Türchen 3

Heute öffnen wir Türchen 3 des Kalenders und dahinter verbirgt sich ein Science-Fiction-Werk aus der Feder von Bernd Skorczyk:

Kar-Es: 701 Down!

Wir schreiben das Jahr 2105.

Robert Goldblatt, Freddy Byer und Shiyan Chen sind Menschen, wie sie unterschiedlcher nicht sein könnten. Und doch müssen sie als Crew des Patrouillenraumschiffs 701 zusammenarbeiten.

In einem isolierten Sektor am Rande des Sonnensystems stationiert, gelingt ihnen das nur selten. Immerhin waren sie bis vor wenigen Jahren offiziell noch miteinander verfeindet, Überlebende eines Krieges, der nur Opfer hervorgebracht hat.

Als ein unbekanntes Flugobjekt ihr Patrouillenschiff rammt, brechen nicht nur alte Wunden wieder auf.

Denn eine Bedrohung für die gesamte Menschheit nähert sich aus den Tiefen des Alls.

Und die Crew der 701 steht als einzige Verteidigungsinstanz dazwischen.

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Xenius von Bernd Skorczyk

Kapitel 1

Das Jahr 2098

Ein Tag auf dem Mars war nur geringfügig länger als einer auf der Erde. Neununddreißig Minuten und ein paar Sekunden. Während der letzten Monate waren sie Dr. Shiyan Chen wie die berühmte Ewigkeit vorgekommen. So wie jedem anderen Bewohner der Heping-Kolonie. Ursprünglich wohnten dort zivile Siedler. Normale Menschen, die ihrem Beruf nachgingen, Handwerker, Wissenschaftler, Rohstoff-Farmer.

Der Krieg zwischen der „Union unabhängiger Staaten“ (UuS) und der „Transeuropäischen Handelskoalition“ (TEH) änderte das.

Da die Kolonie auf UuS-Territorium stand, wurde sie umgehend zum Stützpunkt erklärt. Soldaten der „Zashchitnaya Stena“, der unionseigenen Militärorganisation, kamen.

Mit ihnen Shiyan. Notgedrungen. Die ZS hatte ihr das Medizinstudium finanziert. Qualifizierte Ärzte an der Front waren Mangelware und die in Peking geborene Chinesin nicht in der Position, sich zu widersetzen. Gleich am ersten Tag auf dem Mars musste sie bei der Planung und dem Bau eines Lazaretts mithelfen.

Vier Wochen später, kurz nach der Fertigstellung, quoll es vor verwundeten Soldaten über. Der Krieg verbreitete sich im Sonnensystem wie eine Seuche. Er tobte auf Planeten, im All, auf Raumstationen. Die normalen Menschen wurden von der Heping-Kolonie evakuiert und Robotik-Abwehrgeschütze aufgebaut. Sie schossen alles ab, was kein UuS-Codesignal abstrahlte. Und, noch wichtiger, Trümmer. Die Anziehungskraft auf dem Mars war zwar geringer als auf der Erde. Trotzdem reichte sie aus, um die Überreste zerstörter Raumschiffe einzufangen. Die Atmosphäre war zu dünn, als das sie darin verglühten.

Manchmal ratterten die Geschütze zwanzig Stunden ununterbrochen, um die Kolonie samt Lazarett vor der Vernichtung zu bewahren. Anfang des Jahres änderte sich das, ohne Vorwarnung und ganz plötzlich. Ob es eine technische Fehlfunktion oder Sabotage war, konnte niemand sagen. Dass der Schaden, wenn überhaupt, nur schwer zu reparieren war, dafür jeder.

„Der Tod regnet!“, sagte einer der Verwundeten, den Shiyan gerade behandelte, als die ersten Trümmerstücke ungehindert in die Kuppel des Kolonie-Hauptgebäudes einschlugen und es komplett vernichteten. Die Marsatmosphäre war selbst nach all den Jahren des Terraformings noch nicht atembar. Sie drang in die Verbindungsgänge ein. Jeder, der sich nicht rechtzeitig sein Atemschutzgerät aufsetzte, erstickte qualvoll. Dreihundert Menschen starben an dem Tag.

Tausende während der folgenden vier Monate. Die Gefechte in Marsnähe nahmen zu. Auch außerhalb der Kolonie gab es herbe Verluste. UuS und TEH beschuldigten sich gegenseitig wegen der humanitären Katastrophe, in die sie die Bewohner des roten Planeten brachten. Die bestialischen Raumschlachten stellten sie aber nicht ein.

Dann geschah vor zwei Tagen das Wunder. Pünktlich zu Heiligabend. Einem Team von einfachen Mechanikern gelang es, die Robotikgeschütze zu reparieren. Mit einem Haken: Sie feuerten von nun an auf jedes Flugobjekt. Freund oder Feind, diese Unterscheidung machten sie nicht. Die Geschütze auszuschalten, auch nur kurz, um Versorgungsshuttles durchzulassen, wagte niemand. Die Heping-Kolonie war längst kein Stützpunkt mehr, sondern eine Trümmerlandschaft voller leidender Menschen. Sie zu vernichten, schien der Transeuropäischen Handelskoalition dennoch äußerst wichtig zu sein. Shiyan Chen verstand nicht, warum. Aber das galt für alles, was sie im Krieg erlebte.

Nach vier Monaten Todesangst stellte sie keine Fragen mehr. Sie war froh, ihre Patienten behandeln zu können und dabei die spärlichen Vorräte an Medikamenten und Nahrung nicht über Gebühr zu strapazieren. Sechzehn-Stunden-Schichten waren normal. Genauso wie der komatöse Schlaf, in dem sie danach versank.

Alle gesunden Kolonie-Bewohner schliefen in der Botanik-Kuppel, gebettet auf Langgrasstreifen, inmitten von Laub- und Nadelbäumen. Privatsphäre gab es nicht. Dafür Streitereien und Prügeleien. Chen bemühte sich, so oft wie möglich einzuschreiten. Schon, um nicht noch mehr Patienten behandeln zu müssen. Ein paar Mal hatte sie für ihre Mühen bereits Schläge und Tritte kassiert.

Im Allgemeinen jedoch respektierten die anderen Bewohner sie. Genauso wie der Oberbefehlshaber der Heping-Kolonie. ZS-General Gor Kon. Er war ein gebürtiger Marsianer. Wie alle seiner Art besaß er einen über zwei Meter großen, dürren Körper. Dazu noch dunkle Haut und spärliches, weißes Haupthaar. Die Fähigkeit des menschlichen Organismus, sich anzupassen, zum Beispiel an die Gegebenheiten eines Planeten, war schon erstaunlich. Leider wies der Geist des Homo sapiens nicht dieselbe Flexibilität auf. Sonst wäre der Krieg nie ausgebrochen. Das dachte zumindest Shiyan Chen.

Am Morgen des 26. Dezembers 2098 erhob sie sich von ihrer Schlafstatt. Sie überprüfte ihr Atmungsgerät, das ordnungsgemäß im Gürtelholster zu ihrer Rechten verstaut war. Mit schlurfenden Schritten ging sie zum südlichen Rand der Botanik-Kuppel, wo sich die Waschräume befanden.

Kurz davor fing sie ZS-Hauptmann Asimov ab. „Dr. Chen? Der General muss Sie dringend sprechen.“

Shiyan war nicht in der Verfassung zu diskutieren. Vergangene Nacht hatte sie einen Patienten am Herzen operiert. Ausgerechnet einen ihrer insgesamt zehn Arztkollegen. Dr. Sanshu, ein fünfundsechzigjähriger Chirurg aus Belarus, war so sehr über die eigenen Grenzen getreten, dass er einen Infarkt erlitt. Chen hatte ihr Möglichstes getan. Trotzdem starb ihr der Mann unter den Fingern weg. Was nicht nur ein persönlicher Verlust war.

Dr. Sanshu fungierte, mit dem Rang eines Kommandeurs, als Verbindungsoffizier zwischen dem medizinischen Personal und dem oftmals kaltherzig agierenden General Kon. Er vermittelte bei Streitigkeiten und setzte sich auch sonst für jeden Bewohner der Kolonie ein. Ohne ihn würde die angespannte Situation noch unerträglicher. Shiyan jedenfalls ahnte Übles, wenn der Oberbefehlshaber jetzt nach ihr verlangte. Vielleicht kam ihm in den Sinn, sie für den Tod des Arztes verantwortlich zu machen. Einen Sündenbock brauchte man ja immer.

Sollte Chen das nun sein, konnte sie daran nichts ändern. Sie folgte Hauptmann Asimov durch die Verbindungsgänge zwischen Botanik- und Verwaltungskuppel.

Kapitel 2

ZS-General Gor Kon stand, unbeweglich wie eine Statue, in seinem Büro, einem kleinen Verschlag im ersten Untergeschoss der Verwaltungskuppel. Ein Schreibtisch aus Flexplastik und zwei daran gestellte Stühle waren die einzigen Möbelstücke. Schwächelnde Leuchtelemente an der Decke spendeten spärliches Licht. Die Luft roch verbraucht. Die Umwälzfilter arbeiteten schon länger nur mangelhaft. Dass die gesamte Kolonie noch nicht erstickt war, grenzte an ein Wunder.

Gor Kon wartete, bis Hauptmann Asimov Shiyan hineingeführt und den Raum verlassen hatte. Dann setzte er sich auf einen der Stühle und bedeutete der chinesischen Ärztin gestisch, auf dem anderen Platz zu nehmen.

Chen tat es. Dabei versuchte sie, den Gesichtsausdruck des Marsianers zu deuten. Erfolglos. Ob er nun wütend, ängstlich oder glücklich war, wusste niemand außer ihm selbst.

„Warum bin ich hier?“, fragte sie und hoffte, dass er die Woge Angst, die gerade ihre Stimme zittern ließ, nicht missverstand.

Der ZS-General musterte sie. „Dr. Sanshus Tod ist weit mehr als bedauerlich, Dr. Chen. Unsere Gemeinschaft steht vor enormen Herausforderungen.“

„Das ist mir bewusst.“ Shiyan bemühte sich, aufrecht zu sitzen. „Ich habe getan, was möglich war.“

„Keine Sorge“, erwiderte Gor Kon. „Ich mache Sie nicht für den Verlust verantwortlich. Ganz im Gegenteil. Sie sind eine fleißige Soldatin.“

„Ich bin Ärztin“, widersprach die Chinesin reflexartig und biss sich auf die Unterlippe.

Das brachte den General tatsächlich zum Schmunzeln. Wie einen Erwachsenen, der ein bockiges Kind darüber aufklärte, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gab. „Sie sind Teil des Militärs, Dr. Chen. Es hat für Ihre Ausbildung gesorgt, Sie unterstützt, Ihnen Nahrung gegeben, als Sie Hunger hatten. Auch wenn Sie noch nie eine Waffe abgefeuert haben, gehören Sie genauso zu uns wie Hauptmann Asimov. Das wird sich nie ändern. Außerdem: In diesem Krieg sind wir alle Soldaten. Notgedrungen!“

Darauf reagierte Shiyan nur mit ratlosem Schweigen.

Gor Kon redete weiter: „Man respektiert Sie in der Kolonie. Sie setzen sich für die anderen Bewohner ein, bringen stetig gute Leistungen auf Ihrem Fachgebiet. Genauso wie es Dr. Sanshu tat. Deshalb ernenne ich Sie zu seiner Nachfolgerin.“

Chen entfuhr ein Ächzen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Und es erst recht nicht gewollt. „Ich bezweifle, dass ich ein geeigneter Verbindungsoffizier bin.“

Der ZS-General schüttelte den Kopf. „Für diesen Posten habe ich sie nicht ausgewählt.“

Shiyan runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht. Was soll ich denn sonst tun?“

„Etwas viel Wichtigeres“, antwortete Gor Kon. „Bevor Sie jedoch Näheres erfahren, muss ich dafür sorgen, dass Sie auch die passenden Berechtigungen erhalten.“ Auf der Schreibtischplatte war ein breites Touchscreenfeld installiert. Darüber bekam der General Zugriff zum Zentralcomputer der Kolonie. Er legte seine rechte Hand darauf und aktivierte es. Ein Hologramm leuchtete über dem Tisch auf. Es zeigte die Dienstakte der Chinesin mitsamt Porträtfoto.

„Computer, Diktiermodus!“, befahl Gor Kon. „Dr. Shiyan Chen. Beförderung zum ZS-Kommandeur erster Ordnung. Geheimhaltungsstufe wird von 0 auf 4 erhöht. Gültig ab jetzt!“ Unter dem Foto der Ärztin erschien in rot leuchtenden Buchstaben die Schrift mit dem aktualisierten Rang. Der General diktierte weiter: „Zugang zu allen Informationen und den Arbeitsstätten von „Projekt Neuer Mensch“ wird erteilt. Aufnahmepause!“ Er stand von seinem Stuhl auf, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte Shiyan durchdringend an. „Sie haben sicher einige Fragen, Dr. Chen. Jetzt kann ich Ihnen die Antworten darauf liefern.“

Die Lippen der Chinesin fühlten sich wie taub an.

„Was ist das für ein Projekt?“, fiel ihr als Einziges ein.

„Dr. Sanshu war nicht der, für den Sie ihn gehalten haben. Und die Heping-Kolonie kein einfacher Truppenstützpunkt. Während die Truppen an der Oberfläche und jenseits der Atmosphäre kämpften, arbeitete Ihr Vorgänger hier unten an einer Möglichkeit, die Bürger der Union widerstandsfähiger zu machen.“

„Ich verstehe nicht“, murmelte Shiyan verwirrt.

Gor Kons Miene verfinsterte sich. „Der Krieg läuft sehr schlecht für die UuS. Unsere Waffen sind veraltet, die Moral der Kämpfer sinkt. Militärisch werden wir scheitern, wenn wir uns auf konventionelle Techniken verlassen. Ich sagte eben ja schon: Wir alle sind Soldaten. Dr. Sanshu wollte dafür sorgen, dass jeder Bürger die Anforderungen erfüllt, um dieser Rolle gerecht zu werden. Sein Ziel war es, im wahrsten Sinne des Wortes, einen neuen Menschen zu erschaffen.“

Chen schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht sein. Dr. Sanshu war Chirurg. Sonst nichts.“

„Er war auch Genetiker“, erklärte der General. „Diese Qualifikation musste er aus nachvollziehbaren Gründen vor Ihnen geheim halten. Anfang des Jahres gelang ihm endlich der Durchbruch. Der Neue Mensch existiert. Leider benötigt er noch ärztliche Unterstützung. In der Art, wie nur Sie, Dr. Chen, sie ihm geben können.“

„Kann ich nicht … ich meine … wie sollte ich …?“

„Dr. Sanshu selbst bat mich, Sie hinzuziehen zu dürfen. Er war sehr angetan von Ihren Fähigkeiten. Mehr noch: Er vertraute Ihnen.“ Gor Kon streckte eine Hand zur Tischplatte aus und deaktivierte das Touchscreenfeld. Das Hologramm mit Shiyans Dienstakte verblasste. „Obwohl Sie als Chirurgin arbeiten, haben Sie in Ihrem Studium genug Qualifikationen erworben, um das Projekt zumindest bis zum Eintreffen anderer ZS-Wissenschaftler zu betreuen, es quasi am Leben zu erhalten.“

Chen wusste, dass sie keine Wahl hatte. Zu fragen, was geschah, wenn sie sich weigerte, war Zeitverschwendung. „Was genau soll ich machen?“

Kapitel 3

Das Labor für das „Projekt Neuer Mensch“ befand sich im zweiten Untergeschoss der Verwaltungskuppel. Bis jetzt hatte Shiyan gar nicht gewusst, dass dieses Stockwerk überhaupt existierte.

General Kon begleitete sie dorthin. Der Zugang war nur über einen Antigravitationsschacht möglich. Der AS war eine schlauchförmige Röhre, in der die Gesetze der Schwerkraft kurzfristig aufgehoben wurden. Menschen konnten darin hoch schweben oder langsam zu Boden sinken.

