innerlich gegen den Instinkt zurückzuweichen oder mich an seine Brust zu schmeißen und seinen unverwechselbaren Geruch zu inhalieren. »Womit könnte ich dem Nachkommen deiner Pflicht denn entgegenwirken?«

Joaquin nimmt mir das Kleid aus den Händen und wirft es achtlos auf das Bett. »Mit gutem Essen«, sagt er, als wäre die Antwort selbstverständlich, und ergreift meine Hand, um mich anschließend durch das Zimmer und dann die Treppen hinunterzuziehen.

»Aber das Fest -«, protestiere ich leise. Außerdem habe ich noch immer meine Schlafsachen an und bin barfuß.

»Fällt aus«, unterbricht er mich. »Dein Onkel muss zu einem Krisentreffen, weil ein ganzer Laster voll Betäubungsmittel wie vom Erdboden verschwunden ist.« Nur kurz wirft er mir einen schelmischen Blick über die Schulter zu. Bei solchen Vorfällen – die in letzter Zeit vermehrt auftreten – habe ich immer das Gefühl, dass Joaquin seine Finger mit im Spiel hat. Beweise dafür habe ich jedoch nicht. »Wir haben also den ganzen Tag frei.«

Ich bin zu verdutzt, um zu reagieren und lasse mich willenlos bis ins Erdgeschoss ziehen. Schon im Flur weht mir der Geruch von verschiedenen Gewürzen entgegen und als ich die offene Küche betrete, traue ich meinen Augen kaum.

Die mir liebsten Menschen sind anwesend. Alessio und mein Bruder Javier sitzen am großen Esstisch, betrinken sich mit Apfelwein und spielen ein Brettspiel, wobei jeder von ihnen hinterhältig grinsend schummelt. Großmama steht am Backofen und holt eine Ladung goldbrauner Plätzchen hervor, die sie summend auf der Arbeitsfläche abstellt, wo bereits ein weiteres Blech darauf wartet, in den warmen Ofen geschoben zu werden.

Großpapa steht an der marmorierten Kücheninsel, rührt einen Teig zusammen und beobachtet Großmama bei ihrer Arbeit. Seine Augen strahlen nach all den Jahren nur eins aus: Liebe.

»Du kannst mir beim Hauptgericht helfen«, meint Joaquin, bevor er sich zu meinen Großeltern gesellt und sich durch die Utensilien und Zutaten wühlt, die die Arbeitsplatte bedecken.

Der Moment fühlt sich unwirklich an. Dieses friedliche, sorglose Beisammensein, wo doch seit Jahren ein Damoklesschwert über unseren Köpfen hängt und uns Tag für Tag begleitet. Ein Damoklesschwert mit dem Namen Don Antonio Matias Espinoza – mein Onkel, der unser Leben zur Hölle macht und uns alle erniedrigt.

In dieser Villa gehen wir uns dank der Anwesenheit der vielen Leibwächter – die jegliche Regung und jedes Wort an meinen Onkel weitertragen – meistens aus dem Weg. Wenn wir zum Essen in der Küche zusammenfinden, dann sind wir alle demütig, still und zurückhaltend, solange Don Antonio anwesend ist.

So losgelöst wie heute habe ich meine Familie schon lange nicht gesehen. Mein Onkel ist nicht zugegen und auch kein Leibwächter – bis auf Joaquin, an dessen Anwesenheit ich mich so sehr gewöhnt habe, dass ich sie nie wieder missen will.

Ich atme tief die Gerüche ein, die sich in der Küche verteilen und gehe langsam zu Joaquin herüber. Er reicht mir eine Tasse mit Apfelwein und meine Großmama schiebt mir ein paar Plätzchen hinüber. Ich koste von beidem und gehe in dem Geschmack auf, da mein Onkel seit Jahren die Hand über meinen Ernährungsplan hält und ich kein Gewicht zulegen darf. Mein Essen ist immer fad, umso besser schmeckt das, was nun meinen Gaumen berührt.

