Türchen 12

Halbzeit – Heute mit einem Buch, dass gerade erst geschlüpft ist und wir dürfen auch exklusiv reinschnuppern:

Die Wärme, die wir teilen

von Phillipa Penn

„Was glaubst du? Warum kommen die Leute zum Glühweinstand?“ „Um sich zu betrinken?“ „Nein. Sie kommen, um sich zu wärmen.“

Es ist nicht der Traum. Aber es ist schon in Ordnung. Seit der Druck in ihrem früheren Job zu groß wurde, hält sich die 25-jährige Luzia als Putzfrau über Wasser. Mit ihrer ehrgeizigen Mutter liegt sie im Streit und von ihren Freundinnen hört sie nichts mehr, also stellt sie sich auf ein einsames Weihnachten ein. Dann begegnet ihr Phil. Er führt pflichtbewusst den Stand seiner Familie auf dem Weihnachtsmarkt weiter, obwohl ihn das Schaustellerleben so gar nicht in Festtagslaune bringt. In einer verschneiten Dezembernacht funkt es zwischen Luzia und Phil. Sie spüren, dass sie einander etwas geben können, das ihnen gerade schmerzlich fehlt.

Doch reichen ihre Gefühle aus, um warm durch den Winter zu kommen?

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Zu gewinnen gibt es heute ein tolles Goodie-Set passend zum Buch, von der Autorin – Bilder davon findet ihr auf Instagram in den Swipes des Beitrags.

Kapitel 2 – Käfer und Riesen

Als wir nach Feierabend den Weihnachtsmarkt betreten, haben die Buden schon ihre Fensterläden zugeklappt. Nur ein paar im Zickzack gespannte Lichterketten erleuchten noch den Platz. Angetrunkene Menschen stolpern zwischen den kleinen Holzhütten hin und her, singen mal lauter und mal leiser ein kitschiges Weihnachtslied.

„Da sind wir wohl zu spät dran.“ Julio seufzt und rückt seine Beanie-Mütze zurecht. „Sorry, Geburtstagskind.“

„Macht nichts.“ Ich winke ab und schaue auf die Uhr. Es ist kurz nach elf. „Mein Geburtstag ist demnächst sowieso vorbei.“

Dann versenke ich meine Hände schnell wieder in den Taschen. Der Wind, der zwischen die Reihen der kleinen Häuschen bläst, ist eiskalt.

„Ich hätte trotzdem gern ein kleines Bisschen mit dir gefeiert.“ Julio legt einen Arm um mich. „So als Aufheiterung.“

„Aufheiterung?“, frage ich überrascht.

„Ja, du schaust heute so … betrübt.“ Julio drückt mich freundschaftlich an sich. „Wie ein Basset Hound, weißt du?“

Mir war nicht klar, dass ihm oder irgendjemandem in der Arbeit auffällt, wie es mir gerade geht. Irgendwie ist mir das peinlich. Nicht nur, weil er mich mit einem Hund vergleicht.

„Basset Hound, ja? Na, danke.“ Ich vergrabe mein Gesicht in meinem gelb gestreiften Schal. 
Julio springt vor mich, geht rückwärts, während er mich forschend ansieht. Er greift nach einer meiner schulterlangen Strähnen.

„Ja, mit deinen braunen Haaren und den großen Augen schaust du aus wie ein Hündchen. Total niedlich!“ Er seufzt. „Aber auch so, so traurig.“

„Hm“, mache ich.

„Fast schon mitleiderregend“, führt Julio weiter aus.

Ich murre in mich hinein. Er nimmt zwei Bündel meines Haars und hält sie wie Schlappohren in die Luft. „Man möchte dir, ich weiß auch nicht, ein Leckerli oder eine Streicheleinheit geben.“

„Okay, ich hab’s verstanden!“ Ich reiße mich und meine Haare von ihm los.

„Hey, hey, hey!“ Julio geht mir nach. „Entschuldige, wirklich, tut mir leid. Das war nicht böse gemeint!“ Er versucht, mich am Arm neben sich zu ziehen. 

„Ich weiß“, gebe ich seufzend zu, erlaube ihm aber trotzdem nicht, sich bei mir unterzuhaken.
Unabhängig davon, wie er es gemeint hatte … Er hat bei mir einen Nerv getroffen. Mir ist bewusst, dass ich im Moment keine besonders fröhliche Gesellschaft bin. Ich ertrage mich ja selbst kaum. 