In jeder Kuppel gab es für die unterschiedlichen Etagen mindestens einen AS. Um sich in ihm kontrolliert fortzubewegen, brauchte es ein Grav-Armband, wie es Chen und alle anderen Einwohner trugen. Darin war auch ein Kommunikator eingebaut, das sogenannte „Komflash“.

Das Labor wurde mit einem Lasergitterrahmen geschützt. Der war so engmaschig eingestellt, dass nicht mal eine Stubenfliege hindurch schlüpfen konnte, ohne von den Lichtstrahlen in kleinste Stücke zerschnitten zu werden. Einzig der im Rahmen integrierte DNS-Scanner deaktivierte sie. Sofern die richtige Person ihre Hand in seine kugelförmige Aushöhlung legte.

General Gor Kon gehörte dazu. So wie Shiyan jetzt auch.

Das Labor an sich war moderner als alles, was sonst auf dem Mars existierte, und funktionierte problemlos.

Beeindruckend!, dachte die Ärztin und fragte sich, wie es möglich war, trotz der Not und all des Mangels in der Kolonie die Technologie hier unten mit genügend Energie zu versorgen.

Oder hatte genau das die Probleme auf der Oberfläche erst verursacht?

„Das ist von nun an Ihr Reich“, erklärte Gor Kon, während er sie durch den circa siebzig Quadratmeter großen, mit unzähligen Decken-Leuchtelementen erhellten Raum führte. „Bis auf Weiteres bleiben Sie hier unten.“

Das ließ Shiyan abrupt stehenbleiben. „Aber was ist mit meinem Dienst? Die Kolonie braucht jeden Arzt.“

Der General stellte sich vor sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Das hier ist wichtiger.“ Er war fast zwei Köpfe größer als sein Gegenüber. Das schien er nun skrupellos zum eigenen Vorteil nutzen zu wollen. „Die da oben sind Kollateralschäden. Dr. Sanshu wusste das eigentlich. Leider konnte er sich nicht von seinem früheren Leben als einfacher Arzt verabschieden. Er wollte allem gerecht werden. Gestern hat er den Preis dafür gezahlt und damit das gefährdet, was unser Überleben sichern soll. Sie sind jünger als er, Dr. Chen. Aber auch nicht unverwundbar. Deshalb bleiben Sie von jetzt an hier unten. Das Labor verfügt über eine Dusch- und WC-Einheit. Eine Schlafpritsche wurde ebenso aufgebaut. Drei Mal pro Tag bringt ein Soldat Ihnen Essen.“

Es brachte nichts, zu widersprechen. Wie zuvor. Dieses Mal jedoch tat es Shiyan trotzdem: „Meine Aufgabe besteht darin, Menschenleben zu retten. Nicht als Wissenschaftler, sondern als Arzt. Sterben Ihre „Kollateralschäden“ dort oben, bedeutet das unser aller Untergang. Erst recht, falls stimmt, was Sie sagen, dass der Krieg für die Union schlecht läuft. Ohne die Menschen an der Oberfläche wird die Heping-Kolonie überrannt. Die Abwehrgeschütze mögen wieder funktionieren. Aber sie bieten keinen hundertprozentigen Schutz. Was ist, wenn ein Landungstrupp der TEH es bis zu uns schafft?“

„Ihre Einwände sind zur Kenntnis genommen“, erwiderte der General ungerührt. „Kommen Sie. Ich möchte Ihnen Ihren neuen und einzigen Patienten zeigen.“

Er ging zu der gegenüberliegenden Wand. Dort waren nicht nur ein Kühlschrank, Geräte wie Gensplicer, Brutbeschleuniger, ein Spektrum-Mikroskop und Genkartographen eingebaut. Chen erkannte auch eine vertikale Stasiskammer. Ihr Plexiglasdeckel war von innen nur leicht beschlagen. Deshalb konnte die Ärztin deutlich die nackte Person erkennen, die darin ruhte. Es war ein Mann. Dem Körperbau nach zu urteilen ein gebürtiger Marsianer. Seine Haut wirkte seltsam glatt, ohne Haare, Leberflecke oder Narben.

Der General deutete auf ihn. „Das ist der Neue Mensch. Alles an ihm ist besser. Er ist stärker, schneller, schwerer verwundbar. Sein Stoffwechsel und das respiratorische System sind so robust und erweitert worden, dass sie sogar die Marsatmosphäre verwerten können.“

„Unglaublich!“, musste Chen fasziniert zugeben. Sie näherte sich der Stasiskammer. „Wie hat Dr. Sanshu das geschafft? Wer ist dieser Mann hier?“

 „Ein Patriot“, antwortete der General. „Ein Freiwilliger, der an die Zukunft glaubt.“

Innerlich zuckte die Ärztin zusammen. Gor Kons Worte waren während der letzten Jahre zu oft für platte Rekrutierungswerbung genutzt worden, als dass sie noch irgendeinen denkenden Menschen überzeugen konnten. Vielleicht war es dieses Mal ausnahmsweise die Wahrheit. Shiyan bezweifelte es. Ihre Faszination verwandelte sich zu Ekel.

„Wie heißt er?“, fragte sie bemüht ruhig.

„Das ist unwichtig.“ Die Stimme des Generals bekam einen harten Unterton. „Für die Dauer Ihres Aufenthalts in diesem Labor bleibt der Neue Mensch bewusstlos. Ihre Aufgabe ist es, ihn stabil zu halten.“

Chen beschloss, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Deshalb brauche ich so viele Informationen wie möglich.“

„Die werden Sie auch bekommen.“ Gor Kon deutete auf die Mitte des Raumes. Dort standen ein Stuhl und ein Schreibtisch mit Touchscreenfeld. „Sie erhalten Zugriff auf Dr. Sanshus Dateien, seine Versuchsprotokolle. Ihre Fragen nach dem Wann, Wie und Warum werden bald beantwortet. Ich habe heute noch anderes zu tun. Falls Sie etwas benötigen, melden Sie sich über Komflash. Sie werden dann direkt mit Hauptmann Asimov verbunden. Ich habe dafür gesorgt, dass er Ihnen ganztägig zur Verfügung steht. Guten Tag, Dr. Chen.“ Er wandte sich zum Ausgang mit dem Lasergitterrahmen und verließ das Labor.

Eine Weile blieb Shiyan wie erstarrt stehen und blickte ihm nach. Dann setzte sie sich an den Schreibtisch und aktivierte den Computer.

Kapitel 4

Es dauerte nicht lange, bis Shiyan Chen die Videodatei mit dem Titel „Willkommensgruß an die Zukunft“ im Speicher entdeckte. Kaum hatte sie sie angewählt, erschien Dr. Sanshus Kopf als Hologramm über der Schreibtischplatte und begann zu sprechen: „Wer immer Sie sind, Sie wurden für würdig befunden, das Projekt weiterzuführen, durch das unsere Spezies endlich die Galaxie bevölkern kann. Ohne Angst, an den Umweltbedingungen eines fremden Planeten oder durch kosmische Strahlung auf dem Weg in eine zukünftige Heimat zugrunde zu gehen. Der Neue Mensch wird stärker sein. Besser. Der Krieg, in dem wir uns befinden, endet irgendwann. Bevor es zu spät ist, erkennen hoffentlich alle Beteiligten, dass wir uns nur zusammen dem Morgen stellen können.“

Shiyan fragte sich, ob der letzte Satz mit den Generälen der „Zashchitnaya Stena“ abgesprochen war. Insbesondere Gor Kon würde protestieren.

„Sollten Sie sich in meinem Labor in der Heping-Kolonie aufhalten“, redete Dr. Sanshus Hologramm weiter, „so besitzen Sie dort alles, was Sie brauchen, um die Arbeit zu vollenden. Im Kühlschrank lagern die Seren, mit denen ich aus einem einfachen Mann ein Wunder der Wissenschaft machte. Was Sie darüber hinaus entdecken, mag Sie schockieren: als Erstes natürlich den nackten, sedierten Marsianer. Seiner Freiheit beraubt, hilflos. Auch andere Gegebenheiten mögen in Ihnen moralische Zweifel hervorrufen. Aber bedenken Sie, dass die erbrachten Opfer nicht umsonst sind. Zeigen Sie Mitgefühl auf gesamtmenschlicher Ebene!“

Chen hörte die Worte aus dem Munde eines Kollegen, den sie respektiert hatte. Jetzt nicht mehr. Sie fühlte sich wütend. Verraten. Unabhängig davon, was er hatte erreichen wollen, war Dr. Sanshu über eine Grenze getreten, die kein Arzt überschreiten durfte. General Kons Beschreibung der Testperson als „Freiwilliger“ war also ebenso gelogen.

Shiyan war versucht, die Hologramm-Wiedergabe zu beenden. Sie ließ es. Je mehr sie über „Projekt Neuer Mensch“ erfuhr, desto besser konnte sie den besinnungslosen Mann in der Stasiskammer beschützen. Zumindest solange sie allein für ihn verantwortlich war.

Trotz all der Not auf der Marsoberfläche hoffte Chen, dass sobald keine ZS-Verstärkung kam. Auch wenn sich das absurd anhören musste.

Während der nächsten Minuten erklärte Dr. Sanshus Hologramm seine Vorgehensweise bei dem Neuen Menschen. Schritt für Schritt. Die Wissenschaftlerin Dr. Shiyan Chen nahm das Gehörte nüchtern zur Kenntnis. Die Humanistin in ihr dagegen verurteilte es und verfluchte ihren Kollegen.

Kapitel 5

 

Überall waren Optik-Sensoren. In der Decke, den Wänden, zwischen den Geräten. Shiyan erkannte die knopfgroßen, gläsernen Kügelchen für die Video-Überwachung problemlos. Schließlich gab es sie in jeder ZS-Militäreinrichtung. Allerdings nicht in der Menge wie hier unten.

Allein die Nische im hinteren Bereich des Labors, in der sich die Dusch- und WC-Einheit befand, blieb unbeobachtet. Direkt daneben hatte man die Schlafpritsche aufgebaut.

Audio-Sensoren, die sogenannten „Zhuk“ schienen nicht zu existieren. So unauffällig wie möglich durchsuchte Chen den Raum nach den ihr ebenso bekannten, daumennagelgroßen, rundlichen Plättchen. Welcher Soldat auch immer sie überwachte, er durfte nur sehen, nicht hören, was sie tat. Das brachte ihr eine gewisse Freiheit ein. Für den Fall, dass sie mehr tun wollte, als nur den besinnungslosen Marsianer zu beschützen. Ihre Motivation zum Aufruhr wuchs jedenfalls.

Dr. Sanshus Hologramm hatte nicht zu viel versprochen, was die Ausstattung des Labors anging. Die Stasiskammer alleine war schon ein technologisches Wunderwerk. Mit den unterschiedlichsten Sensoren, Injektionskanülen und sogar Robotik-Armen für chirurgische Eingriffe ausgestattet. Vom Blutdruck bis hin zur Zellteilung des „Insassen“ konnte man alles überwachen und korrigieren, sollte es nötig werden. Nicht mal der Deckel musste dafür geöffnet werden. Wäre eine solche Kammer den übrigen Kolonie-Ärzten zur Verfügung gestellt worden, hätten viele Leben gerettet werden können. Einschließlich dem von Dr. Sanshu. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrte.

Die Seren für den Neuen Mensch waren komplett vorhanden. Genauso wie die Ingredienzien, mit denen sie hergestellt worden waren.

Shiyan untersuchte mehrere davon unter dem Spektrum-Mikroskop. Sie staunte über die offensichtliche Genialität ihres verstorbenen Kollegen. Gleichzeitig war ihr bewusst, wie sehr er die Gesetze von Natur und Moral verletzt hatte. Gentherapien am Homo sapiens wurden bereits seit fünfzig Jahren vorgenommen. Besonders um Erbkrankheiten auszumerzen und jedem die Chance zu geben, ein gesundes und glückliches Leben zu führen. Was Dr. Sanshu mit seinem Projekt nun tat, war, etwas zu erschaffen, das die Evolution nie hervorgebracht hätte. Die Person in der Stasiskammer galt, wenn man allein ihre DNS betrachtete, technisch gesehen noch nicht mal mehr als Mensch. Und sie hatte nicht darum gebeten, so zu werden.

Irgendwann im Laufe des Tages kam Hauptmann Asimov mit einem Tablett herein.

„Mittagessen, Doktor!“, verkündete er und stellte es auf den Schreibtisch. „Guten Appetit.“

„Danke“, murmelte Chen, wandte sich vom Mikroskop ab und kam auf den Soldaten zu. In seinem Gesicht meinte sie, einen Ausdruck von Neugier zu sehen. Zweifellos hatte er die Zugangsberechtigung für das Labor, sonst wäre er nicht durch den Lasergitterrahmen gekommen. Wie viel wusste er? Hatte er bereits Dr. Sanshu zur Verfügung gestanden und womöglich selbst den armen Marsianer angeschleppt, damit an diesem Experimente gemacht werden konnten?

Shiyan beschloss, es herauszufinden. „Wie lange sind Sie schon für den Bereich hier unten tätig, Hauptmann?“

Das war Asimov sichtlich unangenehm. Der Mann, dem extrem stämmigen, gedrungenen Körperbau nach zu urteilen in einer Umgebung mit erhöhter Gravitation aufgewachsen, wirkte nicht mehr wie der unerschütterliche Soldat, der er sonst war. Eher wie ein verunsicherter Teenager. Er öffnete den Mund, um zögerlich zu erwidern: „Ich bin mit dem Projekt an sich nicht vertraut, Doktor. Meine Aufgaben beschränken sich auf rein körperliche Tätigkeiten. Botengänge zum Beispiel. Wünschen Sie etwas?“

Eine klare Antwort auf meine Frage!, dachte Chen und sagte: „Nein. Ich möchte nur einordnen, inwieweit der vorige Wissenschaftler in diesem Labor auf ihre Mithilfe gezählt hat.“

„Darüber darf ich nicht sprechen!“, kommentierte Asimov und flüchtete sich hinter seine stoisch soldatische Fassade. „Wäre das alles?“

„Ja.“ Shiyan hob demonstrativ das rechte Handgelenk mit dem Grav-Armband. „Ich weiß ja, wie ich Sie erreichen kann.“

Asimov nickte bloß und verließ das Labor.

Die Ärztin setzte sich an den Schreibtisch und betrachtete das Tablett. Ein Suppenteller stand darauf. Gefüllt mit einer großen Portion Sojanudeln, mehr als jeder andere Kolonie-Bewohner momentan erhielt. Vielleicht war das ihr „Weihnachtsgeschenk“, was sie tatsächlich schmunzeln ließ.

Dazu bekam sie eine Literflasche mit gefiltertem Wasser sowie Messer und Gabel. Chen nahm das Besteck und aß. Dabei wanderte ihr Blick immer wieder zur Stasiskammer.

Kapitel 6

Laut der Kammersensoren befand sich der Neue Mensch in einer Art permanenten REM-Schlafes. Seine Augen unter den geschlossenen Lidern bewegten sich konstant. Was träumte er? Verarbeitete sein Gehirn die Veränderungen, die Dr. Sanshus Seren ihm aufgezwungen hatten? Dachte er? Wusste er, was man ihm angetan hatte?

Seine Lebenszeichen waren jedenfalls stabil.

Chen musste nichts tun. Außer sich zu fragen, wie es für sie und ihren Patienten nun weiterging. Als frisch beförderter Kommandeur erster Ordnung mitsamt Geheimhaltungsstufe 4 landete sie sofort vor einem Kriegsgericht, falls sie sich den Befehlen von General Kon widersetzte. Der Neue Mensch sollte bewusstlos bleiben! Die Optik-Sensoren – und wahrscheinlich auch das Feedback der Labormaschinen – würden den überwachenden Soldaten verraten, sobald Shiyan etwas daran änderte. Zumal es bei der Stasiskammer nicht einfach einen Aus-Knopf gab. Es bedurfte mehrerer Handlungsschritte, um die Tiefschlafphase der darin liegenden Person zu beenden. Als Erstes musste ihr Stoffwechsel stimuliert werden. Genauso wie die Gehirnaktivität. Dann folgte die Flüssigkeitszufuhr und, und, und …

Blieb eine nüchterne Erkenntnis: Den Marsianer unbemerkt aufwecken, ihn aus seinem Gefängnis befreien, das war so gut wie unmöglich.