»Das Rezept von deiner Mutter ist wunderbar«, ruft Großmama freudig in Joaquins Richtung aus. Mein Leibwächter gibt nur das stetig fröhliche Lächeln seiner perlweißen Zähne preis. Ganz so als wäre sein Leben von Sonnenschein und Heiterkeit geprägt, dabei hat er alles und jeden verloren, was er je geliebt hat. Seine Familie. Sein Leben. Ich weiß nicht, woher er nach allem, was er durchgemacht hat, diese Form von Lebenswillen und Fröhlichkeit hernimmt. Dafür bewundere ich ihn.

Ich wende mich von ihm ab, betrachte das in Leder gebundene Rezeptbuch, das auf der Arbeitsplatte liegt und unweigerlich von Joaquins Mutter stammen muss. Er hat von seiner Kindheit erzählt, wie er, seine Schwester und seine Mutter gekocht und gebacken haben und es oftmals in einer Mehlschlacht endete. Zu schnell hat dieses friedliche Familienleben ein Ende gefunden und es ist nichts mehr davon übrig. Bis auf die Erinnerungen und das Rezeptbuch.

Wenn ich mit meinem Plan, das Kartell zu stürzen, scheitern sollte, dann wird es mir genauso ergehen. Don Antonio wird meine Familie umbringen, wenn er auch nur den Hauch einer Ahnung davon bekommen sollte, was ich vorhabe. Mich würde er am Leben lassen, um mit der Schuld leben zu müssen und mich für den Rest meines Daseins zu quälen.

Ich werde jedoch nicht scheitern.

Ich bin Tala Flores Espinoza und alles andere als eine Puppe, die nach den Fäden ihres Puppenspielers tanzt. Ich bin die Rache für das Leid, das man mir und meiner Familie gebracht hat.

Und solange der Plan reift, bevor er in die Tat umgesetzt werden kann, genieße ich das Leben. Die klitzekleinen Momente, die mir das Leben schenkt. Die Zeit mit meiner Familie. Die Zeit mit Joaquin.

Zielgerichtet greife ich mit den Fingern in den Mehlsack und wische Joaquin danach einmal quer über die Wange, bis ein dicker Streifen des pudrigen Zeugs seine Haut und seinen Bart ziert. Verdutzt lässt er von den Zutaten ab, dreht sich zu mir um – besinnt auf Rache. Es vergeht ein Wimpernschlag bis seine Hand mein ganzes Gesicht bedeckt und es mit Mehl bestäubt.

Ich schlage die Hand fort und blinzele. Mehlstaub fällt von meinen Wimpern. So läuft das, wenn man mit einer kleiner Revenge rechnet und dann die volle Ladung abbekommt.

Joaquins Brust bebt vor unterdrücktem Lachen, dann erbarmt er sich und streicht mir vorsichtig den Großteil von den Augen und von den Wangen. Nach einer Weile habe ich das Gefühl, seine Hand will gar nicht mehr von meiner Haut weichen und ich bin sicher, dass sich unter der weißen Puderschicht meine Wangen röten.

Eine Strähne hat sich aus seinem Zopf gelöst und schmiegt sich sanft an seine mehlbehaftete Wange. Sein Teint und seine dunklen Haare passen perfekt zu den Tunneln aus Kirschholz, die seine Ohrläppchen zieren. Wie immer lugt die Spitze seiner Tätowierung am Halsausschnitt seines Hemdes hervor. Und ich bin verdammt, weil ich weiß, wie sich die Kalinga Tätowierungen unter seinen Klamotten perfekt an seinen wohlgeformten Körper schmiegen und seine Haut in ein Kunstwerk verwandeln.

Joaquins Blick verändert sich und ich schätze, der Ausdruck in meinen Augen ähnelt seinem. Mehr Bestätigung brauche ich nicht für unsere Gefühle zueinander.

In meiner Brust ist es warm. Das dumpfe Gefühl in meinem Magen ist verschwunden. Und während wir den Rest des Vormittags in der Küche kochen, backen, lachen, trinken und Spiele spielen, kreuzen sich immer wieder Joaquins und meine Blicke.

Das Lachen meiner Familie füllt den Weihnachtstag … die Unbeschwertheit, die Sorglosigkeit.

Das ist das beste Geschenk, das ich je bekommen habe.

Ende