Um nicht zu weinen, lege ich den Kopf in den Nacken und starre hoch in den dunklen Nachthimmel. Mein Atem bildet kleine Wölkchen, als er über mir ins Himmelszelt schwebt.

„Wie wär’s mit einem Bier? Drüben im Eulenspiegel?“ Man hört Julio an, dass er unbedingt etwas gutmachen möchte. 

Ich blocke ab. „Nein, ist schon okay. Ich gehe lieber nach Hause.“

Ganz kurz sehe ich ihn an, dann richte ich meinen Blick auf meine Stiefeletten. Mir ist die Lust auf einen Drink vergangen und ich möchte mich nicht von seinen großen, blauen Augen umstimmen lassen. „Mikesch wartet bestimmt schon und hat Hunger.“

„Dein Kater hält bestimmt noch ein wenig durch“, versucht es Julio weiter. „Nur auf ein Getränk.“ 

„Nein!“, sage ich lauter und gereizter als beabsichtigt. Kurz hallt es zwischen den Marktbuden, die uns umgeben, nach.

„O-okay. Ich bin schon ruhig.“ Mein Kollege bringt ein wenig Abstand zwischen uns. „Es tut mir leid.“

Ich schweige einen Moment. „Schon okay.“ Meine Finger graben sich tiefer in meinen Jackentaschen. Die Anstrengung des Tages und die Kälte beginnen an mir zu nagen. „Ich will heute einfach ein bisschen für mich sein. Ausruhen und so.“

Es dauert einen Augenblick, ehe Julio antwortet. „Dann solltest du auch genau das tun.“ Er atmet tief durch. „Sorry, dass ich dich zu etwas anderem überreden wollte. Ich bin manchmal ein bisschen pushy.“

Ich schaue zu ihm und seinem entschuldigenden Lächeln auf.

„Das stimmt.“ Ich erlaube mir, mich kurz über seinen bestürzten und schuldbewussten Gesichtsausdruck zu amüsieren. „Aber du bist trotzdem mein Lieblingskollege.“

Wir brechen beide in Kichern aus. Es ist wie ein Schwall Wärme und Erleichterung.

„Na, wie gut …“ Julio stupst mir mit dem Finger an die Stirn, „dass du auch meine Lieblingskollegin bist!“ 

Nun kann ich doch nicht anders, als mich von ihm in die Arme schließen zu lassen. 

„Und du willst sicher kein Geburtstags-Bier?“, fragt er, ohne mich loszulassen. Ich spüre seinen warmen Atem an meinem Scheitel.

„Ich mache mir zu Hause eins auf!“, lüge ich.
Tatsächlich habe ich weder Bier noch etwas Ähnliches daheim. Und selbst wenn ich etwas Derartiges im Kühlschrank hätte … Ich trinke nie allein. Ich trinke nur, wenn andere mit mir trinken. Wenn es wirklich etwas zu feiern gibt. 

„Okay, dann proste ich dir aus der Ferne zu.“ Julio lässt mich los und schaut auf sein Handy. „Sieht so aus, als wären ein paar Freunde von mir noch zu einer Party aufgelegt.“

„Na, dann …“ Ich schlucke. Keine meiner sogenannten Freundinnen hat sich heute zwecks einer Party – oder auch nur einer Gratulation – bei mir gemeldet. Die Enttäuschung schmeckt bitter.

„Viel Spaß mit deiner Truppe“, zwinge ich mich zu sagen.

„Werde ich haben!“ Julio hat sich schon halb von mir weggedreht, als er die Hand zum Abschied hebt. Ich sehe zu, wie seine schlanke, hohe Gestalt unter den Lichterketten hindurchgeht und sich aus meinem Sichtfeld entfernt. Für einen Moment habe ich das Bedürfnis, ihm doch noch hinterherzurennen. Dann aber drehe ich mich herum und schlage die Richtung, in der meine Wohnung liegt, ein.

Auf dem feuchten Pflaster kommen meine Absätze ein wenig ins Schlittern. Der Regen der letzten Tage könnte heute Nacht zu einer Eisschicht werden. Konzentriert mache ich einen Schritt nach dem anderen, um nicht auszurutschen.

Plötzlich höre ich ein lautes Rumpeln gefolgt von einem Aufschrei. Erschrocken reiße ich meinen Blick vom Boden los.