Es sei denn, die Energieversorgung des Labors war in irgendeiner Weise störungsanfällig. Nicht so sehr wie die beim Rest der Kolonie. Hier unten gab es sicherlich mindestens einen Hilfsgenerator. Ansonsten wären die vergangenen Wochen nicht so spurlos an den Geräten vorüber gegangen. Erst recht nicht an der Lebenserhaltung für die Stasiskammer. Auch der Neue Mensch brauchte noch eine Atmosphäre und Nährstoffe.

Aber kein System war perfekt. Und Chen hatte mittlerweile genug Erfahrungen gesammelt, um gewisse Sollbruchstellen zu entdecken. Sie beschloss, sich unauffällig auf die Suche danach zu machen.

Sie fragte den Computer nach dem Prozentsatz der Sauerstoffeinspeisung in die Stasiskammer. Als Grund gab sie Toleranzschwankungen im Blutbild des Neuen Menschen an. Sollte einer der Soldaten ihre Anmerkungen mit all den Fachwörtern lesen, würde er sich hoffentlich gelangweilt abwenden. Dann wollte sie das Verhältnis in Bezug auf die Laborbelüftung wissen. Auch nach der Maximalleistung des Kühlschranks und dem Energieverbrauch der Decken-Leuchtelemente erkundigte sie sich. Schlussendlich forderte sie eine Liste eingelagerter Chemikalien an. Jede Anfrage benötigte für das Protokoll einen Eingabegrund. Chen gab „Stabilisierung“, „Stoffwechsel“, „Projekterhalt und -sicherung“ und noch ein paar andere, ähnliche Begriffe ein. Sie bezweifelte, dass diese einer fachlichen Prüfung standhielten, falls es zu einer Untersuchung kommen sollte. Was sie nicht hoffte.

Aber da sie im Moment die einzige qualifizierte Person in der Kolonie zu sein schien, der man „Projekt Neuer Mensch“ anvertrauen konnte, riskierte sie es. Und wurde belohnt.

Was fing sie nun mit diesem Wissen an? Wie viel Mut steckte in ihr?

Angenommen, sie legte die Überwachungssensoren lahm und weckte den Marsianer aus der Stasis, was geschah dann? Die Verwaltungskuppel wimmelte vor bewaffneten Soldaten. Wo sollte sie den Mann hinbringen? Jenseits der Koloniegebäude gab es nur Wüste. Selbst wenn der Neue Mensch bereits fähig war, in der Marsatmosphäre zu atmen, die Distanz zur nächsten Kolonie, egal ob von der UuS oder der TEH, betrug mehr als zweihundert Kilometer. Der Trümmerregen der letzten Monate hatte so gut wie alle Fahrzeuge zerstört. Die wenigen, noch funktionierenden Rover wurden streng bewacht. An einen Diebstahl war nicht zu denken.

Die größte Unsicherheit war jedoch eine ganz andere. Sie betraf das Verhalten des Neuen Menschen an sich. Nicht nur schießwütige Soldaten konnten ein Problem darstellen. Laut Dr. Sanshus Hologramm besaß der genetisch veränderte Marsianer ein, wie er es ausdrückte: „raubtierähnliches Verhaltensrepertoire. Um in einer feindlichen Umgebung überleben zu können, müssen wir jegliche Gefahr für unsere Existenz vernichten. Das bedeutet nicht, sinnlose Kriege untereinander zu führen. Wir alle gehören derselben Spezies an. Ein fremdes Ökosystem, so spärlich es auch ausgebildet sein mag, bietet nicht automatisch Platz für uns. Deshalb ist es wichtig, sich in diesem zu behaupten. Und, wenn nötig, die Lebensform zu verdrängen, die die gleiche ökologische Nische einnimmt wie wir. Bedauerlicherweise lässt sich die Effizienz des Raubtier-Verhaltens erst überprüfen, sobald der Neue Mensch erwacht ist und mit seiner Umwelt interagiert. Auch die Frage, ob er uns ursprüngliche Homo sapiens als artfremd – und damit als Bedrohung – einstuft, kann nicht auf theoretischem Wege beantwortet werden. Ausführliche Versuche müssen folgen. Es wird empfohlen, das beteiligte Personal mit Schutzkleidung zu versehen. Körperlich dürfte der Neue Mensch jeder Person überlegen sein.“

Den Marsianer zu befreien hieß, Kolonie-Bewohner in Gefahr zu bringen. Shiyan Chen hatte den hippokratischen Eid abgelegt. Besonders ein Satz daraus machte ihr zu schaffen: Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil, ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht.

Dem Marsianer war zweifellos Unrecht zugefügt worden. Um ihn vor weiterem zu beschützen, müsste sie ihn freilassen. Und würde dadurch das Leben aller riskieren, denen er begegnete.

Eine widersprüchliche Ausgangslage in einer Zeit voller Chaos, Leid und Tod. Shiyan blieb regungslos am Schreibtisch sitzen und verlor sich in Grübeleien.

Die Entscheidung, was zu tun war, wurde ihr schließlich abgenommen. Von jemandem, mit dem sie nicht gerechnet hatte.

Kapitel 7

 

Hauptmann Asimov stürmte in das Labor und rannte auf Chen zu.

Ruckartig stand sie vom Schreibtisch auf. Die Miene des Soldaten verriet nackte Angst, aber auch Entschlossenheit.

Er hatte die Ärztin gerade erreicht, da schalteten sich sämtliche Decken-Leuchtelemente aus. Tiefste Finsternis breitete sich aus. Begleitet von einem allzu bekannten Geräusch, das nicht nur die Ohren folterte, sondern sogar die gesamte Umgebung zum Vibrieren brachte. Es war der Bombenalarm und das Knallen mehrerer Explosionen, die jenseits des Labors stattfanden.

Shiyan spürte die Hände des Soldaten auf ihrem Rücken, seinen warmen Atem im Gesicht, als er brüllte: „Wir wollen beide dasselbe. Also verhalten sie sich ruhig!“

Den Gefallen tat sie ihm nicht, sondern wich zurück und stieß mit der linken Hüfte gegen den Schreibtisch. Stechender Schmerz war die Belohnung dafür. Die Notbeleuchtung schaltete sich ein und vertrieb mit ihrem rötlichen Glimmen die Dunkelheit. Auch der Alarm verstummte.

Chen und Asimov trennten nur wenige Zentimeter.

„Was passiert hier?“, keuchte sie. „Sind die Abwehrgeschütze wieder …?“

„Nein“, widersprach der ZS-Hauptmann. „Dieser Angriff kommt von innen.“

„Ich verstehe nicht.“

„Ich habe die Optik-Sensoren ausgeschaltet, die Energieversorgung manipuliert und genug Sprengsätze gelegt, um General Kon für die nächsten Stunden zu beschäftigen. Wir haben Zeit, aber nicht mehr viel.“ Asimov ging zur Stasiskammer und schlug mit der rechten Faust dagegen. „Xenius Willof muss frei sein!“

„Was …? Wer …?“

„Die Schande darf nicht länger verborgen sein. Holen Sie ihn heraus! Ich weiß, dass Sie das vorhaben.“

Shiyan stutzte. „Wie kommen Sie darauf?“

„Ihre Suchanfragen an den Computer“, antwortete der Hauptmann. „Ich habe sie gelesen. Und gelöscht, damit uns niemand auf die Schliche kommt.“

„Ich wollte nie …“

„Lügen Sie mich nicht an!“, brüllte der Mann verzweifelt. „Sie sind ein besserer Mensch als Dr. Sanshu. Ich habe gesehen, wie Sie um das Leben meiner Kameraden gekämpft haben. Ihren Einsatz für unser Wohlergehen.“ Er deutete auf den Marsianer in der Stasiskammer. „Jetzt braucht Xenius Sie!“

Chen schickte einen kurzen Blick zu einem der unzähligen Optik-Sensoren in der Decke. Hoffentlich hatte der Hauptmann sie tatsächlich deaktiviert.

„So einfach ist das nicht!“, erklärte sie.

„Das weiß ich. Deshalb brauche ich ja auch Sie! Ihre Fähigkeiten.“ Er trommelte sich auf die Brust, wie ein Gorilla. „Schließlich habe ich dafür gesorgt, dass Sie in diese Position gelangen. Sie können mir glauben, Dr. Sanshus Tod nicht wie einen Mord aussehen zu lassen, war schwer.“

Shiyans Hals zog sich zu. Sie dachte an den vorigen Tag, den Kampf um Sanshus Leben. Sein Herz, das sie nicht wieder zum Schlagen hatte bringen können. Weil es von jemand anderem zum Stillstand gebracht worden war.

„Ich bin nicht stolz auf diese Tat!“, schien Asimov den Drang zu verspüren, sich zu rechtfertigen. „Aber das größte Verbrechen in der Heping-Kolonie wurde an Xenius Willof verübt. Um es wieder gutzumachen, ist mir jedes Mittel recht.“

Chen machte sich keine Illusionen. Sollte der Hauptmann denken, dass sie ihm in den Rücken fiel, wäre sie genauso tot wie Dr. Sanshu. „Wer ist dieser Mann denn für Sie?“

Das brachte Asimov dazu, ruhiger zu werden. Trauriger. „Er war … der beste Freund, den ich je hatte. Fleißig, bescheiden. Man konnte mit ihm lachen, saufen, reden. Wenn man Probleme hatte, wusste er eine Lösung. Er war einer der zivilen Einwohner der Heping-Kolonie. Als unsere Einheit hier eintraf, gehörte er zu den Wenigen, die uns willkommen hießen. Er versprach mir sogar, dass wir zusammen Weihnachten feiern. Abseits von all dem Krieg. Er wollte mir das traditionelle Essen seiner Familie kochen. Obwohl er selbst kaum genug zu beißen hatte.“ Wut mischte sich in Asimovs Stimme. „Dann wurde Dr. Sanshu auf ihn aufmerksam. Xenius war Wasserstoff-Farmer. Seine Felder liegen in der Nähe des Valles Marineris, östlich der Tharsis-Region. Fünfzehn Jahre lang hat er dort geschuftet. Dabei war er allen möglichen Umwelteinflüssen ausgesetzt: Strahlung, bestimmten Erzen. Das machte ihn für Sanshu sehr interessant. Zu Beginn unserer Stationierung nahm man auf seinen Befehl hin von jedem Bewohner Blut- und Gewebeproben.“

„Ich weiß“, murmelte Shiyan Chen. „Um im Notfall schneller die Individualmedikamente anpassen zu können und Kandidaten für eine Blutspende zu finden. Diese Maßnahme hat vielen das Leben gerettet.“

Asimov machte eine wegwischende Geste. „Dr. Sanshu hat es aber aus einem anderen Grund gemacht. Er brauchte einen Katalog mit geeigneten Testpersonen für sein Projekt. Xenius passte als Einziger. Ich war nicht der Erste, der Sanshu zugeteilt wurde. Mein Vorgänger war Hauptmann Silk. Ein echtes Arschloch. Er entführte Xenius Willof und brachte ihn in das Labor. Ich wusste nichts davon, dachte, Xenius hätte zusammen mit den anderen Zivilisten den Planeten verlassen. Dann starb Silk beim Trümmerregen. Ich wurde sein Nachfolger. Da sah ich meinen Freund wieder. Er lag wie tot in der Stasiskammer. Sein Aussehen hatte sich verändert. Aber es war ganz klar Xenius. Dr. Sanshu wusste nicht, dass wir uns kannten. Er protzte nur, „was für eine tolle Vorlage dieser einfache Marsianer doch ist“. Als ob es um einen bloßen Haufen Fleisch ging. Nicht um einen Menschen. Ich wollte Xenius retten.“ Asimov schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich war nur zu dumm dafür. Ich brauchte jemanden mit Ahnung. So wie Sie, Dr. Chen. Ich wusste, dass der Bastard Sanshu große Stücke auf Sie hielt. Wie oft er über Sie geredet hat, wenn …“ Der Hauptmann spuckte auf den Boden. „Ich ahnte, dass er Sie als Nachfolgerin ansah, falls ihm etwas geschah. Ich hoffte es und behielt Recht.“ Asimov legte seine riesigen Hände zu einer bittenden Geste zusammen. „Sie sind ein guter Mensch, Dr. Chen. Bitte befreien Sie Xenius!“

Wie soll ich Ihnen erklären, dass Ihr Freund vielleicht eine Gefahr für uns alle ist, dachte Shiyan verzweifelt.

Asimov machte es ihr noch schwerer, als er in seine rechte Hosentasche griff und eine Schallimpuls-Pistole herauszog und sie auf die Ärztin richtete. „Sie werden ihn jetzt aufwecken!“

Chen wusste, dass die Waffe gebündelte Schallwellen verschoss. Damit konnte man Menschen leicht betäuben, aber auch töten.

Welche Einstellung Asimov gewählt hatte, ließ sich nicht erkennen.

Im dämmrigen Rotlicht der Notbeleuchtung zu sehen war dagegen General Gor Kon, der durch den ausgeschalteten Lasergitterrahmen ging. Von hinten schlich er sich an den Hauptmann heran. Dabei hielt er ein Schallimpuls-Gewehr im Anschlag.

Chen versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Sie scheiterte.

Asimov drehte sich um, feuerte. Und die eigentliche Katastrophe folgte.

Kapitel 8

Gor Kon wurde in die Brust getroffen. Asimovs Pistole war offensichtlich auf „Töten“ gestellt, denn der General spuckte Blut, kaum dass die Schallimpulse seine Rippen erreichten und diese eindrückten. Dennoch erwiderte er reflexartig das Feuer, verfehlte jedoch seinen Gegner.

Shiyan warf sich flach auf den Boden. Irgendwo hinter ihr ertönte ein lautes Krachen, vermischt mit einem Zischen. Der Impuls aus Gor Kons Waffe hatte eines der Laborgeräte getroffen.

Der General sank auf die Knie. Seine Hände besaßen nicht mehr genug Kraft, um das Gewehr festzuhalten. Es rutschte ihm aus den Fingern.

Hauptmann Asimov ging auf ihn zu und richtete seine Schallimpuls-Pistole auf die Stirn des Vorgesetzten.

Er wollte ihn hinrichten, wie Chen angewidert begriff. Als ob es in den letzten Monaten nicht genug Tote gegeben hatte.

Die gleiche Entschlossenheit, mit der sie stets versuchte, zwei sich prügelnde Soldaten voneinander zu trennen, ließ sie auch jetzt aufstehen und auf Asimov zu stürmen. Der bemerkte sie nicht, was ihr die Möglichkeit gab, ihm einen Tritt gegen die rechte Hand mit der Waffe zu geben. Ein Schuss löste sich daraus und verfehlte das ursprüngliche Ziel um wenige Zentimeter.

Shiyan hatte während der Grundausbildung Selbstverteidigungskurse absolviert. Leider fehlte ihr für diese Art von Kampf jegliches Talent. Was ihr zum Verhängnis zu werden drohte. Zwar gelang es ihr, Asimov von der Tötung des Generals abzubringen. Entwaffnen konnte sie ihn nicht.

Stattdessen richtete der Hauptmann seine Pistole nun auf sie. „Du verdammtes Miststück! Ich …!“ Er verstummte und starrte ungläubig an der Ärztin vorbei zur Wand hinter ihr. „Oh … Gott, Xenius!“

Obwohl sie Todesangst hatte, folgte Chen seinem Blick. Und sah den Neuen Menschen, wie er den Deckel der Stasiskammer öffnete, indem er ihn mit bloßen Händen aus der Halterung riss. Der Schallimpuls aus Gor Kons Gewehr war darin eingeschlagen und hatte so die Schlafphase unterbrochen. An sich unmöglich, wenn man bedachte, wie viele Schritte dafür eingeleitet werden mussten. Und doch beängstigende Realität.

Der genetisch veränderte Xenius Willof stieg aus der Kammer. Er schaute sich um, musterte mit fragendem Gesichtsausdruck Asimov und Chen. Er schien weder zu wissen, wo noch wer er war.

