Und habt ihr schon alle Geschenke? Ich nicht, wie jedes Jahr bin ich Team Chaotisch und Vergesslich.
Aber solange ich nicht vergesse täglich ein Türchen mit euch zu öffnen, ist alles in Ordnung oder? 😉
Hier also Türchen 20 mit einer tollen Autorin, die leider ein wenig aus der Reihe tanzt, denn für heute streichen wir das SP aus dem Adventskalender und drücken für ihr Debüt beide Augen zu:
Ein Hauch von Dunkelheit
von Jessica Nemerhi aus dem Dunkelstern Verlag
Eine magische Welt, in der ein schrecklicher Krieg wütet. Ein Schattenmagier, der die Dunkelheit befehligt. Ein geheimnisvoller Fremder, dessen Finsternis auf eine harte Probe gestellt wird. Und ein Mädchen, das in der Lage ist, das Schicksal aller zu entscheiden …
Anas Leben wird von wiederkehrenden Albträumen bestimmt, in denen sich ihr eine von Dunkelheit überschattete Welt offenbart. Als Traum und Realität miteinander verschmelzen, findet sie heraus, dass das Land Tús Nua nicht nur existiert, sondern sein Schicksal auf geheimnisvolle Weise mit ihrem Leben verwoben ist. Auf der Suche nach Antworten gerät sie zwischen die Fronten eines brutalen Krieges. Trost und Verständnis findet sie bei Thion, dem sie bereits in ihren Träumen begegnet ist. Doch ihm ist die Dunkelheit hörig …
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Schneeflocken der Erinnerung
Ein Prequel zu „Ein Hauch von Dunkelheit“
Als Elodie an jenem Morgen das Haus verließ, schlug ihr eine ungeahnte Kälte entgegen. Anstatt nach ihrer Magie zu greifen, um die Kühle aus ihrem Körper zu vertreiben, wickelte sie nur das Halstuch etwas enger um ihren Hals. Sie rieb die Handflächen aneinander und hauchte warme Atemluft hinein. Bis zu ihrem Ziel war es nicht weit. Lieber sparte sie sich ihre Kräfte für die kommenden Stunden auf.
Auf ihrem Weg durch die Straßen Tammheins begegneten ihr heute nur wenige Nachbarn – die meisten waren sicher längst auf dem Markt, um ihre Stände aufzubauen oder das beste Obst und Gemüse zu kaufen. Elodie vermied den Trubel auf dem großen Platz und bog eine Seitenstraße zuvor in eine schmale Gasse ab. An deren Ende stieg sie drei Stufen zur Tür eines zweistöckigen Fachwerkhauses hinauf.
Mit einem kräftigen Klopfen kündigte sie ihr Kommen an und trat ein. Wie erwartet war im unteren Geschoss niemand anzutreffen. Sie lockerte ihren Schal etwas und lief sogleich über die Treppe ins obere Stockwerk.
Die Tür zu Thaleas Schlafzimmer war nur leicht angelegt und Elodie klopfte erneut an, diesmal etwas leiser, um sie nicht zu erschrecken. Ein eiskalter Lufthauch schlug ihr entgegen und ihr erster Blick galt dem schmalen Bett, das leer und ungemacht an der rechten Wand stand.
Kurz machte sich Sorge in Elodies Herzen breit. Thalea war selbst aufgestanden – das musste nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein. Vielleicht hatte sie heute ja einen guten Tag …
Wie im Schlafzimmer waren auch die Fenster im Bad geschlossen – nichts. Die alte Frau war nicht hier. Blieb also nur noch das Nebenzimmer.
Da sich Thalea in den letzten Monaten mit den Treppen immer schwerer getan hatte, hatte Elodie ihr hier ein gemütliches Wohnzimmer eingerichtet. In Kiras ehemaligem Zimmer.
Sie hatten das Sofa und ein paar Bücher nach oben gebracht und somit hatte Thalea auf dem Stockwerk alles, was sie brauchte. Ein Kamin erzeugte genug Wärme und auch Nachbarn und Freunde kümmerten sich bereitwillig darum, dass Thalea mit ausreichend Nahrung versorgt wurde.
»Thalea?«, fragte Elodie leise und fand Kiras Mutter am offenen Fenster, nur im Nachthemd bekleidet, wo sie hinaus in den Himmel starrte. Eilig lief sie zu der älteren Frau und rieb ihr über die Oberarme.