Was war das?

Oder viel mehr: Wer war das?

Die Buden links und rechts von mir sind dunkel und verschlossen. Ich kneife die Augen zusammen und schaue ein Stück den Weg hinunter. Ein schwacher Lichtschein bringt das nasse Pflaster dort zum Glänzen. Schnell haste ich darauf zu. 

Als ich die Stelle erreiche, kann ich es sehen: In einer der Hütten brennt noch Licht. Es scheint durch die Ritzen der Fensterläden und die offene Hintertür. Wieder höre ich ein dumpfes Rumpeln, dann ein Ächzen.

„Hallo?“ Ich trete näher. „Brauchen Sie Hilfe?“

Zuerst sehe ich die alte Frau gar nicht. Dann wird zwischen zwei umgefallenen Kisten eine faltige Hand mit unzähligen Ringen in die Höhe gestreckt.

„Wenn Sie so nett wären“, krächzt eine Stimme. „Ich bin hier drunter.“

Ich mache einen Satz nach vorne und hieve erst den einen, dann den anderen Karton aus dem Weg. Sie sind nicht ganz so schwer wie sie aussehen, aber unhandlich groß. Bei einem Blick hinein, sehe ich hunderte kleine Beutel, die mit getrockneten Blättern und buntem Pulver befüllt sind. Mir strömen so viele verschiedene Gerüche gleichzeitig entgegen, dass mir einen Moment schummrig wird. 

„Verflixt noch mal!“, erklingt es neben mir.Blinzelnd lenke ich meinen Blick und meine Aufmerksamkeit zurück zu der Frau. Wie ein schillernder Käfer liegt sie auf dem Dielenboden der kleinen Holzhütte und hat sichtlich Schwierigkeiten, sich aufzurappeln.

„Moment, ich helfe Ihnen!“ Schnell reiche ich ihr meinen Arm, den sie sofort umklammert.

Im Gegensatz zu den Kartons ist sie deutlich schwerer, als sie aussieht. Dabei wirkt sie unter den unzähligen Lagen an Tüchern und Röcken, so schmächtig. Vielleicht ist es der ganze Schmuck, den sie trägt. Sie ist dekoriert wie ein Weihnachtsbaum. Neben einem oder zwei Ringen an jedem Finger trägt sie dicke Armbänder aus Edelsteinperlen. Klobige Kristalle baumeln an unterschiedlich langen Goldketten um ihren dünnen Hals. Es klirrt und klimpert, als ich ihr aufhelfe.

„Danke, Fräulein“, keucht sie und richtet ihre Kleidung. „Ein Glück, dass Sie in der Nähe waren, sonst hätte ich hier gelegen bis …“

„Tante Edda?“

Die Augen der alten Dame weiten sich und ich fahre herum. Ein junger Mann betritt den Verkaufsstand. In dem schmalen und niedrigen Türrahmen sieht er aus wie ein Riese. Er muss mindestens so groß sein wie Julio, ist aber deutlich breiter gebaut. Ob er hierhergerannt ist? Die leicht geöffneten Lippen, aus denen dampfend sein Atem kommt, sind das Nächste, was mir an ihm auffällt. 

„Phileas! Wie gut, dass du da bist!“ Edda grinst. „Du kannst mir die Kisten wieder hoch aufs Regal stellen.“ Sie schmunzelt und wirft mir einen Seitenblick zu. „Und meine charmante Retterin kennenlernen!“

Hitze steigt mir in die Wangen und ich schiele verlegen zu dem Typen namens Phileas. 

Doch er ignoriert mich. Unwirsch streicht er sich eine blonde Strähne aus der Stirn. Seine grünen Augen sind auf Edda gerichtet.

„Tante!“, schimpft er. „Ich habe dir schon hundert Mal gesagt, dass du mit dem Aufräumen warten sollst, bis ich abgeschlossen habe. Ich komme her und helfe dir, wenn ich am Glühwein-Stand fertig bin!“

„Ja, ja, ja, mein Lieber!“ Sie tätschelt ihm beschwichtigend die breite Brust. „Es ist nicht so, als ob ich geplant hätte, mich unter Gewürzen und Kräutertee zu begraben.“ Sie zwinkert mir zu. 

Von ihrem Neffen kommt ein missbilligendes Brummen.