„Xenius?“, fragte der Hauptmann sanft und ließ die Pistole sinken. „Du bist frei. Lass uns abhauen!“ Er ging langsam auf seinen Freund zu.

Shiyan dagegen wandte sich General Gor Kon zu. Mittlerweile lag er auf dem Boden. Aus seinem Mund sickerte beständig Blut. Er hatte schwere innere Verletzungen, so viel konnte die Ärztin bereits erkennen.

„Erschießen Sie …“, keuchte er ihr zu. „Beide …!“ Er versuchte, sein Gewehr zu greifen. Es lag nur wenige Zentimeter entfernt. Zu weit für ihn. Er gab noch einen blubbernden Laut von sich. Und starb.

Chen blickte zu den anderen Anwesenden.

Asimov stand mittlerweile direkt vor Willof. „Xeni? Du bist wieder da.“

Der Neue Mensch musterte ihn ausführlich. Sein Gesicht, den Oberkörper, die Arme. Und die Pistole in der rechten Hand, was die Kreatur mit einem wütenden Knurren kommentierte.

„Xeni, bitte! Es ist Weihnachten. Du wolltest mir doch …!“ Asimovs restliche Worte verwandelten sich zu einem heiseren Keuchen. Denn sein Gegenüber packte ihn am Hals und drückte zu. Knackend zerbrach der Kehlkopf des Hauptmanns. Er ließ die Waffe fallen und starb.

Die Kreatur, die einmal ein harmloser Wasserstoff-Farmer gewesen war, trat mit ihrem linken Fuß auf die Pistole. Sie zerplatzte wie ein rohes Ei, kleine Trümmerteile breiteten sich auf dem Boden aus.

Der Neue Mensch entließ Asimovs Leichnam aus seinem Griff. Er öffnete den Mund, um einen Brülllaut von sich zu geben, durchsetzt mit Zorn, Schmerzen und einer Aggressivität, zu der kein normaler Mann fähig war.

Shiyan dachte an das, was Dr. Sanshus Hologramm über das Verhalten des Neuen Menschen erzählt hatte. Der Marsianer Xenius Willof existierte nicht mehr. Es gab nur noch ein gentechnisch erschaffenes Monster, das sie nicht aus diesem Labor entkommen lassen durfte.

Sofern es sie nicht vorher abschlachtete.

Kapitel 9

Die Kreatur stieg über Asimovs Leiche, streckte die Arme nach Chen aus und lief auf sie zu.

Sie wich zurück, entdeckte zu ihrer Linken Gor Kons Gewehr auf dem Boden, hob es auf und richtete den Lauf auf den Neuen Menschen.

Laut Dr. Sanshus Ausführungen war er schwerer zu verletzen als eine normale Person. Aber nicht unverwundbar. Shiyan brauchte nur noch den bogenförmigen Abzug zu betätigen.

Sie konnte nicht.

Ihre Hemmung, ein Leben zu nehmen, war größer, als die Gefahr, in der sie sich befand.

Ich werde hier unten sterben!, dachte sie verzweifelt, verdammte sich für die eigene Unfähigkeit. Sie ließ das Gewehr sinken.

Und die Kreatur blieb stehen. Die Aggressivität in ihrem Blick wurde weniger.

Shiyan brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann warf sie demonstrativ die Waffe weg.

Der Neue Mensch gab ein stöhnendes Geräusch von sich und nahm die ausgestreckten Arme herunter.

Pure Erleichterung durchflutete Chen. Sie war nicht mehr bewaffnet, stellte also für ihn keine akute Bedrohung dar. Solange sie sich friedlich verhielt.

„Ich will dir nichts tun“, sagte sie zur Sicherheit. Obwohl ihr bewusst war, dass sie gerade log. Die Kreatur durfte das Labor nicht verlassen. So ruhig wie möglich schaute sich Shiyan um. Der Lasergitterrahmen am Eingang – und damit das einzige Hindernis zwischen dem Neuen Menschen und dem Rest der Kolonie – war deaktiviert. Vermutlich durch Asimovs Sprengladungen. Was sollte ihn jetzt noch aufhalten?

„Verstehst du mich?“, fragte die Ärztin ratlos.

Ihr Gegenüber hielt irritiert den Kopf schief.

„Du bist Xenius Willof, erinnerst du dich?“ Shiyan schindete Zeit. Vielleicht kamen irgendwann ein paar Soldaten, um nach dem General zu sehen.

„Iiichhh“, quälte sich auf einmal ein Wort aus dem Mund des Wesens. „Iiich biiin …!“ Bebende Wut mischte sich in seine Stimme: „Ssssansssshuu ….!“

Es ballte die Fäuste.

Chen wich vor ihm zurück.

Aber nicht auf sie ging der Neue Mensch los. Sondern auf den Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Brüllend schlug er auf ihn ein, zertrümmerte die Tischplatte. Elektrische Funken sprühten. Als Nächstes wandte er sich dem Kühlschrank zu und wurde noch zorniger. Offensichtlich wusste er, was sich hinter der Schranktür befand: Die Seren, die ihn verändert hatten.

Es brauchte nur ein paar Faustschläge. Dann hatte der frühere Xenius Willof aus dem Gerät einen funktionslosen Haufen Schrott gemacht. Genauso zerstörte er den Gensplicer, das Spektrum-Mikroskop und die restliche Einrichtung.

Shiyan beachtete er überhaupt nicht mehr. Sie hätte weglaufen können.

Sie entschied sich dagegen. Die Kreatur lebte gerade ihren Hass auf das aus, was man ihr angetan hatte. Sie verhielt sich nachvollziehbar. Menschlich. Genauso wie die Soldaten der Kolonie, wenn sie aufeinander losgingen, weil all die Angst und Wut in ihnen übermächtig wurden.

Dr. Sanshu hatte keinen besseren Menschen erschaffen.

Bloß einen gefährlicheren.

Chen hob das Schallimpuls-Gewehr wieder auf. Dieses Mal würde sie schießen. Selbst wenn es sie nicht das Leben kostete, die Schuldgefühle, einen Unschuldigen wie Xenius Willof getötet zu haben, würden sie für immer quälen.

Sie zielte auf das Wesen und drückte ab. Die Impuls-Ladung traf es in den Rücken und ließ dort die Haut einreißen. Blut quoll daraus hervor.

Vor Wut bebend drehte sich der Neue Mensch zu Shiyan um. Sie schoss erneut, dieses Mal auf seine Brust. Eine weitere Wunde entstand.

„Es tut mir leid!“, hörte sich Chen wimmern und feuerte die dritte Ladung ab.

Die Kreatur wurde im Bauchraum getroffen, schwankte, blieb stehen.

Shiyan erkannte, dass sie nur noch einmal den Abzug betätigen musste, dann war die verabscheuungswürdige Aufgabe erledigt. Sie hob den Gewehrlauf, zielte auf den Kopf des Neuen Menschen. Er blickte sie direkt an.

In seinen Augen sah sie keine Wut mehr oder Angst. Nur grenzenlose Erschöpfung. Er öffnete langsam den Mund und sagte: „Iiich … will … naach … Hause!“

Die Worte trafen Chen direkt ins Herz. „Ich kann dich nicht gehen lassen.“

Die Kreatur erstarrte für einen Moment. Und nickte schließlich verstehend.

Shiyans Sicht verschlechterte sich. Weil Tränen ihr die Augen überfluteten. Etwas in ihrer Brust verkrampfte sich. Xenius Willof sprach zu ihr. Nicht das von Sanshu erschaffene Monster, das sie in ihm gesehen hatte. Der marsianische Wasserstoff-Farmer hatte ein letztes Mal die Herrschaft über seinen Körper zurückerhalten. Er breitete die Arme aus.

Chen schoss. Das Wesen starb.

Minutenlang betrachtete die Ärztin abwechselnd seinen Leichnam, den von Asimov und Gor Kon. Sie fühlte sich innerlich taub. Eingefroren in diesem Albtraum, der kein Ende nahm.

Sobald jemand hier herunterkam, würde sie festgenommen werden. Als dreifache Mörderin. Was wirklich geschehen war, wen interessierte es? Tatortermittler gab es in der Kolonie nicht, der ranghöchste General zählte zu den Opfern. Man würde Shiyan lynchen.

Dann ist das eben so!, dachte sie müde.

Ein Brummen erklang. Es waberte durch die Luft, wuchs zu einem Grollen heran. Es kam aus Richtung des zerstörten Brutbeschleunigers. Chen wollte sich umdrehen. Da explodierte das Gerät bereits, schickte eine Druckwelle durch das Labor, die die Ärztin erfasste und ihr das Bewusstsein raubte.

Kapitel 10

Shiyan Chen spürte die Matratze des vollautomatisierten Sani-Bettes unter sich, roch gefilterte, kühle Luft und wusste, dass sie nicht mehr in der Heping-Kolonie war. Dort gab es nach all den Monaten nur noch provisorische Krankenpritschen und Gestank.

Mühsam öffnete sie die Augen. Sie musterte die Zimmerdecke, eine Ansammlung von Rohren, Leuchtelementen und Optik-Sensoren. Die übrigen Wände bestanden aus Transparent-Metall. Chen begriff, dass sie an Bord eines Raumschiffes war. Vermutlich eines Krankentransports.

Am Fußende ihres Bettes erblickte sie eine asiatische Frau mit kurzgeschnittenen, schwarzen Haaren. Sie war mit der dunkelblauen Uniform der „Chernaya molniya“ bekleidet, der berüchtigten ZS-Geheimpolizei. Ihre Rangabzeichen wiesen sie als Leutnant aus. Sie musterte Shiyan mit nüchtern analytischem Blick und sagte: „Es freut mich, dass Sie endlich aufgewacht sind, Dr. Chen. Ich benötige ein paar Informationen.“

„Wie bin ich hierher gekommen?“, fragte die Ärztin mit rauer Stimme. Ihr Hals brannte wie Feuer.

„Man hat Sie vor sieben Standardtagen während einer sektorweiten Feuerpause aus der Heping-Kolonie evakuiert. Sie haben eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. Zudem wurde Ihr Atemapparat durch diverse giftige Gase in Mitleidenschaft gezogen. Ihr Zustand war zeitweise äußerst kritisch, weshalb man es vorzog, Sie in ein künstliches Koma zu versetzen, aus dem man Sie erst heute aufgeweckt hat.“ Die andere Frau machte eine leichte Verbeugung. „Ich bin Leutnant Hao Ban von der CH. Ich ermittle bezüglich der Ereignisse, die zu der Zerstörung von „Projekt Neuer Mensch“ geführt haben. Da wir Sie in dem dafür vorgesehenen Labor aufgefunden haben und Sie laut Datenbank gerade erst zur überwachenden Fachkraft befördert worden sind, hoffe ich, dass Sie mir weiterhelfen können.“

Chen konnte gar nicht krank genug sein, um zu vergessen, was geschehen war. Geschweige denn die eigenen Taten. Die jetzt dieser Frau preiszugeben, grenzte an Selbstmord. Nach der Tötung von Xenius Willof hatte sich Shiyan im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde gefühlt. Nun nicht mehr.

„Ich … weiß nicht genau …“, murmelte sie. „Da waren … Explosionen …“

„Ja. Soweit ich rekonstruieren konnte, wurden Sprengladungen gelegt. Von einem fachkundigen Soldaten. Sie vernichteten die Hauptenergieversorgung für das Labor und sorgten für einen kompletten Ausfall der Video-Überwachung.“ Leutnant Ban verschränkte die Arme vor der Brust. „Deshalb ist es entscheidend, dass Sie mir von den Geschehnissen berichten. Die Leichen von General Kon und Hauptmann Asimov wurden geborgen. Sie weisen leider zu viele Gewebeschäden auf, als dass ich ermitteln kann, was zum Tod dieser Soldaten geführt hat. Bitte erzählen Sie mir, was ist geschehen?“

Leutnant Ban bedachte Chen mit einem durchdringenden Blick.

Die fragte sich, ob die ZS-Geheimpolizistin wirklich nicht wusste, was vorgefallen war. Gut möglich, dass sie sich nur ahnungslos gab. Damit sie ihre Gesprächspartnerin ins offene Messer laufen lassen konnte.

„Es war Hauptmann Asimov“, begann Shiyan zu berichten und hangelte sich an den Fakten entlang, die sie nicht belasteten. „Er hat die Sprengladungen gelegt.“

„Woher wissen Sie das?“

„Er hat es mir gesagt, als er ins Labor kam. Kurz bevor die Energieversorgung ausfiel.“

„Und Sie haben ihm das geglaubt?“, bohrte Ban nach.

Chen schluckte laut. „Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.“

Die ZS-Geheimpolizistin nickte leicht. „In der Tat besaß Hauptmann Asimov die Qualifikation, mit Sprengstoff zu hantieren. Nur warum hat er es getan?“

Auch da gefährdete die Wahrheit Shiyan nicht. „Er wollte die Testperson aus der Stasiskammer befreien. Er kannte sie aus einer Zeit, bevor Dr. Sanshu sie … behandelt hat. Er glaubte, dass man ihr Unrecht angetan hat.“

„Wie sehen Sie das, Dr. Chen?“

Das war eine verbale Galgenschlinge. Shiyan wusste, dass Geheimpolizisten im Deuten von Mikroexpressionen geschult wurden, flüchtigen Gesichtsausdrücken, die man nur schwerlich unterdrücken konnte. Eine Frage wie diese kam einem Test mit dem Lügendetektor gleich. Der Ärztin blieb nur die ehrliche Antwort übrig: „Ich denke, Dr. Sanshu hat einen Fehler gemacht und all das verraten, was ein Mediziner und Wissenschaftler in Ehren halten sollte!“

„Hat er dafür den Tod verdient?“, warf Ban die nächste Schlinge aus.

Shiyan wusste, worauf sie anspielte. „Ich bin kein Henker, Leutnant. Dr. Sanshu starb nicht, weil ich ihn behandelt habe, sondern trotzdem. Außerdem war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt, dass er mehr war als ein normaler Arzt.“

„Und wenn es Ihnen bekannt gewesen wäre? Hätten Sie sich bei seiner Behandlung weniger angestrengt?“

Purer Zorn stieg in Chen auf. „Ich bin Ärztin, Leutnant Ban. Ich rette Menschenleben. Ganz gleich, was ich von der Person halte, die ich behandele.“

Ban leistete sich einen Moment erdrückenden Schweigens. Dann erklärte sie: „Ihr Schilderungen decken sich mit den Eintragungen im Stationscomputer, die Gor Kon bezüglich Ihrer Beförderung zum Kommandeur gemacht hat. Was geschah im Labor? Wie sind der General und Hauptmann Asimov zu Tode gekommen?“

Ich bin es leid zu lügen!, dachte Shiyan bitter. „Kon wurde von Asimov erschossen.“

„Und der Hauptmann?“

„Wurde von der Testperson umgebracht.“

„Haben Sie etwas getan, um das zu verhindern?“

Chen schüttelte den Kopf. „Es ging zu schnell. Der Neue Mensch ist … war stärker als normale Personen.“

„Und was geschah mit ihm?“

Shiyans Mund weigerte sich, zu arbeiten.

„Wie ist mit der Testperson geschehen?“ Leutnant Ban stemmte die Hände in die Hüften.

„Ich habe sie mit der Waffe von General Kon erschossen!“, drängte sich der Satz zwischen Chens Lippen hindurch. „Sie ist tot!“

„Sind Sie sich da sicher?“

„Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.“

„Darauf, dass wir keinen Hinweis auf den Verbleib der Testperson gefunden haben.“

Kalter Schweiß floss Chens Rücken herunter. „Ich habe den Neuen Menschen erschossen, Leutnant Ban. Dessen bin ich mir absolut sicher. Die Verletzungen, die ich ihm beigebracht habe, konnte er nicht überleben.“

Sekunden voller Stille folgten.