»Was machst du denn hier? Es ist eiskalt, komm mit – ich zünde den Kamin an und koche dir einen heißen Tee, was hältst du davon?« Mit etwas Nachdruck wollte sie sie weiter ins Zimmer ziehen, doch Thalea krallte sich am Fenstersims fest.
»Es wird bald finster«, stieß sie keuchend aus, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden.
Stirnrunzelnd sah Elodie aus dem Fenster. »Der Tag hat gerade begonnen. Es wird erst in einigen Stunden dunkel werden.«
Thalea schwieg einen Moment, dann drehte sie sich ruckartig um und packte Elodie fest an den Oberarmen. Ihre Augen, die an jedem Tag seit Kiras Tod immer mehr an Glanz verloren, waren panisch aufgerissen.
»Der Schnee«, sagte sie keuchend. »Ich möchte ein letztes Mal den Schnee auf meiner Haut spüren.«
»Aber Thalea, es schneit doch gar –«
»Bitte«, flehte sie. »Kira, bitte. Bring mich nach draußen.«
Kira …
Schmerzhaft verzog Elodie das Gesicht. »Ich bin es doch, Elodie.«
Ein winziger Funke Klarheit kehrte in das trübe Braun von Thaleas Augen zurück und sie lockerte ihren harten Griff. Sanft legte sie eine Hand an Elodies Wange. »Meine liebe Elodie. Sag, gehst du mit mir nach draußen? Kira wartet schon auf mich.«
Nur mühsam konnte Elodie das Schluchzen unterdrücken, das ihre Kehle hinauf wanderte und sich dort in Form eines schmerzhaften Klumpens festsetzte. Thaleas Worte schnitten tiefer, als es zerbrochene Glasscherben je könnten. Sie rissen alte Wunden auf. Klangen, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, nach Abschied.
Sie hatte sich auf einen Tag wie jeden anderen eingestellt: vormittags hätte sie die tägliche Pflege für Thalea übernommen und ihr Gesellschaft geleistet, bis sie von einer ihrer Freundinnen abgelöst werden würde. Nachmittags würde sie ihre Ausbildung bei der Heilerin fortsetzen.
»Na schön«, gab Elodie nach. Ihre Stimme klang unendlich müde, nur ein blasser Abklatsch ihrer selbst. »Ein Spaziergang kann nicht schaden.«
Nachdem sie Thalea gewaschen und ihr beim Ankleiden geholfen hatte, stützte sie sie auf dem Weg ins untere Stockwerk. Eine Treppenstufe nach der anderen, dann traten sie hinaus in die Kälte.
Dieses Mal tastete Elodie nach einer der zahlreichen Magiefasern, die sämtliches Leben in Tús Nua miteinander verbanden. Sie wandelte die Magie in Wärme um und übertrug diese auf Thalea, die über keinerlei magische Fähigkeiten verfügte.
Glücklicherweise war das Haus am äußeren Stadtrand gelegen, sodass sie nicht lange gehen mussten, um in die Natur zu gelangen. Elodie steuerte einen umgefallenen Baumstamm an und half Thalea dabei, sich sicher darauf zu setzen. Vor ihnen erstreckten sich weite Felder, über denen zur frühen Stunde noch weißer Nebel hing. Das dahinterliegende Waldstück erstrahlte in einem mystischen Licht.
»Und du denkst wirklich, dass es schneien wird?«, fragte Elodie skeptisch. Ja, es war eiskalt, aber bis jetzt ließ nichts auf einen baldigen Schneefall schließen.
»Riechst du es denn nicht?«
Elodie sah zu Thalea hinab, deren Augen geschlossen waren. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und auf ihren rissigen Lippen lag ein seliges Lächeln.
Dieses zeigte, dass sich all die Anstrengungen bereits gelohnt hatten, denn in ebendiesem Lächeln konnte Elodie Kira sehen. Auch ihre Lippen waren häufig aufgerissen und voller Schorf. Hinzu kamen zahlreiche andere trockene Stellen auf ihrer Haut. Eine Krankheit war dafür verantwortlich gewesen, hatte sie von innen heraus verzehrt …
Ihre Freundin musste viel zu früh gehen und Elodie hatte ihr noch am Sterbebett versprochen, sich immer um ihre Mutter zu kümmern. Sie hatten sich damals so viel gesagt. Doch das, was Elodie ihr schon längst hatte sagen wollen, war ihr nie über die Lippen gekommen. Sie hatte ihr nicht gesagt, wie viel Kira ihr wirklich bedeutete. Wie sehr sie sie geliebt hatte.