„Außerdem“, fährt Edda fort, „war ja das hilfsbereite Fräulein in der Nähe.“ Sie deutet auf mich.

Phileas sieht mich zum ersten Mal an. Durchbohrt mich mit diesen Augen, die das tiefe, dunkle Grün eines Tannenwalds haben. Einen Moment wirkt er überrascht, als hätte er mich zuvor nicht bemerkt. Dann wird sein Ausdruck finsterer. Gerade so als hätte ich etwas falsch gemacht.

Er wendet sich wieder an seine Tante. „Das war pures Glück“, murmelt er.

„Na, na, na!“ Edda wedelt tadelnd mit einem Finger in der Luft herum. „Bist du nicht froh, dass sie deiner alten Tante zur Hilfe geeilt ist? Willst du ihr nicht Danke sagen?“
Er sieht wieder zu mir, mustert mich. Ich weiche seinem prüfenden Blick aus, weil er mich ganz unruhig macht. Dann ertrage ich die seltsam erwartungsvolle Stille nicht mehr.

„Es war keine große Sache“, sage ich schnell. „Ich werde dann mal wieder …“

Ich mache Anstalten, mich an dem großen Kerl vorbei und aus der Marktbude herauszuquetschen. Aber Edda hält mich zurück.

„Meine Liebe“, sie sieht mich durchdringend an, „Sie haben sich ein kleines Dankeschön verdient.“
Edda dreht sich um und greift in eine der Kisten, die ich eben von ihr heruntergehoben habe. Im nächsten Moment halte ich ein kleines transparentes Päckchen in der Hand.

Glühwein-Mix steht auf dem Sticker und durch die Folie kann ich grob zerbrochene Zimtstangen, Sternanis, Nelken, Orangenschalen und sogar sowas wie Blütenblätter erkennen. 

„Oh, aber das ist doch nicht nö…“, beginne ich zu sagen, aber in diesem Moment wird mir klar, dass es das erste Geschenk ist, dass mir heute, an meinem Geburtstag, gemacht wird. Mein Griff schließt sich ein wenig fester um den kleinen Beutel und ich räuspere mich. „Danke schön.“

„Phileas mischt das Glühweingewürz für mich.“ Edda schaut vielsagend in Richtung ihres Neffen. „Es ist köstlich. Und es wird sie bestimmt aufwärmen nach diesem langen Tag.“

Mein Blick springt zu den Augen der Frau. Ist das einer dieser Momente, in der man die Weisheit des Alters spürt oder warum habe ich das Gefühl, dass hinter ihren Lidern ein wissender Ausdruck liegt? Als könnte sie ganz genau erkennen, was für ein Reinfall der heutige Tag für mich war …

„Haben Sie es noch weit bis nach Hause?“ Eddas schmale, warme Hände schließen sich um meine.

„N-Nein“, sage ich hastig. „Nur die Straße runter.“

„Hmmm“, macht sie und kneift die Augen zusammen. „Es ist weiter, als Sie zugeben.“ Ihre Finger reiben über meine und ihr Blick wird so durchbohrend, dass ich mich ein wenig unwohl fühle. „Mein Neffe wird sie heimbringen.“

„Tante!“, protestiert Phileas. „Sie hat doch gerade eben gesagt …“

Edda lässt meine Hände los und hebt mahnend einen Finger in Richtung des jungen Mannes. „Na, wirst du wohl! So habe ich dich nicht erzogen!“

Phileas fährt sich durch die blonden Haare. „Gut“, presst er hervor.

„Das ist wirklich nicht nötig!“, versuche ich zu intervenieren.

Der mahnende Finger steht jetzt vor meiner Nase. „Keine Widerrede. Das ist doch das Mindeste! Es ist schließlich dunkel da draußen und Sie sind ganz allein.“

„Aber …“ Mein Protest wird durch ein Funkeln aus Eddas Augen, dass ich der alten Dame gar nicht zugetraut hätte, im Keim erstickt. „Okay, danke“, gebe ich mich geschlagen.

Ich folge Phileas, als er kopfschüttelnd die kleine Hütte verlässt.

„Ich warte, bis du wiederkommst, Phileas! Aber lasst euch Zeit!“, flötet Edda uns hinterher.
Ich vergrabe meine glühenden Wangen in meinem Schal und hoffe, dass Phileas nichts von meiner Verlegenheit bemerkt.

Ende

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