„Sehr gut!“, antwortete die ZS-Geheimpolizistin schließlich überraschenderweise mit einem emotionslosen Lächeln. „Ich glaube Ihnen. Vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit. Auch wenn es für Ihre Aussage keinerlei Beweise gibt. Aber ich nehme an, dass Dr. Sanshus Geschöpf ist widerstandsfähiger als gedacht. Die Kolonie versank im Chaos. Sicherheitsvorkehrungen sind ausgefallen. Da ist es gut möglich, dass der Neue Mensch fliehen konnte. Wohin, das werden wir wohl nie erfahren.“ Sie verschränkte die Arme wieder vor der Brust und ging ein paar Schritte durch das Krankenzimmer. „Ich habe nur Probleme damit, Ihre Tat mit der Aussage in Verbindung, Sie seien kein Henker. Wollen Sie mich aufklären?“

Shiyan spürte Würgereiz in der Kehle. „Wenn Sie mich wegen irgendetwas beschuldigen, sprechen Sie es aus. Was werfen Sie mir vor?“

Leutnant Ban blieb stehen. „Ich werfe Ihnen gar nichts vor, Doktor. Im Gegenteil. „Projekt Neuer Mensch“ war bei der ZS-Führung äußerst umstritten. Dr. Sanshu hat seine Vorgesetzten vor vollendete Tatsachen gestellt. Allein seine Forschungserfolge schützten ihn. Für gewisse Zeit. Bedauerlicherweise hat der Feind Kenntnis davon erhalten, dass die Heping-Kolonie mehr war als ein bloßer Truppenstützpunkt. Ein Angriff mit anschließender Gebietseroberung stand kurz bevor. Hätte man die Testperson da noch im Labor gefunden, wäre der Schaden enorm gewesen. Ich habe Ihre Akte gelesen, Dr. Chen. Sie besitzen einen starken Willen, Moral und Intelligenz. Deshalb erlaube ich mir, folgende Hypothese aufzustellen: Sie wollten den Neuen Menschen töten, um Ihre Soldatenkameraden zu beschützen. Weil in Ihrer Wahrnehmung das wohl Vieler mehr wiegt, als das Weniger. Oder eines Einzelnen.“

Die Ärztin brachte nur einen Gedanken zustande: Zu nah an der Wahrheit, um mich herauszuwinden!

Leutnant Ban redete weiter: „Eigentlich steht auf das, was Sie vermeintlich getan haben, nämlich die Zerstörung von Militäreigentum, eine mehrjährige Haftstrafe. Die aktuellen Umstände lassen Ihre Handlungen allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Zumal der abschließende Beweis, sprich: der Leichnam der Testperson, nicht vorliegt. Kurz nach Ihrer Evakuierung wurde die Heping-Kolonie vom Feind eingenommen. Wir konnten nur noch die Körper von General Kon und Hauptmann Asimov bergen. Das Projekt-Labor war stark zerstört. Daten mit Forschungsberichten blieben dennoch erhalten. Was der Gegner damit anfangen wird, bleibt abzuwarten. Die Tötung der Testperson aus Sicherheitsgründen wäre definitiv angemessen gewesen. Insofern haben Sie in unserem Sinne gehandelt. Deshalb unterbreite ich Ihnen ein Angebot, Dr. Chen. Es ist nicht das angenehmste. Aber ich denke, ein besseres werden Sie nicht bekommen.“

„Ich höre“, meinte Shiyan heiser.

„Sagt Ihnen das Multiplex-Serum etwas?“

Chen brauchte einen Moment, um in ihrem langsamen Geist die gewünschten Informationen zu finden. „Ja. Es ist ein Mittel bei der Behandlung von Gehirnverletzungen. Man vermutet, dass es bestimmte Neuronenverknüpfungen wiederherstellen kann. Soweit ich weiß, ist es aber noch in der Erprobungsphase. Was hat das mit mir zu tun?“

„Wir von der „Chernaya molniya“ haben es bereits öfters eingesetzt.“ Ein zufriedenes Lächeln erschien auf Bans Lippen. „Insbesondere bei Personen, deren Fähigkeiten zu kostbar sind, als dass wir darauf verzichten wollen. Sie, Dr. Chen, gehören zu diesem erlesenen Kreis.“

„Ich bin eine einfache Ärztin.“

„Dr. Sanshu sah mehr in Ihnen. Und wir tun das auch. Vorläufig haben wir keine Verwendung für Sie. Die Zukunft jedoch ist unbeständig. Was wir heute ablehnen, umarmen wir vielleicht schon morgen. Wir sind in der Lage, mit dem Multiplex-Serum Ihr Erinnerungsvermögen zu beeinflussen. Da Sie nur einen halben Standardtag Wissen über „Projekt Neuer Mensch“ sammeln konnten, dürfte die Prozedur nicht allzu aufwendig und risikoreich sein.“

„Sie … wollen mein Gedächtnis löschen?“

Die Geheimpolizistin nickte. „Nur, was die fragliche Zeit betrifft. An alles andere werden Sie sich erinnern können.“

Chen bekam eine Gänsehaut. Und das nicht, weil die Raumtemperatur gesunken war. „Sie manipulieren mein Gehirn. Das ist …!“

„Die einzige Möglichkeit, um lebend aus dieser Situation herauszukommen“, unterbrach Ban sie. „Sehen Sie es als verspätetes Weihnachtsgeschenk an. „Projekt Neuer Mensch“ muss begraben werden. Genauso wie die Personen, die damit zu tun hatten. Dr. Sanshu, General Kon und Hauptmann Asimov stellen keine Sicherheitsrisiken mehr dar. Sie dagegen schon.“

Shiyan stand sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand. Sie ging den einzig möglichen Weg. „Tun Sie, was nötig ist.“ Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus.

„Man wird noch heute mit der Prozedur beginnen. Wir werden uns nie wiedersehen. Insofern vielen Dank für Ihren Dienst, Dr. Chen.“

Leutnant Ban verließ das Zimmer.

Shiyan blieb mit ihren Gedanken allein zurück. Den erdrückenden Fragen, auf die ihr niemand eine Antwort geben würde. Falls Xenius Willof tatsächlich noch lebte, was tat er nun? Lief er orientierungslos durch das marsianische Ödland? Gelangte er zu einer anderen Kolonie und richtete als das Monster, zu dem man ihn gemacht hatte, ein Massaker an?

Oder gelang es der Seele des früheren Wasserstoff-Farmers, sich durchzusetzen? Wieder der Mann zu sein, der Hauptmann Asimov versprochen hatte, miteinander Weihnachten zu feiern? Chen gefiel dieser Gedanke. Sie beschloss, sich so lange wie möglich an ihn zu klammern.

Kurz darauf erschien ein namenloser Arzt und verabreichte ihr mit einer Luftdruckspritze das Multiplex-Serum. Ein undurchdringlicher Nebel breitete sich in ihrem Geist aus. Er umhüllte Erinnerungsbilder, ließ sie verblassen, bis nur noch Leere an ihrer Stelle existierte.

Dr. Shiyan Chen versank in tiefer Bewusstlosigkeit.

Zehn Tage nach der Evakuierung der Heping-Marskolonie erwachte sie auf der Gargarin-Raumstation, im geostationären Orbit um die Erde. Sie lag in einem komfortablen Sani-Bett. Man berichtete ihr, wie glücklich sie sein konnte, noch am Leben zu sein. Ihre Wunden verheilten gut. Nur an Schlafstörungen litt sie. Und Gedächtnislücken. So sehr sich Shiyan bemühte, sich konnte sich nicht daran erinnern, was sie an ihrem letzten Tag getan hatte. Nachdem ihr der geschätzte Kollege Dr. Sanshu auf dem Operationstisch unter den Fingern weggestorben war. Bevor sie das Opfer einer Explosion in der Verwaltungskuppel wurde.

„Kein Wunder“, meinte ein Pfleger. „Sie haben mehrere Monate Hölle erlebt! All die Toten. Da legt das Hirn mal ne Auszeit ein.“

Chen stimmte ihm zu, akzeptierte, dass sie auf bestimmte Fragen wohl nie eine Antwort erhalten würde. Ein paar Mal jedoch kam ihr ganz kurz ein seltsamer Begriff in den Sinn: Xenius.

War es ein Name? Eine Bezeichnung?

Trauer schwang mit, sobald er in ihrem Geist auftauchte. Dann verschwand er wieder.

Shiyan zwang sich, nach vorne zu blicken.

Trotzdem beschlich sie das Gefühl, dass irgendetwas in ihr fehlte. Ein Puzzleteil ihres Lebens. Vielleicht fand sie es eines Tages.

Ende

Notiz des Autors: Wenn Sie Dr. Shiyan Chen wiedertreffen möchten, in meinem Science-Fiction-Roman „Kar-Es: 701 Down!“ bekommen Sie die Gelegenheit.

Türchen 2

Heute öffnen wir Türchen 2 des Selfpublisher-Adventskalenders mit dem Prequel zur neuen Fantasy-Reihe von Anja Lehmann:

Queen of Snow

Skade, die Göttin über Schnee und Eis kommt auf die Welt Favoria. Der Gottvater ist außer sich und bannt seine Tochter in den Körper einer menschlichen Frau. Skade sucht verzweifelt einen Weg, das sich ausbreitende Böse zu stoppen. Dabei begegnet sie Siguriél, einem Mann aus dem Reich Gemma und verliebt sich in ihn.

Wird diese Liebe auch im Angesicht des Bösen überdauern, oder macht Skade den Fehler ihres Lebens wenn sie den Menschen vertraut?

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Zerrissen von Anja Lehmann

Die kühle Nachtluft ließ ihn frösteln, als er dem Schneetreiben
zusah. Er stand auf dem Balkon seines prächtigen Gemachs und
legte den Kopf in den Nacken. Dicke weiße Flocken fielen ihm
auf das Gesicht und mischten sich mit seinen Tränen. Die Luft
roch nach dem Segen des Winters und er wusste, dass er seine
Gefühle besser in den Griff bekommen musste, um das von ihm
Verlangte durchzuführen. Er dachte an die Göttin in ihrem
Schneepalast, die dort allein weilte, abgeschnitten von den
Menschen, unter denen sie so gerne gelebt hätte.
Nun nicht mehr, erinnerte er sich. Für Skade gab es nur noch
einen Weg und das war Rache.
Er musste ihr dienen, ihr folgen, selbst wenn er das Mädchen
dafür verraten würde.
Das Mädchen. Crystal, die er aus dem Kloster an den Hof
gebracht hatte. Die jetzt schlief, nichtsahnend von den
Gedanken, die ihn jede Nacht heimsuchten.
Er wischte sich die Tränen weg. Verbot es sich auch nur eine
weitere Träne zu weinen. Für Schwäche war in seinem Leben kein
Platz. Mit zwei Schritten kehrte er wieder in die einsamen
Räume zurück. Unterdrückte das Kribbeln in seinen Füßen, den
Instinkt, einfach davonzulaufen. Er ließ sich in die weichen
Daunenkissen sinken, wandte seinen Blick erneut dem Fenster zu,
an dem die Flocken leise vorbeirieselten.

Der Schnee erinnerte ihn jedes Jahr an den Schwur, den er
geleistet hatte, und doch war es dieses Mal anderes. Crystal
war in sein Leben getreten, hatte sein Herz geraubt. Ihre
Anwesenheit riss an seiner Stärke, brachte ihn zum Schwanken.
Bald würde das Winterfest stattfinden, der festliche Ball zu
Ehren der Göttin. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sie
dort womöglich mit jemand anderem zu sehen. Er schloss die
Augen und stellte sich ihr Gesicht vor. Sie war ihm ganz nah,
ihre Lippen berührten sich fast. Er roch den blumigen Duft
ihrer Haare, hörte ihren Herzschlag unter ihrer Brust. Wusste,
dass er schwach war, zu schwach. Für ein paar Tage würde er
sich fallen lassen, würde dem Feuer in sich nachgeben. Sollte
die Göttin ihn hinterher in eisige Fesseln legen, bis sein Blut
gefror. Dann würde er wenigstens mit einer schönen Erinnerung
leben oder sterben, ganz wie die Göttin es entscheiden würde.

Ende

 

 

Türchen 1

Heute startet der Selfpublisher-Adventskalender direkt mit einem buchigen Adventskalender von mehreren Autor*innen :

24 Days of Magic. Ein fantastischer Adventskalender

In 24 Days of Magic warten 24 Türchen mit magischen Geschichten auf alle Fantasy-Fans. Lasst euch von uns in fremde Welten entführen, auf den Spuren von Waldgeistern, Hexen, Sündenmagiern und anderen fantastischen Wesen. Reist mit uns durch die Zeit, ins winterliche Paris des 19. Jahrhunderts oder in mittelalterliche Fantasywelten. Und freut euch auf romantische und märchenhafte Begegnungen, die die Weihnachtszeit zur schönsten Zeit des Jahres machen.

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Snowfall Night
High Fantasy von Sabine Schulter

Kapitel 1: Auf der Flucht

Yurisha

Keuchend strauchelte ich und konnte nur mit Mühe verhindern, dass ich in den knietiefen Schnee fiel. Zum Glück blieb ich auf den Beinen, doch durch meine hektische Bewegung flog einiges der weißen Masse auf, klatschte in mein Gesicht und rieselte mir am Kragen meines Umhangs vorbei unter die Kleidung. Eisig und feucht schmolz sie auf meiner Haut, kühlte mich aus und ließ mich erzittern. Wie ich Schnee hasste! 

»Yuri«, rüttelte mich Ranok auf, packte meine Hand, noch bevor ich mein Gleichgewicht ganz wiedergefunden hatte, und riss mich mit sich. Beinahe wäre ich dadurch gefallen. »Wir müssen uns beeilen.«

»Was meinst du, was ich die ganze Zeit versuche?«, antwortete ich gereizt. »Aber bei diesem verfluchten Schnee hat eine Flucht doch sowieso keinen Wert. Unsere Spuren sind weithin sichtbar.«

Wir verstummten, als hinter uns ein Jagdhorn ertönte, und ängstlich schaute ich über die Schulter. Sie waren nah. Viel zu nah! Doch der Berghang, den wir mühsam erklommen hatten, blieb weiterhin leer. Noch hatten wir Zeit. Allerdings zeigte mir der Blick zurück genau das, was ich eben angesprochen hatte. Unsere Fußabdrücke waren deutlich zu erkennen. Selbst mitten in der Nacht und bei bewölktem Himmel. Während wir uns abhetzten, konnten unsere Verfolger kraftschonend folgen. Verlieren würden sie uns niemals. Ich japste erschrocken, als mich Ranok voran zerrte. 

»Vertrau mir«, sagte er angespannt. »Ich habe einen Plan.«

Einen Moment betrachtete ich den Rücken des jungen Flammenkriegers und fragte mich wieder einmal, wieso er all das für mich tat. Unsere Verfolger … Sie gehörten Ranoks Volk an. Ich konnte ihnen nicht einmal verdenken, dass sie mich in die Finger bekommen wollten. Denn ich hatte eine Aufgabe, die sie ins Verderben stürzen würde. Alle Flammenkrieger. Ranok schloss sich ihnen jedoch nicht an … Er … verriet seine Leute ununterbrochen, indem er mich vor den Jägern versteckte.

Ich fluchte, als ich schon wieder aus dem Tritt kam. Ranoks Finger schlossen sich fester um mein Handgelenk und ließen nicht zu, dass ich fiel. Dafür bekam ich Schnee in die Stiefel und die Feuchtigkeit setzte meinen eiskalten Zehen noch mehr zu. Trotzdem gab ich nicht auf, biss die Zähne aufeinander und eilte hinter Ranok her, der mir eine Furche durch all das Weiß bahnte. Bestimmt entkamen wir bald. Ich musste nur noch etwas durchhalten. Ranoks Pläne hatten bisher immer funktioniert. Aber ich war so müde …

Wir hetzten schon seit Tagen durch diese Gegend, hatten kaum Gelegenheit zum Schlafen und die beständige Kälte rieb mich auf. Ich wollte nur in einen warmen Raum und etwas Leckeres essen, ehe ich in ein kuscheliges Bett fiel. Leider waren alle drei Dinge in dieser unwirtlichen Gegend Wunschdenken. Der Weg über diesen Berg sollte eine Abkürzung sein. Und nun? Nun wurde er vielleicht zu unserem Grab. 