Völlig in Gedanken versunken hatte sie Thaleas Frage bereits vergessen. Die alte Frau zupfte leicht an ihrem Mantel und holte sie ins Hier und Jetzt zurück. »Setz dich und schließe die Augen. Bald wird die Dunkelheit über uns kommen und selbst der Schnee wird sich vor ihr fürchten.«
Elodie runzelte die Stirn, verstand nicht, wovon Thalea sprach. Doch sie gehorchte und ließ den Moment auf sich wirken. Die kühle Luft, unter die sich Thaleas unverkennbarer Geruch mischte, nach Kaminfeuer, altem Pergament und Gewürzen, erinnerte sie so sehr an Kira.
Tränen sammelten sich in ihren Lidwinkeln. Wenn Thalea sie nun auch verließ … Die Angst sie könnte ihre Freunde und alles, was sie ausgemacht hatten, vergessen, drohte sie zu ersticken. Kira und ihre Mutter waren eine zweite Familie für sie gewesen, genauso wichtig wie ihre eigene.
Elodies Eltern hatten oft vorgeschlagen, Thalea zu ihnen zu holen, da sie sich so gemeinsam um sie kümmern konnten, doch diese wollte ihr Zuhause nie verlassen.
Kiras Seele lebt in diesem Haus, hatte sie ihnen immer wieder gesagt. Und Elodie musste ihr in gewisser Weise zustimmen.
Eigentlich glaubte sie daran, dass ihre Seele wie die aller Toten der Natur Tús Nuas zurückgegeben wurde. Immerhin hatte sie dafür gesorgt, dass Kira dieselbe Begräbniszeremonie erhielt, wie Magiebegabte, auch wenn sie keine gewesen war. Doch sie konnte nicht leugnen, dass sie sie noch immer im Haus spüren konnte. Als würde sie weiterhin über sie und ihre Mutter wachen, in ihnen weiterleben.
Elodie nahm wahr, wie Thalea einen tiefen, zufriedenen Atemzug tat. Dann veränderte sich der Geruch und im nächsten Moment spürte sie etwas Kaltes auf ihrer Wange.
Erstaunt riss sie die Augen auf.
»Du hattest recht«, rief sie voller Freude aus und strahlte über das gesamte Gesicht. Die Tränen, die sie bis eben noch mühsam versucht hatte zu unterdrücken, liefen herab und vermischten sich mit den kleinen Wassertröpfchen, die die Schneeflocken auf ihrer Haut hinterließen.
»Es schneit«, flüsterte sie begeistert und wünschte, Kira wäre bei ihnen. Wünschte, sie könnte die dicken Flocken sehen, die sich wie eine riesige Decke über ihre Heimat legten. Jede einzelne rief zahlreiche Erinnerungen an ihre geliebte Freundin wach, gab ihr das Gefühl, dass sie in diesem Augenblick und für alle Zeit an ihrer Seite war.
Von Glück erfüllt griff Elodie nach Thaleas Hand, doch statt der Wärme ihrer Magie, spürte sie nur die Eiseskälte, die sich schmerzhaft um ihr Herz krallte und das im Vergleich milde Winterwetter bei weitem in den Schatten stellte.
»Thalea?«
Elodie wandte den Kopf und erstarrte. Zusammengesunken saß die alte Frau neben ihr, die Augen geschlossen.
Bitte nicht, dachte sie und umfasste die vom Leben gezeichnete Hand fester. »Bitte … Lea, verlass mich nicht auch.«
Doch sie rührte sich nicht mehr. Noch immer zeichnete sich ein Lächeln auf ihren Lippen ab und Elodie musste sich eingestehen, dass sie gegangen war. Vereint mit ihrer Tochter.
»Grüße Kira von mir«, hauchte Elodie leise und küsste sie auf die Wange.
Damit Thaleas lebloser Körper nicht umfiel, legte sie einen Arm um sie und zog sie fest an sich. Schwor, sie ebenso zu begraben wie Kira. Auch wenn sie keine Kräfte wirken konnte, so trug sie dennoch, genau wie ihre Tochter, ihre ganz eigene Magie in sich. Eine, die Elodies Leben an jedem einzelnen Tag bereichert und ihr eine unvergleichliche Freundschaft geschenkt hatte.
Mit tränenverschleiertem Blick betrachtete sie den stetig fallenden Schnee und eine Gewissheit erfüllte sie. Sie würde die beiden niemals vergessen, ganz gleich, wie dunkel die Tage werden würden.
Ende
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