In meinen bitteren Gedanken gefangen, merkte ich zuerst nicht, dass meine Stiefel nicht mehr so tief einsackten und zwischen dem unendlichen Weiß häufiger dunkle Felsen hervorbrachen. Überrascht schaute ich mich um, als wir im nächsten Moment Stein unter den Füßen hatten und sich der Schnee vollkommen vermissen ließ. Noch immer war die Umgebung wenig einladend, aber nun würden uns unsere Fußspuren nicht mehr verraten. 

»Was ist denn jetzt passiert?«, fragte ich und holte zu Ranok auf. 

Der Flammenkrieger wandte mir den Kopf zu und zeigte eines dieser sympathischen Grinsen, die ich in der letzten Zeit zu schätzen gelernt hatte. Auch flackerten mir am Rand der fellbesetzten Kapuze vorbei seine weißen Flammen entgegen. Denn im Gegensatz zu mir besaß Ranok wie alle Mitglieder seines Volkes keine Haare, sondern Feuer auf dem Kopf. Sein weißes war sehr selten – so viel hatte ich bereits verstanden – und gegenüber Fremden heiß. Weswegen ich mich schon mehrfach an Ranok verbrannt hatte, seine Kapuze allerdings nicht betroffen war. Nur solange Kleidung zwischen uns war, schmerzten mich seine Berührungen nicht. 

»Wir haben eine Stelle erreicht, wo die Lava des Berges nahe an die Oberfläche kommt und daher den Fels erhitzt«, erklärte er mir. »Hier hält sich keine Schneeflocke und wir haben endlich die Chance, zu entkommen. Beeilung, sie können nicht mehr weit hinter uns sein.« Sein Blick flog gen Himmel, suchte dort etwas und Ranok biss fest die Zähne zusammen, als er es wohl fand. Schon zog er mich weiter. 

Obwohl ich mich unerbittlich antrieb, war ich doch nicht so schnell wie der Flammenkrieger an meiner Seite. Wo meine Atemzüge bereits keuchend kamen und mir die Luft in den Lungen brannte, wirkte er nicht einmal aus der Puste. Und wenn Ranok noch nicht an seinen Grenzen angekommen war, dann unsere Verfolger ebenfalls nicht. Ich gab mir wirklich Mühe, meine Geschwindigkeit zu steigern, aber ich war nur eine Priesterin. Ich konnte weder mit außerordentlicher, körperlicher Ausdauer punkten, noch mit Fähigkeiten in der Selbstverteidigung. Wenn man uns einholte, war ich Ranok bloß ein Klotz am Bein. Tränen schwammen mir in den Augen. Wie sollte ich so mein Ziel erreichen? Wie hatte ich so blauäugig und überzeugt davon sein können, den ganzen Weg allein durch das Land unserer Feinde zu schaffen? Und jetzt zog ich Ranok mit ins Unheil. 

Ich öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass er ohne mich weitergehen sollte. Er gehörte diesen Leuten an. Ohne mich würde er niemals Probleme bekommen. Aber mit mir … Bevor ich auch nur Luft für ein Wort holen konnte, blieb Ranok plötzlich stehen und schob mich ohne viel Federlesen zwischen eine riesige Anordnung von Felsen. Sie standen so nah, dass sie eine natürliche Höhle bildeten. 

»Bleib hier«, wies mich Ranok an, als ich überrascht ein paar Schritte hinein taumelte. »Ich werde die Jäger ablenken.«

»Was?«, rief ich entsetzt aus und wirbelte herum, um ihn abzuhalten. Doch er war bereits verschwunden. 

Schnell eilte ich zum Ausgang, blieb aber unschlüssig stehen, als ein kalter Windzug hereinkam – und mit ihm der nächste fordernde Ton des Horns. Bang machte ich einen Schritt zurück in die Höhle. Mir gefiel es ganz und gar nicht, allein hier zurückzubleiben. Aber wenn Ranok sagte, dass ich bleiben sollte, war es eine ganz schlechte Idee, dem zuwider zu handeln. Zitternd vor Kälte stand ich da und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte Ranok nicht all die Arbeit allein machen lassen, sondern nützlich sein. Ihm helfen. Doch auf unserem Abenteuer hatte es sich viel zu häufig gezeigt, wie wenig ich mich in der Welt auskannte. Vor allem im Reich der Flammenkrieger. Dass es zwischen den vielen Vulkanen schneebedeckte Bereiche gab, war mir nicht einmal als Idee gekommen. Ich hatte immer gedacht, dass hier alles heiß, karg und hässlich sei. Nun, damit hatte ich mich gehörig getäuscht. Obwohl diese kalte Hölle hier durchaus furchtbar war. 

Mit einem leisen Seufzen zog ich mich zwischen die Steine zurück. Licht fiel kaum herein und ich hasste es, nicht zu wissen, was in der Finsternis um mich herum lauerte. Aber wenn Ranok sagte … Nachdenklich ließ ich mich auf einer Felskante nieder. Wann hatte ich begonnen, Ranok derart zu vertrauen? Natürlich, er hatte mir in einer ausweglosen Situation zur Seite gestanden statt mich meinen Häschern zu übergeben. Er unterstützte mich sogar dabei, meinen Bestimmungsort zu erreichen. Nur wieso tat er das? Ich war ausgesandt worden, um seinem Land, seinem Volk zu schaden. Und was tat er? Er zeigte mir den Weg. 

»Ich bringe dich zum westlichen Meer«, wiederholte ich seine Worte, die er mir bei unserem ersten Treffen sagte, »damit du deine Mission erfüllen kannst. Aber unterwegs werde ich dir zeigen, wie wunderschön mein Land ist, wie schützenswert. Und wenn ich Glück habe, wirst du dann unsere Vernichtung nicht mehr wollen. «

Einige Minuten saß ich einfach da, mit stummen Gedanken und einem flauen Gefühl im Magen. Wenn ich ehrlich war, wollte ich niemanden vernichten. Weder Ranoks Land, noch sein Volk. Aber wenn ich meine Pflicht nicht erfüllte, würde meine Heimat sterben. Weil das Leben der Flammenkrieger und das von uns Wasserpriestern nicht miteinander vereinbar war. Es hieß leider: sie oder wir. Und es lag an mir, die Schuld am Tod von Ranoks Volk auf mich zu laden. Überrascht hob ich eine Hand, als ich eine Träne über meine Wange laufen spürte. Wieso weinte ich? Ich hatte doch nur an die Erledigung meiner Pflicht gedacht – und daran, was ich damit alles zerstören würde. 

Ranok hatte seine Aufgabe gut erfüllt. Auf unserem Weg hatte ich so vieles gesehen, erkannt, wie vielschichtig sein Land doch war. Was mir aber ganz besonders zusetzte, war die Vorstellung von Ranoks Enttäuschung, wenn ich nicht von meinem Plan abließ. Wie ich unsere Freundschaft damit einfach zerriss. Und der Gedanke, dass Ranok mich daraufhin hassen würde … Aber was sollte ich tun? Stattdessen mein eigenes Land untergehen lassen? Meine Freunde und Familie? Fest verkrallte ich meine Finger ineinander, wusste nicht, was ich tun sollte, während ich vor Kälte fürchterlich zitterte. Wenn … 

Erschrocken hielt ich den Atem an, als etwas über den Stein schabte, der mich umschloss. Kratz, kratz, kratz. Es kam der Öffnung immer näher und mit aufgerissenen Augen starrte ich dorthin. Nun erkannte ich auch ein flackerndes Licht. Das konnte nur einer unserer Häschersein und mit einem Keuchen sprang ich auf, griff auf meine natürliche Macht zu. Ich würde mich nicht kampflos ergeben. Das Kratzen kam näher, das Licht wurde heller – und im nächsten Moment hopste ein Vogel, so groß wie ein Falke, zu mir herein. Die Anspannung wich aus meinen Muskeln und vor Erleichterung sackte ich zu Boden. 

»Ruufin«, begrüßte ich Ranoks zahmen Phönix. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«

Eigentlich hätte ich darauf kommen können, dass nicht einer unserer Verfolger den Weg zu mir gefunden hatte. Denn Ruufins brennendes Gefieder war wie RanoksFlammen weiß und nicht rot wie es normalerweise der Fall war. In meiner Angst hatte ich einfach nicht daran gedacht. Vorsichtig streckte ich die Finger nach dem Vogel aus, doch zu meiner Überraschung pikte er nach mir und flatterte aufgeregt mit den Schwingen. 

Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Was ist?«

Eilig flog der Phönix hinaus, kam zurück und verließ die Höhle erneut. Und bei mir fiel der Groschen. Er wollte, dass ich ihm folgte. Und das konnte nur eines heißen: Feinde! Ich musste weg. Sofort sprang ich auf, zog mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht und holte zu Ruufin auf. Mit fliegenden Fingern öffnete ich meinen Umhang, packte den Phönix und holte ihn unter den Stoff, schloss ihn in meine Arme. Mit seinem Feuer würde er weithin sichtbar sein und solange ich noch nicht entdeckt wurde, hatte ich eine Chance zu entkommen. Bang sah ich mich um, bemerkte aber weder einen Verfolger, noch Ranok. Wie sehr ich mir den jungen Krieger zurückwünschte! 

Wo sollte ich hin? Instinktiv wollte ich auf dem warmen Stein bleiben und wandte mich daher den Berg hinauf. Aber Ruufin begann zu zappeln, weswegen ich die Richtung änderte und nach Westen lief. Der Phönix beruhigte sich, schmiegte sich in meine Arme und verströmte dabei eine herrliche Wärme, die mich aufatmen ließ. Dann eben Westen. Der Himmel klarte langsam auf, weswegen ich mehr von meiner Umgebung ausmachen konnte. Ausnahmsweise schaffte ich es sogar, leise zu laufen und langsam entspannte sich mein wild schlagendes Herz. Angst, dass Ranok mich nicht wiederfinden würde, hatte ich nicht. Im schlimmsten Fall würde Ruufin ihn zu mir führen. Jetzt musste ich erstmal weg. Am besten sogar in tiefere Gefilde, wo es nicht so verflucht kalt war. 

Vorsichtig stieg ich über die rauen Felsen, nutzte jede noch so kleine Deckung und achtete auf das kleinste Geräusch. Ich war stolz auf mich. Auch ohne Ranok schaffte ich es, verborgen zu bleiben. Na gut, wahrscheinlich nur, weil mein Freund unsere Häscherablenkte, aber immerhin. Langsam wurde es heller, der Mond ging auf und auch die Sterne funkelten, da die Wolken zerfaserten. Vor mir entdeckte ich bereits das Schneefeld und ich überlegte, ob ich es wirklich betreten sollte. Ich würde Fußabdrücke hinterlassen. 

Plötzlich begann Ruufin zu zappeln und er stieß ein warnendes Kreischen aus, das mich erschrocken zurückschauen ließ. Zu meinem Entsetzen hatte ich falsch gedacht. Nicht der Mond hatte die Umgebung so gut ausgeleuchtet, sondern ein Flammenkrieger, der in diesem Moment zwischen den Steinen auftauchte. Wir hielten beide für eine Sekunde und voller Überraschung inne. Dann wurde sein Blick hart und sein rotes Feuer loderte auf. Schon nahm der Jäger die Verfolgung auf und ich wirbelten mit einem ängstlichen Geräusch herum. 

Ich entließ Ruufin aus meinen Armen, damit er mir den Weg erhellte. Verstecken war nun sowieso keine Option mehr. Ich rannte, so schnell ich konnte, warf immer wieder einen Blick zurück und musste dabei feststellen, dass der Krieger aufholte. Er war wie eine Walze, die sich von der unebenen Strecke nicht beeinflussen ließ. Ich hingegen musste aufpassen, wo ich hinlief und dass ich nicht fiel. Und dann, bei meinem nächsten Blick über die Schulter, passierte es. Mein Fuß traf keine gerade Stelle, sondern eine Kante, wegen der ich umknickte. Mit einem spitzen Schrei fiel ich zur Seite, versuchte mich zu fangen und war sogar kurz davor, es zu schaffen. Doch mein Fuß fand nur Leere. 

Von mir unbemerkt hatte sich eine Felsspalte links von mir aufgetan, in die ich nun fiel, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Ruufin kreischte, kam herangeflattert und meine Finger versuchten noch, seine Krallen zu packen. Aber er kam zu spät. Ich verfehlte jeden Halt und stürzte ungebremst den Abgrund hinab. Ruufin folgte mir, packte meinen Umhang und hielt meinen Sturz eine Kleinigkeit auf. Nur würde es nicht reichen. Ich fiel, fiel, fiel. Und über mir sah der Flammenkrieger schweigend dabei zu. War das mein Ende? Konnte ich nur noch darauf warten, auf dem Grund der Schlucht aufzuschlagen? Ich wollte die Augen in Erwartung meines Todes schließen, als plötzlich ein weißes Licht über die Felskante sprang. 

»Ranok«, keuchte ich, als ich ihn erkannte, wie er ohne Rücksicht auf sich selbst mir hinterher kam. Hoffnung erwachte in mir und ich streckte mich in alle Richtungen, fing damit den Wind in meinem Umhang, damit ich so langsam fiel wie möglich. Durch Ruufins Unterstützung funktionierte das so gut, dass Ranok mich erreichen und mir eine Hand entgegenrecken konnte. Ich ergriff sie und augenblicklich zog mich der Krieger in seine Arme. Doch was wollte er nun tun? Zu meinem Entsetzen blieb uns keine Alternative. Ranok konnte schließlich nicht fliegen. Aber er schützte mich mit seinem eigenen Körper, während die Felswände mit scharfen Kanten nach uns griffen. 

»Ranok«, rief ich verzweifelt, weil ich nicht wollte, dass er sich für mich opferte. 

Er zog mich jedoch nur noch fester an sich, presste mein Gesicht an seine Schulter und im nächsten Moment schluckte uns der Schnee am Grunde der Schlucht.

 

Kapitel 2: In der Nacht

Ranok

Diese unmögliche Frau! Da ließ ich sie ein einziges Mal für wenige Minuten zurück und sie schaffte es nicht nur, entdeckt zu werden, sondern auch noch in eine Schlucht zu fallen. Und was machte ich Idiot? Ich sprang hinterher, ohne zu zögern. Selbst wenn ich mich furchtbar über meine eigene Dummheit aufregte, atmete ich erleichtert auf, als ich Yuri zu packen bekam. Doch die Zeit bis zum Aufprall war knapp. Eilig zog ich sie in meine Arme und nutzte meinen Schwung, um unter sie zu kommen. Ich wappnete mich gegen den Aufprall, hörte Yuri meinen Namen rufen und presste sie so fest wie möglich an mich. Schon schluckte uns der tiefe Schnee am Grunde der Schlucht. 

Obwohl wir in ihn fielen wie in weiche Daunen, war der Aufschlag immens. Ein Fels streifte meine Seite, presste mir alle Luft aus den Lungen und das pudrige Weiß versuchte mir Mund und Nase zu verschließen. Beinahe wurde Yuri mir entrissen, doch ich hielt sie fest, gab alles, um jegliches Leid von ihr fernzuhalten. 

Und dann war es vorbei. 

Unser Sturz wurde abgefedert und wir lebten noch. Allerdings drohte der Schnee uns zu ersticken. Yuri geriet in Panik, versuchte sich freizukämpfen. Nur mit Mühe konnte ich sie bei mir behalten. Sie vergaß wieder einmal, wer an ihrer Seite war. Welche Möglichkeit ich besaß. Fest zog ich die junge Wasserpriesterin an mich, damit sie nichts abbekam. Dann ließ ich der Hitze in meinem Inneren mehr Raum, wodurch sie nach außen strömte. Der Schnee schmolz in Sekunden und kaum drang frische Luft zu uns, atmeten wir sie gierig ein. 

Yuri drückte sich soweit hoch, dass sie mich anschauen konnte. Durch den Sturz war ihre Kapuze heruntergerutscht und ihr weißes Haar triefte von der Schneeschmelze vor Nässe – und in der nächsten Sekunde schlug sie mir kräftig gegen die Schulter. 

»Au«, beschwerte ich mich. »Wofür war denn das?«

»Du hast mir furchtbare Angst gemacht!«

»Ich habe dir Angst gemacht?«, fragte ich ungläubig. »Du bist doch diejenige, die beinahe geschnappt wurde und dann eine Klippe hinunter fiel. Solltest du mir nicht danken, dass ich dir todesmutig hinterher gesprungen bin?«

Im flackernden Licht meines Haars war ich mir nicht ganz sicher, aber … zitterten Yuris Lippen? Als im nächsten Moment Tränen in ihren Augen schwammen, setzte ich mich alarmiert auf, wodurch es fies in meiner Seite stach. Aber ich ignorierte es. 

»Hey«, sagte ich behutsam und zog Yuri zurück in meine Arme, strich ihr tröstend über den Rücken. »Was ist los? Womit habe ich dich so aufgebracht?«

»Dieser Sturz … Es war nur ein wenig zu viel. Die Verfolgung, der Schlafmangel, die Kälte. Und dann … Ich dachte wirklich, du opferst dich für mich. Ich … Ich hätte das nicht ertragen.«

Sie krallte sich in meine Kleidung und ich war überzeugt, dass sie aufschluchzen würde. Aber das geschah nicht. Yuri zitterte und haderte mit der Situation, aber sie gab sich alle Mühe, um stark zu bleiben. Für eine junge, verwöhnte Wasserpriesterin machte sie sich wirklich gut. Und sie hatte nur aus Sorge um mich Tränen in den Augen. Ein Lächeln mogelte sich auf meine Lippen und sacht fuhr ich ihr über das seidige Haar. Doch durch meine Handschuhe konnte ich es nicht spüren. Also biss ich in den Stoff am Zeigefinger, zog meine Hand heraus und spuckte das Kleidungsstück fort. Zufrieden schob ich meine Finger in ihre Strähnen, spürte wie weich sie trotz der Nässe waren, und genoss Yuris Wärme. Wir waren noch lange nicht in Sicherheit und es gab weit bessere Orte, um sich auszuruhen, aber für ein paar Sekunden erlaubte ich es mir, in Yuris Nähe durchzuatmen. 

Plötzlich spannte sie sich an und drückte sich wieder fort von mir. Mit großen Augen sah sie meine Hand an, die ich wohl oder übel aus ihren Haaren nehmen musste. »Ranok, du … kannst mich anfassen? Wieso das? Bisher habe ich mich doch immer verbrannt.«

»Hm«, machte ich bestätigend. Ich wusste den Grund, warum das nicht mehr der Fall war, spürte ihn tief in meinem Herzen. Besonders wenn mich Yuri mit ihren schönen blauen Augen ansah. Aber sie musste ihn noch nicht erfahren. Also scheuchte ich sie auf. »Ich erkläre es dir später. Jetzt sollten wir weg. Sicherlich wird man unsere Verfolgung nicht aufgeben, nur weil wir einen Abhang hinabgefallen sind.«

Gleichzeitig blickten wir hinauf, wo Ruufin nur wenige Meter höher kreiste und weit oben, dort wo die Klippe ihren Anfang nahm, ein Flammenkrieger auf uns herabsah. Als wären unsere Blicke ein Startzeichen, wandte er sich ab und das Rot seines Feuers verschwand. 

»Wir müssen weg«, murmelte ich, zog meinen Handschuh wieder an und pfiff nach Ruufin, während wir uns aufrappelten. Dabei fuhr erneut ein fieser Schmerz durch meine Seite und dieses Mal konnte ich ein Stöhnen nicht ganz unterdrücken. Natürlich stutzte Yuri sofort und trat näher. 

»Du bist verletzt?«, fragte sie besorgt. 

Sie streckte die Hand nach mir aus, aber ich hielt sie ab, meine Seite zu berühren. »Es ist nichts Schlimmes. Lass uns erst von hier verschwinden, ehe wir mich versorgen.«

Yuri wirkte unzufrieden damit, nickte jedoch, weswegen ich sie aufmunternd anlächelte und mich dem Schnee zuwandte. Durch meine Schmelze war er nicht nur über uns fort, wir waren auch weiter eingesunken, weswegen sich die weißen Massen nun gut drei Meter um uns herum auftürmten. 

»Das kann uns durchaus helfen«, überlegte ich und legte eine Hand an die Schneewand neben mir, während Ruufinauf meiner Schulter landete. 

»Was meinst du?«, wollte Yuri wissen. »Was hast du vor?«

Ich tätschelte die weiße Wand. »Wenn wir uns in diese Richtung bewegen, öffnet sich die Schlucht in ein paar Hundert Metern. Doch statt auf dem Schnee zu laufen, können wir uns hindurchbrennen. Dadurch entgehen wir den Augen unserer Häscher und kommen an einer vollkommen anderen Stelle heraus, als sie vermuten.« Ich mustere das gefrorene Wasser. »Dank Ruufin werden wir die Orientierung nicht verlieren, aber die Schneedecke über uns könnte einbrechen. Das ist mir eigentlich zu unsicher.«

Yuri trat an meine Seite. »Überlass das mir. Sobald die Kristalle schmelzen, kann ich das Wasser nutzen, um alles zu stabilisieren.«

»Das klingt nach einem guten Plan«, sagte ich überrascht von ihrem Einfallsreichtum. Schon grinste ich sie an. »Wir sind ein gutes Gespann.«

Ein Lächeln hellte Yuris Gesicht auf. »Das sind wir. Los,lass uns keine Zeit verlieren.«

Einen Moment betrachtete ich sie noch versonnen, wandte mich dann aber der Schneewand zu und ließ erneut meine Hitze frei. Das Eis schmolz sofort und öffnete uns dadurch einen Tunnel, den ich so groß hielt, dass wir angenehm hindurchgehen konnten. Ruufin schüttelte unwohl sein Gefieder, aber er blieb folgsam auf meiner Schulter sitzen, erhellte zusammen mit meinen Flammen die Finsternis. 

Yuri folgte mir dicht auf und zeigte nun eindrucksvoll, wozu sie als Wasserpriesterin fähig war. Wie sie es machte, wusste ich nicht, aber das Schmelzwasser rann wider die Natur um meine Füße herum, floss die Wände hinauf und sammelte sich als breitflächiger See über unseren Köpfen. Yuri machte noch mehr, denn sie hielt das Wasser so lange über uns, bis eine dünne Eisdecke zurückblieb. Den Rest ließ sie in Fäden hinter uns zu Boden tropfen, sodass stabile Eiszapfen entstanden, die man erst mühsam zerschlagen oder schmelzen musste, wenn man uns folgen wollte. Luft hatte jedoch genug Raum, um zu uns zu gelangen. 

Unwillkürlich grinste ich erneut. »Wie gut, dass ich so eine clevere Partnerin habe.«

Yuris Stimme klang erheitert. »Vielen Dank für das Kompliment.«

Die nächsten Worte schlüpften mir ungewollt heraus. »Wenn ich mich schon gegen meine eigenen Leute stellen muss, dann wenigstens zusammen mit dir.«

Yuris Schritt stockte und am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen. Dieses Thema war ein schwieriges und belastete unsere Freundschaft immer wieder. Dass ich es erneut angesprochen hatte, zeugte davon, wie stark es in mir gärte. Wie sehr ich die Situation hasste, obwohl ich sie selbst gewählt hatte. Es blieb still zwischen uns und diese Stille drückte schwer auf mein Gemüt. 

Ich schmolz uns weiter einen Weg in die Freiheit, während Ruufin seinen Griff mit der linken Klaue festigte. Daher passte ich meinen Weg an, bis sich mein Phönix entspannte. Ruufin war zwar sehr jung und noch lange nicht ausgewachsen, doch seine Orientierung kannte keine Fehler, weswegen ich ihm absolut vertraute. 

Als ich einen leichten Zug im Rücken spürte, sah ich über die Schulter zurück. Yuri hatte die Hand ausgestreckt und meinen Umhang mit zwei Fingern ergriffen. Betrübt schaute sie auf meinen Rücken. »Du musst das alles nicht tun. Ich werde den Weg zum westlichen Meer schon allein finden.«

Traurig blickte ich sie an, ehe ich mich wieder nach vorn wandte. »Das stimmt vielleicht, aber du weißt, was ich hiermit versuche, zu erreichen. Ich möchte dir die Schönheit meines Landes zeigen und dich davon überzeugen, es nicht zu vernichten.«

So vieles wollte ich noch hinzufügen, aber wir hatten immer wieder über all das gesprochen. Ich würde mich nur wiederholen – und doch nichts damit verändern. Yuri war eine wundervolle Frau. Mit einem großen Maß an Mut, Durchsetzungsvermögen, Mitgefühl und Liebe zur Welt. Aber sie war auch ihr ganzes Leben lang auf eine Sache vorbereitet worden: Mein Volk zu töten. Sie zu begleiten, sie an ihren Bestimmungsort zu bringen und dabei zu versuchen, ihre Meinung zu ändern, war nur ein Strohhalm, nach dem ich griff. Yuri war der Untergang meines Landes. Daran gab es nichts zu beschönigen. Und doch … Ich konnte nicht aufhören zu hoffen. 

Jeder andere Flammenkrieger würde mich dazu anhalten, sie auszuliefern, unseren Tod damit aufzuhalten oder zumindest etwas hinauszuzögern, bis die nächste Wasserpriesterin auf dem Weg zum westlichen Meer war. Ich konnte es jedoch nicht. In den letzten Wochen hatte ich verstanden, was für eine großherzige Frau Yuri war. Wenn es nach ihr ginge, würde sie wohl niemandem ein Leid zufügen. Doch sie konnte ihre Heimat nicht aufgeben. Sie wollte so dringend helfen, dass sie auch den ganzen Schmerz der Welt auf sich nehmen würde – und gerade diese Selbstlosigkeit hatte dazu geführt, dass ich mein Herz an sie verloren hatte. Ich liebte Yuri. Ich liebte mein Volk und ich liebte meine Heimat. Doch diese drei Sachen waren nicht miteinander in Einklang zu bringen, so sehr ich es mir auch wünschte. 

Da Yuri noch immer meinen Umhang festhielt, spürte ich, wie sie erzitterte. »Also im Moment sehe ich diese Schönheit nicht«, murrte sie. »Es ist kalt, nass und eng. Da gibt es wirklich angenehmere Orte.«

Ich lächelte minimal. »Da gebe ich dir durchaus recht. Das liegt aber nur an unseren Verfolgern. Ich habe die Abkürzung über diesen Bergkamm eigentlich aus noch einem weiteren Grund gewählt.«

»Huh?«, machte Yuri und kam so nah heran, dass sie sich an mir vorbeibeugen und mir ins Gesicht schauen konnte. »Was denn für einen?«

Einen Moment betrachtete ich sie und wägte unsere Möglichkeiten ab. Doch durch unser Manöver hatten die Jäger unsere Fährte vorerst verloren. Wir konnten uns den Abstecher durchaus leisten. Statt Yuri zu antworten, wandte ich mich an Ruufin. Lockend kraulte ich ihn unter dem Schnabel. »Du weißt, wohin ich wollte. Kannst du uns bitte die Richtung weisen?«

Ruufin schloss voller Genuss die Kulleraugen und das Feuer seiner Federn flammte einen Moment auf, ehe er seine rechte Klaue um meine Schulter festigte. Also schmolz ich uns einen Weg dort entlang. 

Yuri gab ein langgezogenes Stöhnen von sich. »Na gut, dann verrate es mir eben nicht.«

Ihre Ungeduld ließ mich lächeln, aber ich schwieg mich aus und führte sie einzig weiter. Gut eine halbe Stunde bahnten wir uns so unseren Weg, bis schließlich Ruufinwarnend mit dem Schnabel klapperte. Sofort rückte Yuri zu mir auf, drückte sich an meinen Rücken. 

»Was ist? Sind wir wieder auf die Jäger gestoßen?«, wisperte sie. Fest krallten sich ihre Finger in meinen Arm. »Oder gar auf ein gefährliches Tier?«

»Nichts dergleichen«, beruhigte ich sie. »Wir haben nur den Ort erreicht, den ich dir zeigen möchte.«

Sie reckte sich, sodass ich ihren verwirrten, umhersuchenden Blick erkennen konnte. »Hier ist nichts.«

»Noch nicht«, erwiderte ich, hob die Hände und schmolz den letzten Schnee fort. 

Ein Loch tat sich vor uns auf, das uns aus der eisigen Umgebung führte. Wir standen am Rand einer weiteren Klippe. Doch sie war anders als jene, die Yuri hinabgestürzt war. Von hier aus hatten wir einen weiten Blick den Berghang hinab und unter uns breitete sich meine Heimat aus. In der Nacht, während alles vom vollen Mond beschienen wurde, sah sie unfassbar schön aus. Der Schnee zog sich weit ins Tal, wo sein kristallenes Glitzern mit den Seen aus Tausenden Lampen wechselte, die in den Städten meines Volkes brannten. In der Ferne erhoben sich die nächsten Vulkane. Diese waren weit aktiver als jener, auf dessen Hängen wir uns befanden, spuckten immer wieder Rauch in den Himmel, während der rote Schein der Lava in ihrem Inneren glühte. Es war ein spektakuläres Bild aus Dunkelheit und Licht. Zusammen mit den Abertausenden Sternen über uns nahm es selbst mir den Atem, obwohl ich diesen Anblick gewohnt war. 

Yuri trat mit vor Staunen offenem Mund neben mich. Wie immer, wenn ich ihr einen großartigen Ort meiner Heimat zeigte, nahm sie alles schweigend in sich auf. Beinahe als ob sie das Bild nie wieder vergessen möchte. 

»Ja«, flüsterte sie schließlich. »Das ist wirklich atemberaubend schön.«

Ergriffen drückte sie sich die Hände an die Brust und ihr Lächeln spiegelte die Schönheit um uns herum wider. Wenn sie die Welt so wie in diesem Moment betrachtete, konnte ich die Augen einfach nicht von ihr nehmen. Wie konnte ein einziger Mensch nur so viel Achtung und Demut vor der Welt empfinden? 

Ein Windhauch zog zu uns herein und Yuri erzitterte in seiner Kälte. Einen Moment blickte ich ebenfalls hinaus, dann berührte ich sie sacht an der Schulter. »Lass uns gehen. Du frierst.«

»Das macht nichts«, sagte sie abwesend. »Ich möchte noch einen Moment bleiben.«

Ich respektierte ihren Wunsch, trat nach kurzem Zögern aber näher und knöpfte dabei meinen Umhang auf. Stets auf Zeichen der Abwehr achtend, legte ich ihn zusammen mit meinen Armen um Yuri, hüllte sie ein und zog sie sacht an mich. Überrascht blickte sie zu mir auf, sodass ich mich in ihren hellblauen Augen verlieren konnte. Ich erwartete, dass sie mich von sich schob, stattdessen lächelte sie und das Gefühl, wie ihre Hände über meine Seiten auf meinen Rücken wanderten, löste einen angenehmen Schauer in meinem Magen aus. Im nächsten Moment lehnte Yuri ihre Wange an mich und blickte weiter hinaus in die Ferne. 

Zufrieden schloss ich die Augen, sog Yuris unvergleichlichen Geruch in mich ein und war nicht bereit, an diesem Punkt unserer Reise aufzugeben. Ich liebte Yuri, ich liebte mein Land und ich liebte mein Volk. Irgendwie würde ich schon einen Weg finden, alles miteinander zu vereinbaren und zu einem guten Ende zu bringen. Daran wollte ich fest glauben.

Ende

 

 

Rezension zu „Uprising – Die Legende der Assassinen“ von Amy E. Thyndal

Eckdaten zu Buch

204 Seiten | Taschenbuch | Dark Diamonds (jetzt: Impress) | Autorin – Amy E. Thyndal | 29. Oktober 2019

Hier geht es direkt zum Taschenbuch auf Amazon oder beim Verlag

Klappentext

**Wenn dein Beschützer zu deinem größten Feind wird**

Esmes Highlight des Tages ist es, jeden Morgen am Eingang des Empire State Building dem Security-Guard mit den Grübchen und den stechend silbernen Augen zu begegnen. Doch Atair ist kein gewöhnlicher Mensch. Von der Regierung geschaffen, gehört er zu einer Gruppe einzigartiger Soldaten, die nur einen einzigen Zweck erfüllen: leben, um zu dienen. Aber sie haben lange genug der Obrigkeit gehorcht! Die Soldaten beginnen eine Rebellion und Esme wird während des Gefechts ausgerechnet von Atair gefangen genommen. Der Mann, von dem sie eigentlich dachte, er würde auch etwas Besonderes in ihr sehen.

Cover und Gestaltung

Das Cover fand ich schon bei Release sehr cool und der Buchsatz ist angenehm zu lesen.

Geschichte

Die Geschichte der Assassinen und besonders die Geschichte von Esme und Atair ist wirklich faszinierend. Anfangs hatte ich meine Schwierigkeiten in die Story zu kommen, da ich den Einstieg nicht mit dem Rest der Geschichte in Verbindung bringen konnte. Aber nachdem ich es verstanden hatte, habe ich die Story sehr gerne gelesen.

Charaktere und Entwicklung

Esme – Sie ist eine starke Protagonistin, die sich nicht so leicht unterkriegen lassen will. Sie kämpft für ihre Freiheit und für ihr Überleben, was ich wirklich großartig fand. Alles in allem mochte ich sie sehr gerne.

Atair – Ihn habe ich von Anfang an in mein Herz geschlossen, mit seiner verlorenen und liebenswerten Art.

Mir hat die Entwicklung der Charaktere innerhalb des Buches sehr gut gefallen, man hat wirklich den inneren Konflikt der Protagonisten gespürt und nachvollziehen können.

Schreibstil

Der Stil von Amy ist wirklich sehr angenehm und flüssig zu lesen. Nach meinen Startschwierigkeiten mit der Story, habe ich das Buch an zwei Tagen durchgelesen, weil es einfach so angenehm war.

Fazit

Das Buch war gut und ich habe es gerne gelesen, ich freue mich auch schon sehr auf den nächsten Band. Ich mochte die Geschichte sehr und habe genau das bekommen, was ich erwartet habe, eine Fantasy-angehauchte Liebesgeschichte mit viel Action. Von mir bekommt das Buch 4/5✨

Rezension zu „Todesboten – Seelenweiß“ von Mika D. Mon

Eckdaten zu Buch

454 Seiten | Taschenbuch | Kampenwand Verlag | Autorin – Mika D. Mon | 14. Dezember 2021 | Werbung – Rezensionsexemplar

Hier geht es direkt zum Taschenbuch auf Amazon oder bei den Autorinnen

Klappentext

Shiro kümmert sich um die ruhelosen Geister dieser Welt. Sein Job ist kalt, einsam und die Toten reden nicht. Perfekt, denn er braucht nichts und niemanden. Außer die Regeln seiner Rasse, die er blind befolgt: Kein Mitleid. Keine Liebe. Keine Gefühle.

Doch als bei einem blutigen Massaker ein ganzes Dorf ausradiert wird und alle Seelen spurlos verschwinden, bekommt Shiros scheinbar heile Welt Risse. Leider ist sein unverschämter Kollege Veit der Einzige, der ihm bei dem Mysterium um die gestohlenen Leben helfen kann. Genervt macht er sich mit dem selbstgefälligen Mistkerl auf den Weg, des Rätsels Lösung zu finden. Dabei ahnt er nicht, dass das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel steht – und dass Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden.

Cover und Gestaltung

Ich liebe das Cover einfach so sehr, genauso wie die Gestaltung des Buches. Sowohl die Klappen als auch die Kapitelzierden sind traumhaft schön gestaltet. Das Buch wurde auch super gesetzt, denn es lässt sich angenehm lesen.

Geschichte

Der Einstieg in die Geschichte von Shiro und Veit fällt einem wirklich sehr einfach. Es ist direkt spannend und fesselnd und lässt einen direkt mitfiebern. Auch während dem lesen will man immer sofort wissen wie es weitergeht und ich konnte das Buch wirklich nicht mehr aus der Hand legen.

Charaktere und Entwicklung

Shiro – Anfangs ist er ein bisschen verklemmt und undurchsichtig, aber das legt sich mit der Zeit und er wächst einem richtig ans Herz.

Veit – Oberflächlich betrachtet ist er ein arroganter Arsch, aber mit seinem Charisma, konnte ich ihn einfach sofort leiden.

Die Charaktere sind allgemein sehr vielschichtig, was im Laufe des Buches noch zu nimmt.

Schreibstil

Der Schreibstil ist einfach ein absoluter Traum! Ich bin nur so durch die Seiten geflogen und wusste sofort, was auch zwischen den Zeilen steht. Einfach ein durchweg tolles Autorinnen-Duo!

Fazit

Ich liebe dieses Buch, trotz dieses grausigen Endes! Ich will unbedingt wissen wie es mit den Boten weitergeht und wie sich die Charaktere weiterentwickeln! Ich habe jeden sehr liebgewonnen, mit ihnen mitgefiebert und den Bösen angefangen zu hassen. Dieses Buch hat mich sprachlos und nachdenklich zurückgelassen und die Geschichte lässt mich einfach nicht los! Genau das erwarte ich von einem grandiosen Buch, dass es mich nachhaltig beeindruckt, und das haben die Autorinnen definitiv geschafft. Es ist für mich einfach ein absolutes Jahreshighlight mit 5+/5✨ und einfach wieder mal #mikatastisch

Rezension zu „Between the Times – Zurück in die Vergangenheit“ von Tanja E. Huber

Eckdaten zu Buch

330 Seiten | Taschenbuch | Book King Verlag | Autorin – Tanja E. Huber | 22. Juli 2021 | Werbung – Rezensionsexemplar

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Klappentext

Sei vorsichtig, was du dir wünscht. Denn sollten deine Wünsche wahr werden, musst du unweigerlich auch die Konsequenzen davon tragen.

Als die 17-jährige Leila ihre Sommerferien in einem kleinen Urlaubsort in Italien verbringt, hätte sie nicht damit gerechnet, plötzlich in das Jahr 2221 katapultiert zu werden. Dort trifft sie nicht nur auf den gutaussehenden Alec und seine Familie, sondern auch auf eine komplett neue Weltordnung, in welcher jegliche Äußerung emotionaler Regung tabuisiert wird. Natürlich tritt da Leila von einem Fettnäpfchen ins nächste. Doch zum Glück rettet Alec sie immer wieder aus brenzlichen Situationen. Als sie dann noch auf die Rebellen trifft, welche die Pläne der Regierung durchkreuzen wollen, gerät Leila nicht nur zwischen die Fronten, sondern auch ihre Gefühlswelt wird total auf den Kopf gestellt. Sollte ihre einzige Sorge nicht sein nach Hause zurückzukehren? Denn wie und ob sie es überhaupt schaffen wird in ihre Zeit zurückzukehren, ist noch immer ungewiss.

„Wer ist sie?“, fragte ich ihn leise. Sein Blick fiel auf das Mädchen, mit dem goldblonden Haar. Sie war wunderschön. „Sie ist wirklich bezaubernd, nicht wahr? Wenn ich dich sehe, sehe ich sie.“

Cover und Gestaltung

Bereits das Cover des Buches hat mir von Anfang an gut gefallen. Als es dann bei mir ankam, war ich absolut überzeugt, denn es ist nicht Hochglanz, sondern ein matter Druck, was auch perfekt zum Design passt. Das Buch selbst ist klein und liegt gut in der Hand, jedoch finde ich den Buchsatz nicht optimal, denn die Schrift ist ein wenig klein und die Seiten sind sehr eng und dicht bedruckt.

Geschichte

Seit der Edelstein-Trilogie habe ich mich nicht mehr an Zeitreise-Bücher gewagt, aber ich bin froh, dass ich es mit Between the Times probiert habe. Ich fand den Ansatz großartig, dass sie nicht in die Vergangenheit, sondern in ihre eigene Zukunft springt – absolut faszinierend. Die Story selbst sowie die Wendungen sind gut durchdacht und meistens auch unerwartet.

Charaktere und Entwicklung

Leila – Anfangs war mir die Protagonistin etwas zu weinerlich und zu naiv, aber nach einer Weile lässt es nach und ist nicht mehr so extrem. Ansonsten hat mir Leila sehr gut gefallen, auch wie sie viele Dinge hinterfragt und nicht so hingenommen hat, fand ich gut. Und natürlich ihre Hartnäckigkeit zurück in ihre Zeit zu finden, hat mich überzeugt, denn manchmal wird in Büchern genau dieser Faktor an Realität vergessen.

Zu den anderen Charakteren kann ich nicht viel sagen ohne dem Buch vorne weg zu greifen.

Schreibstil

Der Stil von Kira ist einfach toll. Schon bei der Götter-Dilogie bin ich in die Welt gefallen wie nichts und das ist auch bei Kaleidra nicht anders. Es ist so anDer Schreibstil von Tanja ist einfach und gut zu lesen, keine Fremdwörter über die man beim lesen stolpern kann.

Manchmal kamen mir Zeitsprünge oder Szenenwechsel zu radikal und waren nicht richtig gekennzeichnet, zum Beispiel durch einen Abschnittwechsel-Symbol oder einen großen Absatz.

Aber schon während des Buches hat man den Wandel des Stils von Tanja ein bisschen mitbekommen, was ich toll fand und mich neugierig auf die weiteren Bücher der Debüt-Autorin macht.

Fazit

Between the Times ist ein Zeitreise-Roman im Jugendbuch-Bereich, den ich wirklich gerne gelesen habe. Es ist das Debüt der Autorin und es ist ihr wirklich gelungen.

Manche Wendungen haben mich wirklich überrascht, viele Fragen sind für die Folgebände offengeblieben und stehen wie ein großes Fragezeichen in meinem Gesicht. Für mich war es ein gutes Buch für zwischendurch und ich kann es jedem empfehlen, der ein entspanntes Buch sucht.

Von mir bekommt es 3,5/5✨

Rezension zu „Kaleidra II – Wer die Seele berührt“ von Kira Licht

Eckdaten zu Buch

480 Seiten | Hardcover | ONE Verlag | Autor – Kira Licht | 26. März 2021 | Werbung – selbst gekauft

Hier geht es direkt zum Hardcover auf Amazon oder beim Verlag

Klappentext
SPOILER für Band 1

Emilia und Ben wurden entführt. In den Fängen des Quecksilberordens sollen sie den Tria-Bund schließen und das Voynich-Manuskript entschlüsseln. Dabei kommt es jedoch zu einem Zwischenfall, und auf einmal scheint alles, was die Orden zu wissen geglaubt haben, hinfällig.
Doch die Quecks geben nicht auf und lassen Emilia keine Wahl: Gemeinsam mit Ben muss sie nach Kaleidra reisen – zum Ursprung aller Alchemisten -, wohlwissend, dass sie sich dadurch in große Gefahr begeben. Aber die Zeit arbeitet gegen sie, und die beiden stoßen mehr und mehr an ihre Grenzen. Denn Herz und Verstand sind nun mal nicht immer einer Meinung.

Cover und Gestaltung

Bereits das Cover vom ersten Teil hat mir gut gefallen, mit dem geometrischen Muster und den Farben. Deswegen mochte ich auch den zweiten Band optisch sehr! Die Kapitelzierden gefallen mir auch sehr gut und sind trotz ihrer Schlichtheit sehr schön.

Geschichte

Kaleidra hat eine Story, die schwer zu erklären ist, ohne dem Buch etwas vorwegzunehmen. Ich mag die Verschmelzung von Fantasy und Wissenschaft sehr, genau wie die Story an sich.

Charaktere und Entwicklung

Emilia – Ich muss leider gestehen, dass ich nicht der größte Fan von Emilia war, doch das hat sich in Band zwei doch etwas geändert. Ich mag es, wie sie sich an ihr Leben anpasst und mit den Hürden wächst, die ihr in den Weg gestellt werden.

Ben – Der typische Fall von, ich will sie, aber ich darf nicht. Manchmal etwas nervig und besserwisserisch, wächst er einem trotzdem langsam ans Herz.

Die Entwicklung der Protas macht einen extremen Schritt gegen Ende von Band 2, das macht einen sehr neugierig wie es in Band 3 weitergeht.

Schreibstil

Der Stil von Kira ist einfach toll. Schon bei der Götter-Dilogie bin ich in die Welt gefallen wie nichts und das ist auch bei Kaleidra nicht anders. Es ist so angenehm und flüssig zu lesen, wenn die Autorin einen in ihre Welt entführt.

Fazit

Band zwei der Reihe konnte mich wieder komplett abholen. Ich mag den Alchemistischen und auch Wissenschaftlichen Touch sehr.

Manche Wendungen in dem Buch waren vorhersehbar und andere haben mich komplett aus den Socken gehauen. Mitten im Buch hatte ich teilweise meine Schwierigkeiten dabei zu bleiben, aber das hat sich dann zum Glück wieder gelegt.

Deswegen gibt es von mir 4/5✨ und bald lese ich auch das große Finale.

Lieblingsautor-Shop

Die Überraschungsbox – mit Buch war bei Lieblingsautor im Shop streng limitiert für 29,99€ zzgl. Versand erhältlich.

Abgesehen von einem signierten Überraschungsbuch, waren buchige Goodies und Accessoires enthalten.

Für mich persönlich hat sich der Kauf absolut gelohnt, denn ich war vom Inhalt mehr als begeistert.

Das enthaltende Taschenbuch ist aus dem Genre „Dark Romance“ und der Klappentext verrät soviel über das Buch, aber irgendwie auch gar nichts.

Ich persönlich mag sowas gerne und fand auch das Cover ansprechend. Ich bin zwar kein großer Fan von Menschen auf Cover, aber im Dark Romance Bereich finde ich es okay.

Wenn ihr aufs Bild klickt, gelangt ihr direkt zum Buch bei Lieblingsautor.

Der restliche Inhalt der Box wird folgen, ich habe hier nur noch keine Bilder gemacht, da sie erst gestern bei mir ankam.

Falkenfeder-Design

Die 3D-Lesezeichen werden in liebevoller Handarbeit von Melli aka Frl von Falken hergestellt.

Jedes Lesezeichen kann mit verschiedenen Farben, sowohl einfarbig als auch mehrfarbig erworben werden.

Außerdem sind auch die Quasten farblich wählbar (das ist das Gebäumsel am Lesezeichen). Preislich beginnen die superdünnen Lesezeichen bei 5,-€ zzgl. Versand und ich finde das absolut unschlagbar.

Abgesehen von Lesezeichen, bietet Melli auch farbige Buchschnitte an. Hier sind farblich sowohl ein- als auch mehrfarbige möglich.

Auch mit Schablonen kann Melli eure Bücher verschönern. Hier ist auch sowohl ein einfarbiges als auch ein mehrfarbiges Muster möglich.

Der Preis der zauberhaften Buchschnitte beginnt bei 10,-€ zzgl. Versand.

Candleboo.Shop

Mit dem Code: REP10 bekommt ihr als meine Follower zur Zeit 10% auf eure Bestellung – Danke Emy!

Die wunderschönen Kerzen mit dem Grishaverse-Design gibt es im Candleboo.Shop und sind 10 cm hoch.

Sie steht wirklich sehr stabil und du bekommst sie ab 6,90€ zzgl. Versand hier.

Alle Kerzen werden in liebevoller Handarbeit von Emily hergestellt und können sogar personalisiert werden.

Auch die Goldfolie ist optional und kann außerdem durch Silber- oder Rosegoldfolie ausgetauscht werden.

Hier seht ihr, die schöne Personalisierung auf der Rückseite der Kerze. Natürlich kann man diese auch weglassen oder etwas anderes schreiben lassen.

Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt und man kann im Zweifel alles vorab mit Emily absprechen.

Abgesehen vom Grishaverse-Design gibt es im Shop bei diesen Kerzen noch zwei weitere Design. Einmal den Lesemonat und einmal Velaris, also Acotar.

Abgesehen von den großen Kerzen hat die liebe Emily aber auch noch kleine Stumpenkerzen in den Shop. Sie sind 5cm groß und kosten nur 2,90€ zzgl. Versand.

Diese gibt es bisher in diesen zwei Designs und ihr findet sie hier.